Energie:Aus dem Schlot eine Tugend machen

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Die ÖDP will per Bürgerbegehren erreichen, dass im Heizkraftwerk Nord keine Kohle mehr verbrannt wird. Doch nicht einmal die Grünen ziehen mit

Von Heiner Effern

Die ÖDP will die Stadtwerke mit einem Bürgerbegehren dazu zwingen, bis zum Jahr 2022 aus der Strom- und Wärmeproduktion mit Steinkohle auszusteigen. Seit Freitagmittag sammelt die Partei mit etwa 40 Bündnispartnern dafür Unterschriften. Bis Mitte des nächsten Jahres sollen 30 000 vorliegen, so viele sind nötig, um einen Bürgerentscheid abhalten zu können. "Das Steinkohlekraftwerk der Stadtwerke ist hoch klimaschädigend", sagt Michael Schabl, der für die ÖDP die Kampagne leitet. Es stoße mehr Kohlendioxid aus, als alle Autos und Lastwagen in München zusammen. "Das ist unnötig und läuft allen ökologischen Entwicklungen entgegen", ergänzt Thomas Prudlo, Vorsitzender der ÖDP in München.

Der mit Steinkohle betriebene Block 2 des Heizkraftwerks Nord in Unterföhring spielt in der Münchner Energiebilanz eine wesentliche Rolle. 17 Prozent aller CO₂-Emissionen der Stadt kommen aus seinen Schloten. Dass das Kraftwerk rasch abgeschaltet wird, war der ÖDP nach der Kommunalwahl 2014 so wichtig, dass sie wegen der Uneinigkeit in dieser Frage die Koalitionsverhandlungen mit SPD und Grünen platzen ließ. In diesem Frühjahr hat der Stadtrat sogar beschlossen, das umstrittene Kraftwerk vorerst ohne zeitliches Limit am Netz zu lassen - möglicherweise bis zum Jahr 2035. "Wir glauben, dass der Münchner da eine ganz andere Meinung hat als der Stadtrat", sagt Prudlo.

Grundlage dieser Stadtrats-Entscheidung war ein gemeinsames Gutachten der Stadtwerke und des Öko-Instituts. Darin heißt es, dass ein Ausstieg nur sinnvoll sei, wenn er zumindest bundesweit abgestimmt ist. Zudem würde ein sofortiges Abschalten des Steinkohleblocks die Stadtwerke viel Geld kosten: Bis zu 600 Millionen Euro könnte dieses Szenario demnach kosten. Bei einem Ausstieg bis 2025 wären es immer noch bis zu 380 Millionen Euro. In vier Jahren sollen diese Szenarien noch einmal überprüft werden.

Im Rathaus hat die ÖDP außer der Linken, ihrem Fraktionspartner, bisher keine Unterstützer gefunden. Nicht einmal die Grünen, die das gleiche Ziel verfolgen, wollen dem Bündnis beitreten. "Wir haben uns mehrfach zu langen Gesprächen mit der ÖDP getroffen. Danach haben wir uns entschlossen, dass wir uns nicht beteiligen", sagt Stadtchef Hermann Brem. Der Weg der ÖDP sei nicht der Weg der Grünen. Diese wollen die Kapazität des Steinkohlekraftwerks jedes Jahr um zehn Prozent verringen, sodass es 2025 komplett vom Netz genommen werden kann. Zudem stünden womöglich mit dem Tunnel am Mittleren Ring und der dritten Startbahn am Flughafen weitere Bürgerentscheide an, bei denen die Grünen ihre Kräfte bündeln müssten, sagt Brem. Ausdrücklich verneint er aber, dass diese Haltung eine Retourkutsche wegen der geplatzten Koalitionsverhandlungen sein könnte.

Deutliche Kritik kommt dagegen von CSU und SPD. "Ich halte nichts von dem Bürgerbegehren, weil dieser Weg nicht zum Ziel führt", sagt Bürgermeister und Wirtschaftsreferent Josef Schmid (CSU). Die Stadt wolle bis 2025 mit regenerativen Anlagen so viel Energie produzieren, wie sie verbraucht. Das gehe nur mit entsprechenden Investitionen, etwa in Windparks. Das Geld dafür würde aber fehlen, wenn der bereits abgeschriebene Steinkohleblock schnell abgeschaltet würde. "Es geht hier also nicht um schnöden Mammon gegen Ökologie." Noch schärfer äußert sich der SPD-Bundestagabgeordnete Florian Post, energiepolitischer Sprecher der Landesgruppe in Berlin. Das Bürgerbegehren der ÖDP sei ein besonderer Gau für München, erklärt er: "der größte anzunehmende Unsinn". Der geforderte schnelle Ausstieg "zeugt von einer derartigen Unkenntnis über die elementarsten energiewirtschaftlichen Zusammenhänge, dass es beinahe schon wieder lustig ist". Im Vergleich zu anderen Steinkohlekraftwerken sei das Münchner effizient und sauber. Die hohen Kosten für den Ausstieg 2022 müssten alle Münchner tragen. "Das wirkt sich direkt auf den Stadthaushalt aus."

ÖDP und Linke bestreiten nicht, dass es schlimmere Dreckschleudern unter den deutschen Kraftwerken gibt. Ihnen geht es um eine prinzipielle Frage. "München kann da Vorbild sein", sagt Linken-Stadträtin Brigitte Wolf. Die ÖDP hält zudem die Zahlen der Stadtwerke für unseriös und stützt sich dabei auf die Berechnungen von Helmut Paschlau, der nach eigenen Angaben den Bau dieses Kraftwerks bei den Stadtwerken einst verantwortete, nun aber die Seiten gewechselt hat. Die hohen Summen bei einem Ausstieg ergäben sich allein durch die "Spekulation auf einen günstigen Steinkohlepreis und billige CO₂-Emissionszertifikate". Es gebe jedoch keinerlei Garantien dafür. Der Ausstieg sei entgegen der Meinung der Stadtwerke auch technisch machbar, weil der Strom durch alternative Energien und mehr Gaskraft zu gewinnen sei, die nötige Kapazität für die Fernwärme könne man durch den Bau von Geothermieanlagen ausgleichen.

Deshalb sieht die ÖDP die Zeit als reif dafür an, alle Münchner in einem Bürgerentscheid darüber abstimmen zu lassen. Folgende Frage will sie stellen: "Sind Sie dafür, dass der Block 2 (Steinkohlekraftwerk) des Heizkraftwerks Nord bis spätestens 31.12.2022 stillgelegt wird?" Am Freitag, dem Starttag für das Begehren, gab sich die ÖDP zuversichtlich, dass ihr die Münchner folgen werden. "Das Thema hat Kraft", sagt Kampagnen-Chef Schabl. "Wir auch."

© SZ vom 28.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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