Einzigartiges Spektakel:Riesenschweinerei

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Das jährliche Schlachtschüsselessen, bei dem sich Bürgermeister und Journalisten ungeniert zum Affen machen, ist legendär.

Von Manfred Hummel, Starnberg

Gespanntes Schweigen im voll besetzten Saal des Andechser Klostergasthofs: Beate I., Weinprinzessin aus der Pfalz, ist von einem Räuber auf die Roseninsel entführt worden. Dort harrt die Holde ihrer Rettung. Sie naht in Person von "Super-Carlo". Der Vorhang teilt sich, heraus fliegt der Held im typischen Outfit. Den Schub bringen Funken sprühende Wunderkerzen an seinen Fersen. Das Publikum biegt sich vor Lachen, großer Applaus. Man kennt sich. Als Prinzessin verkleidet, räkelt sich Bergs Bürgermeister Rupert Monn lasziv auf einer aufblasbaren Badeinsel. Super-Carlo alias Peter Flach, Bürgermeister von Wörthsee, strahlt vor Freude über den gelungenen Coup.

Wir befinden uns im Jahr 2008. Was bringt g'standene Dorfbürgermeister dazu, sich zum Affen machen? Das liegt an einer überaus exklusiven Gesellschaft, die es einmal im Jahr hinter verschlossenen Türen so richtig krachen lässt. "Liebe Gemeindechefs, Schreibtischtäter und Zeitungsschmierer, ich darf Sie zur traditionellen Jahresschweinerei recht herzlich begrüßen. Endlich ist wieder die Stunde der Sau gekommen", lautete einmal die Begrüßung. Gemeint ist das legendäre Schlachtschüsselessen. Einmal im Jahr treffen sich die Bürgermeister des Landkreises, der Landrat und seine Entourage, die Lokalpresse, Vertreter von Banken und Sport zum geselligen Beisammensein. Heuer zum 46. Mal. Immer um den Nikolaustag herum. Immer abwechselnd in einer Gemeinde, die über einen Saal mit Bühne verfügt. Eigentlicher Anlass ist die letzte von fünf übers Jahr verteilten Dienstbesprechungen, die der Landrat mit den 14 Bürgermeistern des Landkreises abhält. Damit man danach nicht hilflos der stillen Zeit ausgeliefert ist, äußert Landrat Rudolf Widmann 1971 in kleiner Runde die Idee, sich nach dem Dienstlichen mit den Damen und Herren von der Presse noch zu Speis und Trank zusammen zu setzen. Bürgermeister Josef Grenzebach (Pöcking) stiftet spontan eine Sau. Die "Riesenschweinerei", so eine Zeitungsschlagzeile, ist geboren. Weil aber nur Essen und Trinken mit der Zeit langweilig werden, wünscht die Runde Unterhaltung. Fritz David vom Landratsamt macht den Anfang, erinnert sich der damalige Sprecher Albert Panke. In Gestalt des Komikers Emil Steinberger und dessen trockenen Telefonsketchen zieht David die Protagonisten der Kreispolitik in Schwyzerdütsch durch den Kakao. Die Runde trällert auch deftige G'stanzl, die manchen so Bedachten blass werden lassen. Widmann wird später die Entstehung des Schlachtschüsselessens so beschreiben: "Erst hamma gess'n, dann hamma gess'n und gsuffa, dann hamma gess'n, gsuffa und Gedichterl glesen, dann hamma gess'n, gsuffa, Gedichterl glesen und gsunga. Und dann hamma Theater gspuit."

Tutzings Altbürgermeister Alfred Leclaire: "Ich würde sofort wieder ja sagen."

Die Gemeindechefs finden es bald fad, dass immer nur sie für die Gaudi zuständig sein sollen. "Die Presse muss ran!" Fortan wechseln sich die Redaktionen der damals noch drei Starnberger Zeitungen mit den Bürgermeistern ab. So entsteht eine weit und breit einmalige Mischung: Das ganze Jahr über beharkt man sich gegenseitig nach Kräften, um dann beim Theaterspiel herzhaft übereinander zu lachen. Beide Seiten versuchen, sich auszustechen. Sie setzen damit eine Spirale in Gang, die 1987 im Aufkirchener Postsaal in der aufwendigen Produktion "Wetten dass..." gipfelt. "Ich krieg heute noch Bauchweh, wenn ich an die Kosten denke", sagt Peter Wiedemann, damals als Sprecher des Landrats verantwortlich. Es ist eine der raren Aufführungen, die sogar öffentlich vor ausverkauftem Haus über die Bühne gehen.

In beiden Schauspieltruppen leuchten komödiantische Talente auf. Die Landräte Widmann, Heinrich Frey und später Karl Roth geben ihr Bestes. Ebenso die zahlreichen Bürgermeister, am ausdauerndsten wohl Alfred Leclaire aus Tutzing. Er spielt mehrmals SZ-Redaktionsleiter Gert Sarring und Landrat Frey. "Ich vermisse das", sagt der heute 82-Jährige, "ich würde sofort wieder ja sagen." Auf Seiten der Presse bleiben Merkur-Chefredakteur Karl Schermann und Kollegin Michaela Scharf als vollendete Conferenciers in Erinnerung. Unvergessen Wolfgang Roths "Professor Mehltau" auf Seiten der SZ. Die Lokalpolitiker karikiert der schrullige Wissenschaftler mit Tiernamen wie den "Cricetinus Starenbergienis Widmann", vulgo "großer Seenhamster".

Die Theaterspieler in den Rathäusern und Redaktionen haben eines gemeinsam: keine Zeit. Die wenigen Proben finden nie in kompletter Besetzung statt. "Erst bei der Premiere stehen alle auf der Bühne", sagt Pressesprecher Stefan Diebl, der seit 1995 die Aufführungen organisiert. Zur Seite steht ihm SZ-Redakteur Erich C. Setzwein als Autor und Regisseur. Das nächste Schlachtschüsselessen ist bereits terminiert und es werden noch viele folgen. Das ist man schon der Fraktion schuldig, die mittlerweile vom Himmel aus das jährliche Spektakel verfolgt.

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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