Ausgrabungen:Wiedergänger vor Christi Geburt

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Was Archäologen in Landsham im Boden entdeckt haben, bietet Stoff für eine Gruselgeschichte. Gräber, Brunnen und Überreste von Häusern aus mehreren Epochen haben überregionale Bedeutung

Von Alexandra Leuthner

Früher hätte sich der Bürgermeister sofort seine Dienstjacke übergeworfen, hätte vielleicht sogar eine Pistole eingesteckt, wenn er von der Leiche gehört hätte - neben ihrem Kopf ein riesiger Stein. Die mögliche Mordwaffe. Heute zieht es ihn immer noch an den Tatort. Allerdings kann er sich etwas mehr Zeit damit lassen. Erstens ist er nicht mehr Kriminalkommissar, zweitens sind die Taten wegen derer er jetzt herbei gerufen wird, so was von verjährt, dass die Täter eh nicht mehr zu ermitteln sind. In diesem speziellen Fall wäre vielleicht sogar ein Geisterjäger der geeignetere Ersthelfer gewesen.

Allemal ist so ein Skelett, ein dickes Loch in seinem Schädel und ein Stein von der Grüße einer Faust daneben, durchaus dazu angetan, wildeste Fantasien in Gang zu setzen. Und das nicht nur bei Plienings Bürgermeister Roland Frick, sondern auch bei den Archäologen, die bis vor kurzem damit beschäftigt waren, den Untergrund unter dem Baugebiet Landsham Süd auf Überreste menschlichen Lebens - und Sterbens zu untersuchen. Wenn der Stein schon nicht das Mordwerkzeug war, so könne es doch sein, dass hier jemand "post mortem" der Schädel eingeschlagen worden ist, so jedenfalls eine Annahme der Archäologen. Vielleicht weil jemand Angst davor gehabt hatte, dass der Tote mit üblen Absichten zurückkehren würde.

Die Angst vor Wiedergängern, ein Motiv, das sich durch Literatur und Kunst zieht seit es sie gibt. Dracula ist wohl das bekannteste dieser Wesen, in jüngerer Zeit hat Brad Pitt in "World War Z" so seine Erfahrungen mit tot Geglaubten gemacht. Deputy Sheriff Rick Grames in "The Walking Dead" und die Männer um Jon Schnee in der großartigen Serie "Game of Thrones" können ebenfalls ein schauriges Lied davon singen. Vielleicht hatten die Kelten, die vor etwas mehr als 2000 Jahren ihre Angehörigen beerdigten, schon ganz ähnliche Ängste wie die Schriftsteller und Drehbuchautoren späterer Tage.

Dass Archäologen in Landsham fündig werden könnten, war zu erwarten, sind doch in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten an vielen Stellen in Landsham, Pliening und Gelting, bis nach Kirchheim hinüber, Spuren keltischer und römischer Besiedlung gefunden worden. Erst im Herbst war auf dem Grundstück der künftigen Mehrgenerationenanlage am Landshamer Ortsausgang das Skelett eines jungen Mannes aus spätrömischer Zeit zu Tage gefördert worden. Offenbar war die Nähe zu großen Transportwegen wie der römischen Via Julia, die von Salzburg nach Augsburg führte, für die Menschen so attraktiv, dass sie sich immer wieder hier niederließen. Ein anderer war wohl auch die leichte Erreichbarkeit des Grundwassers, nach dem man am Nordrand der Münchner Schotterebene, die damals noch an lichte Auwälder grenzte, nicht allzu tief graben musste.

Die neuen Funde von Landsham allerdings sind etwas besonderes, wie der verantwortliche Archäologe Stefan Biermeier erklärte, der bis Anfang August alles, was an Kleinteilen auf dem Gelände gefunden wurde, in einem Bauwagen zusammengetragen hatte, bevor es in die Archäologische Staatssammlung überführt wurde. Über die Funde informieren Schautafeln am Bauwagen. "Sie haben wirklich überregionale Bedeutung", erklärte Biermeier an einem kalten Tag Ende Juli, als der Wind nur so über das Gelände pfiff und es im Innern des vollgestellten Containers deutlich gemütlicher war als draußen - obwohl der Wissenschaftler zusammenzuckte, wenn es immer wieder mal in den Kartons raschelte. "Man weiß ja nie", murmelte er. Draußen war eine Kollegin, versteckt unter Funktionskleidung, gerade damit beschäftigt, den Inhalt eines Brandgrabs fein säuberlich abzuzeichnen, jeden Ring, jedes Schmuckstück. Offenbar sei es eine höher gestellte Dame gewesen, die hier verbrannt worden war: mehrere Fibeln zum Zusammenhalten von Gewändern und ein Armreif aus blauem Glasstein - beides Hinweise auf die Latènezeit. Ähnliche Schmuckstücke waren früher schon in mehreren "Oppida", größeren stadtähnlichen Siedlungen dieser Epoche gefunden worden, etwa in der Nähe von Manching. "Vielleicht wurden unsere Schmuckstücke hier von Händlern mitgebracht", mutmaßte der Archäologe. Gut erhaltene Webgewichte und Pfostenabdrücke von Grubenhäusern deuteten auf die selbe Zeit hin, also auf jene keltische Epoche, die von etwa 450 vor Christus bis zum Jahr Null reichte.

