Amtsgericht Erding:Der Anwalt lässt auf sich warten

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Weil er wegen "nervösen Depressionen" reiseunfähig ist, muss ein Verfahren wegen Untreue ausgesetzt werden. Sein Mitangeklagter schiebt die Schuld auf ihn. Er habe ihm eine falsche Auskunft gegeben

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Es gibt Rechtsfälle, bei denen sich Staatsanwältin und Richterin lange fragend ansehen, weil beide nicht genau wissen, wie man das Verfahren zu einem sinnvollen Abschluss führen kann. Das Problem, vor dem beide standen, tauchte schon vor der Eröffnung des Verfahrens wegen Untreue auf. Einer der beiden Angeklagten, ein Rechtsanwalt aus München, hatte sich kurzfristig mit einem ärztlichen Attest vor der Verhandlung sozusagen krank schreiben lassen und war erst gar nicht erschienen. Der zweite Angeklagte, ein Verwalter einer Wohnungseigentümergemeinschaft, war zwar anwesend; sein Verteidiger beharrte aber darauf, dass sein Mandant von dem Anwalt falsch beraten worden sei und nur deshalb 10 894 Euro vom Konto der Gemeinschaft abgebucht habe und nicht von seinem. Ohne Aussage des kranken Anwalts sah sich deshalb Richterin Michaela Wawerla gezwungen, das Verfahren auszusetzen, bis der Anwalt wieder gesund sei.

Doch das kann dauern. Denn laut dem in Englisch verfassten Attest ist der angeklagte Rechtsanwalt mindestens die nächsten zwei Monate nicht reisefähig, weil er unter "nervöser Depressionen" leide und deshalb Medikamente nehmen müsse, wie die Richterin aus dem Attest vorlas. Beim Gespräch mit seinem Verteidiger habe sie den Eindruck gewonnen, dass es durchaus länger dauern könne, ehe der Mitangeklagte reisefähig sei. Es sei ihrer Kenntnis nach auch nicht das erste Mal, dass er ein Attest bei Verfahren vorgelegt habe, deshalb entschied sie sich - gegen den Protest des Verteidigers - den Prozess gegen den Verwalter abzutrennen und als eigenständiges Verfahren fortzuführen. Auch deshalb, weil sie die Befürchtung hege, dass es der Rechtsanwalt vielleicht auf eine dauerhafte Verfahrensunfähigkeit anlegen könnte.

Auch der Auslöser der Anklage wegen Untreue war schon rechtlich umstritten. Der Verwalter hatte von einem der Miteigentümer der Wohnanlage den Auftrag erhalten, auf die Tagesordnung der nächsten Versammlung einen für ihn äußerst delikaten Punkt zu setzen: Es sollte darum gehen, dass er auf eigene Kosten alle erhobenen Gebühren der vergangenen Jahre prüfen lassen sollte. Dagegen wehrte er sich, und der von ihm beauftragte Rechtsanwalt, der erkrankte Mitangeklagte, erwirkte dagegen einen einstweilige Verfügung - und schickte mehrere Kostenrechnungen, die der Verwalter vom Konto der Gemeinschaft an ihn überwies.

Nach Meinung der Staatsanwältin, auch Richterin Wawerla ließ erkennen, dass sie die Meinung teile, habe dies den Tatbestand der Untreue erfüllt, weil er nur den Anwalt in seiner Eigenschaft als Person des Verwalters beauftragt habe, also in seinem Sinne, nicht aber im Auftrag der Wohnungseigentümergemeinschaft. Er hätte die Rechnungen von seinem eigenen Konto überweisen müssen.

Und an dem Punkt setzte der Verteidiger an. Sein Mandant habe sich auf die Aussage seines Rechtsanwaltes verlassen, und der habe ihm gesagt, dass er im Sinne der Gemeinschaft bei seiner Beauftragung tätig gewesen sei. Schließlich hätte die kurzfristige Aufnahme des Tagesordnungspunkte weitere Kosten verursacht. Und das habe er geglaubt und ihm die zusammen fast 11 000 Euro vom Gemeinschaftkonto überwiesen - was damit auf die Annahme eines "Verbotsirrtums" hinaus laufe. Sein Mandant habe keine Kenntnis von der Widerrechtlichkeit seiner Handlung gehabt.

Doch ohne eine Aussage des Rechtsanwaltes kann dies weder bestätigt noch wiederlegt werden. "Wir waren leider nicht dabei, als die zwei miteinander redeten. Und wir können keine Unterstellungen machen", sagte die Amtsrichterin. Das Verfahren wurde deshalb ausgesetzt, bis der Rechtsanwalt wieder reisefähig ist. Auch ein Zivilverfahren hängt davon ab, da die Eigentümer natürlich die 10 894 Euro wieder zurückhaben wollen.

© SZ vom 05.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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