Amtsgericht Erding:Eine Geste mit Folgen

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Rentnerin zeigt ihren Nachbarn an, weil sie sich bedroht fühlt

Von Thomas Daller, Erding

Eine 78-jährige Rentnerin hat ihren Nachbarn angezeigt, weil er sie mit einer Geste des Halsabschneidens bedroht habe. Am Amtsgericht Erding wurde der Mann freigesprochen. Er machte geltend, dass die 78-Jährige einen Streit zwischen ihm und seiner Lebensgefährtin beobachtet und dabei wohl eine Geste fehlinterpretiert habe, die gar nicht auf sie gemünzt gewesen sei.

Die beiden Parteien leben in Erding, der 40-jährige Angeklagte mit seiner 32-jährigen Lebensgefährtin und der eineinhalbjährigen Tochter im Erdgeschoß des einen Hauses und die Rentnerin im Obergeschoß des Nachbarhauses. Bei dem Vorfall soll sich der Angeklagte im Garten aufgehalten haben, den die Rentnerin von ihrem Balkon aus im Blick hat. Der Mann ist Italiener und spricht kein Deutsch. Am 8. Juni vergangenen Jahres soll er auf italienisch lautstark geschimpft haben, wovon die Rentnerin aber kein Wort verstanden habe. Sie befand sich zu dem Zeitpunkt in ihrem Wohnzimmer und hörte das Geschimpfe durch die offene Balkontür. Sie ging nach draußen und beobachtete, wie der Mann sich mit der Hand über die Kehle fuhr. Sie sei dadurch verängstigt gewesen und habe ihn noch am gleichen Tag bei der Polizei angezeigt. Acht Wochen später erhielt der Italiener einen Strafbefehl wegen Bedrohung über 2000 Euro, gegen den er Einspruch einlegte. Er sei davon völlig überrascht gewesen, und habe zusammen mit seiner Lebensgefährtin anhand des Datums erst einmal rekonstruieren müssen, was für ein Vorfall gemeint sei.

Warum die Rentnerin überhaupt die Geste auf sich bezogen hatte, wurde schnell klar: Sie hatte ihre Nachbarn erst eine Woche zuvor beim Tierschutzverein verpetzt und befürchtete, dass man sie deswegen in Verdacht habe. Denn angeblich hätten sie ihrem Hasen, den sie der Tochter geschenkt hatten, weder Obst noch Gemüse gegeben. Zwei Damen vom Tierschutzverein kamen umgehend vorbei und stellten fest, dass es dem Hasen an nichts fehle. Wer sie geschickt habe, durften sie nicht verraten, aber die Rentnerin befürchtete, das könnten sie sich denken.

Die Lebensgefährtin des Angeklagten sagte aus, sie stritten öfter und "gern" miteinander. Und wenn der Streit laut und auf italienisch geführt werde, höre sich das manchmal wilder an, als es gemeint sei. An jenem Tag habe sie ihm Vorwürfe gemacht, weil er den Garten noch nicht aufgeräumt habe. Die Taufe der Tochter sei eine Woche später geplant gewesen und sie wollte, dass bis dahin alles schön sei, wenn die Gäste kämen. Dass die Nachbarin den Streit vom Balkon aus mitbekommen habe, habe sie nicht bemerkt, denn sie selbst sei in der offenen Tür zum Garten gestanden und habe die Nachbarin gar nicht gesehen.

Staatsanwalt Marc Orgel hielt dennoch die Rentnerin für glaubhafter. Laut ihrer Aussage habe der Angeklagte bei der Geste des Halsabschneidens bewusst in ihre Richtung geblickt und im Kontext mit der Anzeige beim Tierschutzverein sei auch ein Anlass gegeben gewesen. Von daher seien 50 Tagessätze zu je 40 Euro für den Tatbestand der Bedrohung angemessen.

Jörg Sklebitz, der Rechtsanwalt des Angeklagten, sah das anders. Die Rentnerin habe kein Wort von dem verstanden, was der Angeklagte gesagt habe und den Streit fälschlicherweise auf sich gemünzt. Zudem stehe Aussage gegen Aussage, das reiche für eine Verurteilung nicht aus.

Richter Björn Schindler sprach den Angeklagten frei. Er sagte, er halte die Rentnerin zwar ebenfalls für glaubwürdiger, "aber das reicht nicht".

© SZ vom 28.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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