Amtsgericht Erding:Vom Knast in die Klinik

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Ein 41-jähriger Mann wird zum Dieb, um Geld für Drogen zu besorgen. Jetzt soll alles anders werden

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Bis die Staatsanwältin die umfangreiche Anklageschrift verlesen hatte, war fast schon eine Viertelstunde vergangen. Insgesamt 22 Diebstähle, alle 2017 und überwiegend im Stadtgebiet Erding begangen, wurden dem 41-jährigen Angeklagten am Amtsgericht Erding zur Last gelegt. In den meisten Fällen hatte der Mann Fahrräder entwendet. Der Gesamtwert der geklauten Radl betrug fast 10 000 Euro. In sieben Fällen hatte er außerdem Autos aufgebrochen oder aus offenen Fahrzeugen etwas gestohlen. Das Schöffengericht unter Vorsitz von Richter Björn Schindler verurteilte den Mann wegen gewerbsmäßigen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten.

Zurück in die Justizvollzugsanstalt Landshut, wo er bereits seit 6. August in Untersuchungshaft saß, muss der Verurteilte jedoch nur so lange, bis er einen Platz in einer Entziehungsanstalt für eine Therapie seiner langjährigen Drogensucht bekommt. Er hatte die Diebstähle begangen, um sich mit dem Erlös aus den Taten Drogen kaufen zu können.

Zunächst sah es nach einer längeren Verhandlung aus. Die Liste der geladenen Zeugen, überwiegend Polizeibeamte, war sehr lange. Doch nachdem die Staatsanwältin fertig mit der Verlesung der Anklageschrift war, bat der Verteidiger um zehn Minuten Pause, um die Sache noch einmal mit seinem Mandanten zu bereden. Richter Schindler bot allerdings an, gleich ein Rechtsgespräch zu führen, in dem man sich - ein Geständnis vorausgesetzt - auf eine Ahndung einigen könnte. Das Rechtsgespräch folgte prompt und endete mit dem Ergebnis, dass sich der Angeklagte in allen Punkten schuldig erklärte, wofür ihm das Gericht und die Staatsanwältin im Gegenzug eine Strafe von maximal drei Jahren in Aussicht stellten - falls bei der Verhandlung nicht noch zusätzlich belastende Dinge ans Tageslicht kommen sollten.

Die kamen nicht auf, jedoch einige Hintergründe zum Leben des Angeklagte. Er berichtete, dass er schon früh mit Alkohol in Berührung gekommen sei, sich aber ohne fremde Hilfe von seinem Alkoholismus befreien habe können. Statt Alkohol zu trinken, habe er jedoch begonnen Amphetamine zu nehmen. Bei seiner Verhaftung im Sommer sei ihm die linke Hand mehrfach gebrochen worden. In der U-Haft erhalte er deshalb Schmerzmittel sowie Antidepressiva. Seine verletzte Hand müsse wohl mehreren Operationen unterzogen werden, um wieder vollständig funktionsfähig zu werden. Zudem habe er 2011 einen Schlaganfall erlitten, dessen Folgen noch nicht ganz überwunden seien.

Sebastian Friedrich, Gutachter und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, bestätigte dem Angeklagten sein Suchtproblem. Nach Alkohol sei er auf Amphetamine umgeschwenkt, jetzt auf Schmerzmittel. Fachlich sei dies ein "Sucht-Switch". Der Angeklagte habe immer morgens schon mit dem Drogenkonsum begonnen, um tagsüber leistungsfähiger zu sein. Sobald die Entzugserscheinungen eingesetzt haben, hätte er wieder Drogen nehmen müssen. Ein Teufelskreis. Sein Konsum von zwei bis drei Gramm Speed habe ihn täglich etwa 45 Euro gekostet. Der Mann habe aber schon seit drei Jahren keine feste Arbeit gehabt und damit das Problem, woher er das Geld für die Drogen nehmen solle. So sei es zur Beschaffungskriminalität gekommen. Körperlich habe er durch die Drogen bereits "komplexe Schäden". Das einzige, was ihn noch retten könne, sei eine Entzugstherapie.

Der Angeklagte wollte unbedingt eine Therapie machen - um mit seiner Verlobten endlich "ein normales Leben" führen zu können, wie er sagte. Das Schöffengericht folgte letztendlich dem Antrag des Verteidigers und verhängte eine Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren sowie die Überweisung in eine Entzugseinrichtung, sobald das möglich ist. Amtsrichter Schindler wünschte dem Verurteilten dafür alles Gute und, dass die Therapie erfolgreich verlaufe.

© SZ vom 14.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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