Ende einer Institution:Letzte Lacher

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Wer im Kabarett wichtig ist, begann oft beim "Kaktus". Jetzt geht der Wettbewerb in seine 30. und letzte Ausgabe

Von Oliver Hochkeppel

Als "Münchens ältestes Kabarettfestival" kündigte die SZ vor ein paar Jahren einmal den "Kabarett Kaktus" an. Was streng genommen nicht ganz stimmt, denn es handelt sich ja um einen Nachwuchswettbewerb. Andererseits ist es auch nicht ganz falsch. Einmal, weil es neben den Kandidatenrunden auch immer einen Abend mit den Preisträgern des vergangenen Jahres und einen "Wien-Abend" gibt. Und weil die Sache vor 30 Jahren tatsächlich als eine Art offene Bühne mit Festivalcharakter los ging, bevor daraus vier Jahre später ein Wettbewerb wurde.

Damals, Ende der Achtziger, herrschte an kritischem politischem Kabarett kein Mangel, aber an Aufmerksamkeit und Auftrittsmöglichkeiten. Das bekamen auch Helmut Schleich, Christian Springer und Andreas Rüttenauer zu spüren, die noch als Schüler ihr Trio "Kabarett Fernrohr" gegründet hatten und als eine der bissigsten jungen Truppen unterwegs waren. Ihr Musiklehrer am Gisela-Gymnasium brachte sie mit seinem Freund Albert Kapfhammer zusammen, der als Sozialpädagoge für den Verein "Kultur & Spielraum" arbeitete - und eine Idee hatte. Auf der Suche nach Depoträumen für die Platz-raubenden Vereinsprojekte wie "Mini-München" oder die "Kinder-Uni" war er auf die seit zwei Jahren leer stehenden Ritterwerke in Pasing gestoßen. Die sollten ein Parkhaus werden, bis dahin aber ließ die Stadt den Verein herein. Und so schlug Kapfhammer den drei zu ihrer Begeisterung vor, dort ein kleines Kabarettfestival zu veranstalten.

Aus dem Parkhaus wurde bekanntlich das Kulturzentrum "Pasinger Fabrik", und der wegen des vom Grafiker Hansjörg Langenfass entworfenen Logos so benannte "Kabarett Kaktus" eine Institution - als Anlaufstelle für die interessantesten Kleinkunst-Talente des deutschsprachigen Raumes. Auch Kapfhammer selbst wuchs daran: Zwar stammte er aus Passau und der Generation von Sigi Zimmerschied und Bruno Jonas, doch mit Kabarett hatte er bis dahin wenig zu tun gehabt. Nun wurde er zum Experten. Es kam vor, dass ihm die Jury die Sieger verkündete, und Kapfhammer exakt diese Namen schon auf die Urkunden geschrieben hatte.

Falk Plücker (links) 2016, als er zusammen mit Nektarios Vlachopoulos den Münchner "Kabarett Kaktus" gewann. (Foto: Albert Kapfhammer/Veranstalter)

438 Nachwuchskabarettisten stiegen in 30 Jahren auf die Bühne der Wagenhalle, von Kapfhammer, Schleich und Springer (Rüttenauer hatte sich bald nach Berlin verabschiedet, wo er bis heute für die taz arbeitet) nach strengen Kriterien vorausgewählt: nicht älter als 35, mit maximal einem richtigen Programm im Kreuz und mit erkennbarem Talent. Heuer kommen noch 13 dazu, von einer Alexandra Kraus bis zu einem Juri von Stavenhagen - dann ist Schluss. Denn die um einen (wie der Abschlussabend bereits ausverkauften) von früheren Preisträgern und Überraschungsgästen bestrittenen Jubiläumsabend erweiterte 30. Ausgabe wird zugleich die letzte sein. Die Gründe sind vielfältig. Zum einen geht Kapfhammer im richtigen Beruf in Rente. Vor allem aber hat sich die Szene verändert.

