Amtsgericht Erding:Jagdszenen in Oberbayern

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Zwei Handwerker nötigen, bedrohen und verletzen einen 14-Jährigen. Er hatte mit Freunden an Silvester mit Böllern um sich geworfen. Das Gericht spricht von Selbstjustiz und verhängt Geldstrafen

Von Thomas Daller, Erding/Dorfen

Weil sie sie in Verdacht hatten, dass sie ihnen Böller in den Garten geworfen hatten, haben zwei Handwerker vier Jugendlichen im Alter von 14 und 15 Jahren in der Silvesternacht 2017 in Dorfen aufgelauert. Einen davon haben sie erwischt, mit einer Schreckschusspistole eingeschüchtert, das Handy abgenommen, ihn beleidigt und geschlagen. Beide wurden nun am Amtsgericht zu Geldstrafen verurteilt. Der Handwerker aus Dorfen wurde wegen Nötigung zu 2500 Euro verurteilt, sein Silvestergast aus Memmingen muss wegen vorsätzlicher Körperverletzung, Beleidigung und Nötigung 6000 Euro zahlen.

Die zwei Männer hatten zusammen mit ihren Frauen eine Silvesterparty in Dorfen gefeiert, als zwei Böller über die Hecke in den Garten flogen. Einer hinterließ einen schwarzen Fleck an der Hausmauer, der andere versengte ein Paar Schuhe auf der Terrasse. Daraufhin beschlossen sie, sich auf die Lauer zu legen. Der Gast steckte seine Schreckschusspistole ein, mit der er sich um Mitternacht an der Neujahrsböllerei beteiligen wollte. Der Übeltäter war ein damals noch 14-jähriger Bub aus Dorfen, der sich am Unteren Markt mit drei Freunden treffen wollte. Dort beschlossen sie, noch ein paar Raketen zu holen, die einer von ihnen zuhause gelagert hatte. Allerdings führte dieser Weg am Bauernmarktstadl vorbei, wo sich die beiden Handwerker im Gebüsch versteckt hatten. Sie sprangen heraus und riefen: "Jetzt haben wir euch." Einer der Jugendlichen sah die Pistole und warnte die anderen: "Der ist bewaffnet", und sie rannten davon. Der Memminger gab noch einen Schuss in die Luft ab, um sie aufzuhalten, aber drei entkamen.

Der vierte wollte sich auf der Flucht in einer Hauseinfahrt verstecken und wurde erwischt. Sie nahmen ihn in den Schwitzkasten, schlugen ihm das Handy aus der Hand, doch der 15-Jährige konnte erneut flüchten. Er lief zum Volksfestparkplatz, wo ein Zirkus sein Zelt aufgeschlagen hatte. Ein Schausteller befand sich im Freien, bei ihm suchte der zitternde und atemlose Junge Schutz. Er werde von zwei Männern verfolgt, die ihn gewürgt hätten. Einer davon sei bewaffnet. Sekunden später tauchten die beiden Verfolger schon auf. Obwohl der Schausteller deeskalierend auf sie einwirken wollte, packten sie den Buben und nahmen ihn mit in das Haus des Dorfeners; der Schausteller ging mit, wurde aber am Ziel mit rauen Worten weggeschickt. Er lief zurück und alarmierte die Polizei. Als man in der Inspektion hörte, dass einer der beiden bewaffnet sei, wurden sofort zwei Streifenwagen losgeschickt.

Unterdessen schlug der Memminger auf den Buben ein, und der Dorfener sagte ihm, er bekomme sein Handy nur zurück, wenn er die Namen und Adressen seiner Freunde aufschreibe. Als er das getan hatte, brach der Mann sein Wort, und die beiden zerrten ihn in die Innenstadt zum Unteren Markt, wo sie die Freunde suchen wollten. Dort hatte der Opa des Buben allerdings einen Dönerladen, wo er sich noch aufhielt. Als er sah, wie die beiden seinen Enkel mitzerrten, rief er die Eltern zu Hilfe und ging selbst dazwischen. In diesem Tumult erschienen dann auch noch die beiden Streifenwagen der Polizei, die Beamten setzten der Selbstjustiz ein Ende.

Die Staatsanwaltschaft und Richter Michael Lefkaditis mussten anhand der Zeugenaussagen die Beleidigungen, Drohungen, Nötigungen, Körperverletzungen und Sachbeschädigungen verifizieren und welchem Angeklagten sie anzulasten waren. Lefkaditis sagte, es gebe ein Selbsthilferecht, wonach die Angeklagten den Jugendlichen festhalten dürfen, bis die Polizei kommt oder um die Personalien festzustellen. Was die beiden Handwerker getan hätten, sei jedoch Selbstjustiz gewesen, die weit über das gesetzlich Erlaubte hinausgeschossen sei. Das Vorgehen gegen den Jugendlichen sei zu massiv und mit unlauteren Mitteln geschehen: "Das ist eine Form der Selbstjustiz, die einem Bürger nicht zusteht." Der Angeklagte aus Dorfen nahm das Urteil gefasst auf: "Im Nachhinein war das eine Riesendummheit. Wir hätten gleich die Polizei rufen sollen."

© SZ vom 19.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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