80 Prozent der Insekten sind verschwunden:Naturschutzgebiete allein reichen nicht

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Ein Bläuling an einer Wicke, ein seltener Anblick, denn 80 Prozent der schönen Schmetterlinge sind in den vergangenen Jahren verloren gegangen. (Foto: Nautilusfilm)

Seit das Insektensterben in der Öffentlichkeit bekannt geworden ist, wächst das Interesse an dem Thema. Der Dorfener Naturfilmer Jan Haft setzt sich für mehr Biodiversität ein

Von Thomas Daller, Dorfen

"Insekten gehen gar nicht", war früher ein häufig geäußerter Spruch unter Naturfilmschaffenden. Doch mit dem Insektensterben, das im vergangenen Jahr erstmals in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wurde, gilt dieser Satz nicht mehr uneingeschränkt. Der renommierte Dorfener Naturfilmer Jan Haft hat bereits 2017 zwei Insektenfilme fertig gedreht: einen über Wildbienen und einen weiteren über Schmetterlinge. "Auf einmal wächst das Interesse an beiden Filmen enorm", stellt Haft fest. "Wir werden eingeladen zu Filmvorführungen vor Vertretern aus Naturschutz, Gesellschaft und Politik." Nun steht ein weiterer Film auf seiner Agenda, ein Großprojekt über das Verschwinden der Blumenwiesen, das er und sein Team bis Ende 2018 abschließen wollen. Ebenfalls bis Ende 2018 soll ein Film über heimische Bäche abgedreht werden - ein weiterer Lebensraum, der massiv bedroht ist.

Haft hofft, dass die Aufmerksamkeit für das Verschwinden der Insekten nicht nur ein kurzes mediales Strohfeuer ist und dann wieder in Vergessenheit gerät. Denn das Thema sei ziemlich ernst. "Vier Fünftel unserer Insekten der Feldflur, draußen auf dem Land, sind verschwunden. Dabei sind nicht nur 80 Prozent der schönen Schmetterlinge und bunten Grashüpfer verloren gegangen. Es ist auch vier Fünftel der Biomasse weg, auf die Vögel, Fledermäuse und andere etwa bei der Jungenaufzucht angewiesen sind. Kein Wunder, dass selbst Allerweltsarten von einst, wie die Feldlerche, vielerorts verstummt sind. Eine Insektenvielfalt kann sich nur in einem Mosaik aus stark genutzten, extensiv genutzten und ungenutzten Flächen entwickeln." Naturschutzgebiete allein, die in Deutschland einen Flächenanteil von etwa vier Prozent und in Bayern von 2,3 Prozent hätten, könnten nicht die Insekten-Biomasse für das ganze Land produzieren.

Insekten als Bestäuber, Insekten als Nahrung für andere Tiere und Insekten als Lebensform mit einem eigenen, angestammten Existenzrecht müssten sich also in der Landschaft entwickeln können, so der Naturfilmer: "Und da sieht es düster aus. Viele kennen dieses plakative Beispiel aus eigener Anschauung. Fuhr man früher sommers übers Land, musste man immer wieder die Windschutzscheibe von einer schmierigen Schicht überfahrener Insekten säubern. An den Tankstellen gab es spezielle Schwämmchen und Insektenlöser. Heute entfallen diese Reinigungsarbeiten meist, so gering ist die Insektendichte vielerorts. In Deutschland sind über 60 Millionen Fahrzeuge zugelassenen. Die legen auf unseren Straßen jährlich eine Strecke von mehr als 700 Milliarden Kilometer zurück. Die Zahl der dabei erschlagenen Insekten - ob häufig oder streng geschützte Art - ist schier unermesslich groß. Und Straßen werden immer mehr, sogenanntes Ödland dagegen immer weniger. Auch hier im Isental, wo wir beobachten dürfen, wie die A 94 durch die Landschaft betoniert wird."

Vielleicht gelinge es ja dennoch, den nötigen Druck aufzubauen, damit der Gesetzgeber Anreize oder Regelungen schafft die dafür sorgen, dass der Umgang mit unserem Land nicht nur dem technisch Möglichen entspreche, sondern auch dem Schutz der Artenvielfalt diene.

Die überlebensnotwendigen Subventionen für landwirtschaftliche Betriebe sollten andere Kriterien haben als bisher. Biodiversität sollte zum Agrarprodukt werden, das Landwirte bei erfolgreichem Anbau vergütet bekommen. So könnte ein Bauer mit Hanglagen und Sandboden vielleicht auf einem Teil seiner Flächen "Wildbienen anbauen". Ein anderer vielleicht wiesenbrütende Vogelarten und gleichzeitig gesundes Heu aus extensiver Nutzung. "Ob die Lebensmittelpreise dadurch unerträglich stark in die Höhe gehen, darf bezweifelt werden", so der Naturfilmer. Anteilnahme für die Belange des Naturschutzes setze voraus, dass man etwas über die Natur wisse, eine Vorstellung davon habe, was drohe verloren zu gehen.

© SZ vom 29.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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