Amtsgericht Erding:Wirrwarr um einen Christbaumständer

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Verfahren gegen 32-jährige Nigerianerin wegen schwerer Körperverletzung wird gegen Auflage eingestellt. Was genau passiert ist, lässt sich nicht klären. Es sind einfach zu viele Sprachen im Spiel

Von Gerhard Wilhelm, Erding

So vielfältig wie die Sprachen sind auch die Versionen über einen Vorfall in einer Asylbewerberunterkunft im Landkreis gewesen. Vor Gericht stand eine 32-jährige Angeklagte aus Nigeria. Sie soll im Mai vergangenen Jahres einem gleichaltrigen in der Unterkunft lebenden Landsmann einen Christbaumständer an den Kopf geschlagen und ihn dabei schwer verletzt haben. Dass es zu der Tat gekommen war, war unstrittig, ebenso die große Platzwunde am Kinn des Geschädigten. Aber warum es dazu gekommen ist, blieb unaufgeklärt, und das lag auch an dem Sprachenwirrwarr. Außer der Angeklagten und dem Zeugen aus Nigeria waren weitere Zeugen aus Uganda und Afghanistan geladen. Das Verfahren wurde gegen die Auflage, 40 Sozialstunden bei der Caritas abzuleisten, eingestellt. Dass es überhaupt zu einem Urteil kam, war lange Zeit ungewiss, denn es fehlte außer einem Dolmetscher ein Zeuge und zunächst auch die Angeklagte, die jetzt in Erding wohnt. Schließlich kam die 32-Jährige doch noch, eine Begründung für die 35-minütige Verspätung gab es nicht. Die Angeklagten brachte ihre Version, warum sie mit dem Christbaumständer, der als Türstopper diente, zugeschlagen hatte, sehr impulsiv vor. Ihre Dolmetscherin musste mehrfach nachfragen, weil die Angeklagte oft nicht zu stoppen war. Der Geschädigte habe ihr sexuelle Avancen gemacht und sie regelrecht verfolgt. Sie habe ihm immer wieder gesagt, er solle das lassen, es habe ständig Streit gegeben. An diesem Tag sei er ihr auf die Damentoilette gefolgt, worauf sie die Polizei anrufen wollte. Doch er habe sich vor das einzige Telefon in der Unterkunft gestellt und eines ihrer Kinder weggeschubst. Beim Greifen nach dem Christbaumständer sei sie schneller gewesen und habe ihn nach ihn geworfen. Was ihr Pflichtverteidiger damit rechtfertigte, dass sie sich bedroht gefühlt habe.

Der Geschädigte hatte eine andere Version: Die Angeklagte sei ständig auf Streit aus gewesen, vor allem mit einer anderen Bewohnerin. Der habe er an dem Tag geholfen, einen Tisch in den Garten zu tragen, weil sie schwanger sei. Als er vier Stunden später zurück gekommen sei von einer Feier am Ort, habe er sich im Garten mit einem anderen Flüchtling unterhalten. Und als er sich in der Küche etwas zum Trinken holen wollte, habe die Anklagte ihn beschimpft. Er habe aber verzichtet, sich "mit der Wahnsinnigen" zu beschäftigen. Ein paar Minuten später sei sie in den Garten gekommen und habe ihn vom Tisch weggezerrt. Am Haus habe sie ihm den Türstopper auf den Kopf geschlagen. Sexuelle Avancen habe er niemals gemacht. "Ich sag die Wahrheit", betonte er.

Der nächste Zeuge, ein Afghane, sagte aus, dass beide sich verbal attackiert hätten, wobei er nichts verstanden habe, und dann aufeinander zugelaufen seien. Sie habe ihm den Christbaumständer über den Kopf geschlagen. Zeugin Nummer vier, aus Uganda, hatte zwar ebenfalls den Schlag gesehen, wusste aber nichts von früheren Streitigkeiten. Außerdem saßen in ihrer Version vier Personen am Tisch.

Auch der ermittelnde Polizeibeamte konnte wenig dazu beitragen, die Vorgänge aufzuklären. Die Angeklagte sei aufgebracht und kaum zu beruhigen gewesen, als die Polizeistreife eintraf. Die Vernehmung möglicher Zeugen sei angesichts der verschiedenen Sprachen "echt schwierig" gewesen. Sowohl der Geschädigte als auch die Angeklagte hätten wohl über Wochen Streit gehabt, die Situation sei offenbar an dem Tag eskaliert. Die Angeklagte sei äußerst hysterisch gewesen und habe nur gebrüllt.

Letztendlich einigten sich Staatsanwaltschaft, der Pflichtverteidiger und Amtsrichterin Ramona Wolfe auf eine Einstellung des Verfahrens gegen die Auflage von 40 unentgeltlich und gemeinnützig zu leistenden Sozialarbeitsstunden, die die Angeklagte binnen sechs Monaten zu leisten habe. Auf eine Fortsetzung der Verhandlung, um den fehlenden Zeugen noch anzuhören, wurde verzichtet. Denn auch der Dolmetscher für Ugandisch konnte nur gebrochen Deutsch, manche Antworten der Zeugen auf Englisch blieben rätselhaft.

© SZ vom 16.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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