Ein Indiz dafür führt nach Wien. Kapfhammer ist, seit er zu den Kunststudiumszeiten seiner Frau einmal dort lebte, ein großer Wien-Fan und -Kenner. So schloss er den Kaktus mit der Wiener Kabarettszene kurz. So gab und gibt es hier die Abende mit Wiener Kabarettisten, im Gegenzug saß Kapfhammer in der Jury des (sinnigerweise ebenfalls in diesem Jahr eingestellten) Wiener Nachwuchswettbewerbs "Nagel", und die Kaktus-Preisträger bekamen Wien-Gastspiele, die dank der speziellen Führungen Kapfhammers immer etwas Besonderes für den Nachwuchs wie für mitreisende Juroren waren. Dass diese "Klassenfahrten" vor einigen Jahren vor allem wegen des mangelnden Interesses der Preisträger einschliefen, war vielleicht schon der Anfang vom Ende. Zumindest verdeutlichte das einen nicht nur positiven Professionalisierungstrend, den man auch daran ablesen kann, dass seit ein paar Jahren Bewerbungen vorwiegend nicht mehr von Nachwuchskabarettisten selbst, sondern von den Agenturen kommen.

Das aber konterkariert den Ansatz des Kabarett Kaktus: Dass man im beschaulichen Pasing binnen einer Woche wie unter dem Brennglas die nahe Zukunft der Szene vorgeführt bekam, ob es das Auftauchen und der wachsende Einfluss der Poetry-Slammer war oder die Renaissance des Musikkabaretts. Vom Personal ganz zu schweigen - die große Mehrheit der Kabarettisten, die heute den Ton angeben, haben ja einst hier gewonnen, von Django Asül oder Maxi Schafroth über Tobias Mann oder Marc-Uwe Kling bis zu Matthias Egersdörfer oder Claus von Wagner. Das ist umso bemerkenswerter, weil der Kaktus von Anfang an undotiert war, von der kleinen Kaktuspflanze mal abgesehen, die bei manchen heute Zimmergröße und damit eine beachtliche Wertsteigerung erlangt hat. Auftritte auf den renommierten Münchner (und eben Wiener) Bühnen waren der Lohn, und natürlich das Renommee, das sich der Kaktus über die Jahre erworben hat und das er dadurch an seine Preisträger weitergeben konnte. Ein Anachronismus in einer Zeit, in der Wettbewerbe so eine Art Grundsicherung für Kabarettisten geworden sind: Es gibt bald mehr Preise als Kabarettisten.

Die jugendlichen "Kabarett Kaktus"-Gründer und -Macher Albert Kapfhammer, Helmut Schleich und Christian Springer (von links nach rechts) sind amtsmüde geworden. (Foto: Albert Kapfhammer, Veranstalter)

Der Kaktus war da mitunter ein Korrektiv. Zum Beispiel, als die Landeshauptstadt nach dem Tod des Kabarett-Übervaters einen "Dieter-Hildebrandt-Preis der Landeshauptstadt München für Nachwuchskabarettisten" ins Leben rufen wollte, jährlich und in den drei Kategorien Solo, Ensemble und Musikkabarett. Welch größeren Tort hätte man jungen Nachwuchskabarettisten antun können, als ihnen den Namen Dieter Hildebrandts auf den Buckel zu schnallen; und wie hätte Hildebrandt selbst im Grab rotieren müssen angesichts mancher, die dann in seinem Namen geehrt worden wären. Mit dem Verweis auf den Kaktus konnte das verhindert werden.

So gilt es nun, Abschied zu nehmen von einer Institution, die mitgeholfen hat, die Bedeutung der Kabarettstadt München zu fördern und aufrecht zu erhalten. Nachlachende Frohstoffe, um es à la Willy Astor zu formulieren, wird es auch in Zukunft geben. Und Wettbewerbe, in denen sie zu sehen sind, sicher auch. Vermutlich - dies als letzte, ebenfalls nicht unbedeutende Besonderheit - aber keine mehr, in denen eine Jury eine ganze Woche lang um die Bewertung ringen muss. Aber der Trend geht nun einmal zur Beschleunigung.

30. Kabarett Kaktus , Freitag, 23. November, bis Sonntag, 2. Dezember, Pasinger Fabrik, August-Exter-Straße 1 .

© SZ vom 23.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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