Entsetzen auch in München:MVV: Absolute Sicherheit kann es nicht geben

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Feuerwehr, Polizei und Verkehrsbetriebe halten München für gut gerüstet - die Kontrollen werden verstärkt, Beckstein warnt vor Hysterie.

Von Birgit Lutz-Temsch, Jan Bielicki und Dominik Hutter

Nach den Terroranschlägen in London haben die Münchner Sicherheitsbehörden ihre Bewachungen verstärkt; mehr Polizeibeamte als sonst patroullieren durch Busse und Bahnen. Obwohl eine konkrete Gefahr nicht bestehe, sieht sich Münchens Feuerwehr für den Fall eines Anschlags auf U- oder S-Bahn gut gerüstet. Erst vor vier Wochen habe eine Übung gezeigt, dass die Notfallpläne funktionierten, sagt Feuerwehrchef Wolfgang Schäuble.

Eine bewaffnete Polizistin sichert den Zugang zum Britischen Generalkonsulat in München. (Foto: Foto: AP)

Münchner und Bundespolizei werden verstärkte Präsenz in Bussen und Bahnen zeigen. Auch die ohnehin strengen Sicherheitvorkehrungen am Flughafen würden "in einer maßvollen Weise" noch einmal verschärft, kündigt Bayerns Innenminister Günther Beckstein an. Damit will er vor allem Nachahmungstäter aus dem islamistischen Milieu abschrecken.

Beckstein warnt vor Hysterie

Beckstein warnt jedoch davor, "in Hysterie zu verfallen". Zwar gingen die Sicherheitsbehörden von einer "abstrakt erhöhten Gefahrenlage" auch in Bayern aus, es gebe aber "keinen einzigen Hinweis auf eine geplante Aktion" in Deutschland, sagt der Innenminister.

Aus den Anschlägen in London ergebe sich keine erhöhte Gefährdung für München, bestätigt der Münchner Polizeipräsident Wilhelm Schmidbauer. Unmittelbar nach den ersten Meldungen am Mittag sei die Polizeipräsenz in der Innenstadt erhöht worden; die Überwachung des britischen Generalkonsulats habe man umgehend verstärkt. "Wir haben in München aber ohnehin eine hohe Streifendichte, auch im U-Bahn-Bereich, und seit dem 11. September herrscht generell eine höhere Sensibilisierung in Bezug auf mögliche Anschläge."

Wirksame Terrorabwehr beschränke sich nicht auf kurzfristige Reaktionen auf Anschläge, vielmehr müsse eine "kontinuierliche Auswertung und Analyse des Terrors" stattfinden, um diese in Sicherheitskonzepte umzusetzen.

Die Stadt hält sich bereit

Auch Oberbürgermeister Christian Ude kündigt an, dass Sicherheitsvorkehrungen in der Stadt verstärkt würden. Einzelheiten wollte Ude ausdrücklich nicht nennen - "aus Sicherheitsgründen". Der OB wäre in einem Katastrophenfall als Chef eines "Stabes für außergewöhnliche Ereignisse" oberster Einsatzleiter der Rettungskräfte.

Die Rettungsdienste der Stadt sehen sich "so gut wie nur möglich auf solche Großschadensereignisse vorbereitet", erklärt Wolfgang Schäuble, der Chef der auch für Katastrophenschutz zuständigen Berufsfeuerwehr: "Wir halten regelmäßig Übungen in S- und U-Bahn ab und arbeiten ständig an unseren Einsatzplänen."

Ernstfall in Fröttmaning durchgespielt

Erst vor vier Wochen hat die Feuerwehr in einer Übung auf dem U-Bahn-Betriebshof Fröttmaning durchgespielt, was passiert, wenn nach einer Explosion gut hundert Verletzte aus der U-Bahn zu bergen sind. Die Notärzte, Sanitäter und übrigen Einsatzkräfte der Feuerwehr übten die Einrichtung eines Verbandsplatzes und den Abtransport der Verletzten.

"Es hat gut funktioniert", sagt Schäuble. Die Stadt habe die Feuerwehr seit dem Anschlag auf das New Yorker World Trade Center so aufgerüstet, dass wir " gut gewappnet sind".

Im Ernstfall würde die integrierte Rettungsleitstelle der Feuerwehr sofort Einsatzteams, Rettungswagen und Notärzte zum Ort des Anschlags bringen. Gleichzeitig würde in der Leitstelle der so genannte "Stab der Gefahrenabwehrleitung" zusammentreten, um Polizei, Krankenhäuser und andere Retter wie Sanitätsdienste oder Technisches Hilfswerk zu alarmieren und den Einsatz aller Kräfte zu koordinieren.

Sicherheit auf Kosten der Funktionsfähigkeit

Bei der MVG wurden vorsorglich alle U-Bahn-Fahrer per Funk über die Ereignisse in London informiert und um erhöhte Wachsamkeit gebeten. Absolute Sicherheit, das machte MVG-Chef Herbert König klar, kann es aber in Massenverkehrsmitteln nicht geben - schließlich müsse deren Funktionsfähigkeit gewahrt bleiben.

Dennoch gilt schon seit geraumer Zeit die Order, verstärkt auf herrenlose Gegenstände zu achten. Zudem existiert für jede Station ein Notfallplan, in dem auch die Evakuierung geregelt ist. Bei den Rettungskräften sind spezielle Einsatz- und Lagepläne hinterlegt.

U-Bahn verfügt über hohes Sicherheitsniveau

Technisch befindet sich die Münchner U-Bahn auf einem sehr hohen Sicherheitsstandard. Sämtliche Stationen sind videoüberwacht. Die Situation, dass sich Passagiere plötzlich im Stockfinstern wiederfinden, wird durch automatische Notstromaggregate für die Tunnel- und Bahnhofsbeleuchtung vermieden. Im Innern der Züge sowie an den Bahnhöfen ist zudem Batteriebetrieb möglich.

Aufzüge stoppen nicht plötzlich, sondern können über eine Notstromversorgung noch den oberen Ausstieg erreichen. Aber auch die "normale" Stromversorgung ist doppelt und dreifach abgesichert und daher kaum zu kappen.

Sollte ein Zug im Tunnel evakuiert werden, müssen die Fahrgäste nicht wie in London zur nächsten Station, sondern über Notwege maximal 300 Meter zum nächsten Notausstieg gehen. Selbst im Falle eines totalen Stromausfalls, so Betriebsleiter Günter Pedall, würden die Fahrer aber versuchen, den Zug bis zur nächsten Haltestelle ausrollen zu lassen - dort ist die Evakuierung einfacher.

Das Signalsystem bleibt über Batterie zumindest eine Zeitlang noch funktionsfähig. Bei Evakuierungen werden grundsätzlich Helfer von außen angefordert, die älteren oder behinderten Fahrgästen zu Seite stehen.

Normalbetrieb am Flughafen

Am Flughafen herrschte gestern Normalbetrieb. Da die Londoner Airports offen blieben, sah man auch in München keinen Anlass, die Verbindungen einzustellen. Die Sicherheitskräfte waren aber informiert und verstärkten ihre Präsenz.

© SZ vom 8.7.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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