Das, was die Archäologen um Stefan Biermeier und Axel Kowalski von der Firma SingulArch Grabungen entdeckt haben, überraschte sie jeden Tag aufs Neue. Nicht nur die Menge der Überreste - drei Brunnen, 500 Pfostenlöcher zu acht unterschiedlich großen Langhäusern, mehrere Brand- und Körpergräber - sondern auch die Tatsache, dass all die Funde nicht nur aus einer einzigen, sondern aus mehreren archäologischen Epochen zu stammen scheinen, einem Zeitraum, der sich über etliche Jahrhunderte vor und kurz nach Christi Geburt erstreckt. Während die Langhäuser möglicherweise sogar in die Frühbronzezeit um 1600 vor Christus datieren, fanden die Forscher auch viereckig angelegte Spuren "vielleicht einer römischen Villa rustica". In der frührömischen Zeit im ersten Jahrhundert nach Christus sei ein anderes Fußmaß angewendet worden, erklärte Biermeier - vielleicht hatten die Römer ja kleinere Füße, zumindest habe ihr Fußmaß bei 29,5, das der Kelten bei 30,9 Zentimeter gelegen. Einzelheiten über die drei Brunnen, von denen einer sicher aus römischer Zeit stammt, ein anderer aber wohl deutlich älter ist, stehen noch aus. Genau datieren könne man sie erst, wenn gegen Anfang September die Kanalbauer mit Minibaggern anrücken und die Handarbeit der Archäologen, welche nur einen kleinen Teil der Brunnen schichtenweise abgetragen, untersucht und im Profil fotografiert haben, unterstützen. "Da spart man Geld und so weit in die Tiefe kommen wir mit unseren Schaufeln nicht."

Vor den Archäologen waren die Kampfmittelsucher auf der 2,5 Hektar großen gemeindeeigenen Fläche unterwegs. Sie waren es auch, die als erste fündig wurden. Gleich an mehreren Stellen hatten die Warngeräte angeschlagen, doch waren es keine Blindgänger, die unschädlich gemacht werden mussten, sondern Waffen anderer, wenn auch nicht weniger todbringender Natur. Schwert und Lanze eines Kriegers waren hier vor mehr als 2000 Jahren im Boden versenkt worden, zusammen mit ihrem Besitzer. Die Waffen der Verstorbenen seien allerdings unschädlich gemacht worden, bevor man sie als Grabbeigabe zu den Toten legte, erklärte Biermeier. Vielleicht wollte man verhindern, dass Grabräuber sie wieder ausbuddeln.

Vielleicht aber wollte man auch vor einer Rückkehr der Toten sicher sein. Tatsächlich waren einige der gefundenen Skelette auf recht ungewöhnliche Weise bestattet worden. So fanden die Archäologen den Leichnam einer älteren Frau, ein ganzes Stück von den anderen drei Gräbern entfernt, aber in der Nähe eines der drei Brunnen. Sie war ganz offensichtlich auf dem Bauch liegend beerdigt worden. Den einen Ellenbogen zur Seite gespreizt, den anderen unter dem Körper, lag sie in ihrem Grab - zumindest eine despektierliche Art, mit einer Toten umzugehen. Oder aber eine Sicherheitsmaßnahme, warf Biermeier ein, um zu verhindern, dass sie aus ihrer Gruft wieder empor stieg. "In letzterem Fall sollte die verkehrte Lage dafür sorgen, dass der gefährliche Tote in die falsche Richtung, also nach unten grub."

Der Indizien könnte es noch mehrere geben, zum Beispiel der junge Mann mit dem eingangs erwähnten Stein neben dem Kopf. Um die 20 wird er gewesen sein, urteilte Biermeier, die Plastikfolie noch in der Hand, die den Toten, von der schützenden Erdschicht entblößt, abgedeckt hatte bis er nun in seinen Einzelteilen aus dem Boden geschält werden würde. "Die Zähne sind noch völlig in Ordnung, bei einem älteren Menschen wäre das nicht der Fall, zu viel Gesteinsmehl im Getreidemehl hat die Gebisse früh abgeschliffen." Außerdem seien die Schädelnähte noch nicht ganz zugewachsen gewesen, was ebenfalls auf ein junges Alter des Verstorbenen schließen lasse. Ein junger Mann also, ein Stein und, so wie er da mit vorne über geschlagenen Armen lag, war er möglicherweise gefesselt ins Grab gelegt worden - damit er sich nicht mehr heraus graben konnte?

Ein paar Schritte weiter lag ein älterer Toter, in Seitenlage mit unnatürlich nach unten gedrehtem Gesicht, um dessen Kopf herum die Wissenschaftler eine "sicherlich intentionelle Steinsetzung" entdeckt haben, mindestens sieben faustgroße Steine im Halbkreis um das Haupt angeordnet. Und schließlich fanden sie noch ein Mädchen, "eine zierliche junge Dame mit außergewöhnlich reicher Beigabenausstattung", Glasperlen, eine bronzene Scheibenfibel, ein aufwendig verzierter Glasarmreif. "Unter Umständen sei sie die Tochter der beiden Toten in den Brandgräbern gewesen", mutmaßen die Archäologen. Ging es vielleicht um sie? Hat der junge Mann ihr etwas angetan, für das er in ein frühes Grab befördert wurde? Könnte sich in Landsham vor mehr als 2000 Jahren ein Familiendrama abgespielt haben?

© SZ vom 21.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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