Einfach weg:Kommen und Gehen

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Die Fluktuation erschwert die Arbeit in Übergangsklassen zusätzlich

Von Melanie Staudinger, München

Plötzlich war Maja verschwunden. Ihr Platz in der Übergangsklasse einer Giesinger Mittelschule blieb leer. Daheim meldete sich niemand. "Natürlich macht man sich Sorgen", sagt ihr Klassenleiter Harun Lehrer, interkultureller Berater des Münchner Lehrerverbands. Der Pädagoge fragte bei Mitschülern nach. Es stellte sich heraus, dass Majas Familie nicht länger in Deutschland bleiben durfte. Sie stammt aus China, die Eltern haben eine Arbeitserlaubnis in Spanien, nicht aber in München. Als der Ablehnungsbescheid kam, schickten die Eltern das Mädchen nicht mehr zur Schule - aus Angst vor den Behörden. Lehrer sprach mit der Familie. Maja solle doch, solange sie noch hier seien, in die Schule kommen. Alleine daheim herumzusitzen, bringe schließlich niemanden weiter. Zwei Wochen lang kam das Mädchen noch zum Unterricht, dann blieb ihr Stuhl für immer leer. Die Familie war nach Spanien zurückgekehrt.

Maja heißt in Wirklichkeit anders, doch ihr Fall steht stellvertretend für die vielen anderen Kinder und Jugendlichen, die ihre Klasse verlassen müssen, weil ihnen oder ihrer Familie die Aufenthaltsgenehmigung fehlt: Flüchtlinge, Arbeitsmigranten aus Osteuropa, illegale Einwanderer. Nicht täglich, aber von Zeit zu Zeit passiere das, sagt Lehrer. "Dieses Kommen und Gehen ist belastend für eine Klasse", erklärt der Pädagoge, der selbst eine Übergangsklasse an der Mittelschule an der Ichostraße unterrichtet. In seiner Klasse sitzen alle Schüler, die noch nicht ausreichend Deutsch können, um dem regulären Unterricht zu folgen. Manche waren in ihrer Heimat auf einer Schule, die dem deutschen Gymnasium ähnelt, andere wiederum können weder lesen noch schreiben. Manche fangen zu Schuljahresbeginn an, andere wiederum kommen unter dem Jahr. Schulpflichtig sind in Deutschland alle Kinder, die seit drei Monaten hier leben. Immer wieder fehlen Schüler, weil sie ihre Eltern zu Ärzten, Anhörungen oder zu Behörden begleiten und für sie übersetzen müssen.

Am Anfang seien Abschiebungen oder Rückführungen eher ein Tabuthema, berichtet Lehrer. Die allermeisten Kinder lebten bei ihren Eltern und machten sich keine allzu großen Sorgen. Zudem fehlten zu einem frühen Zeitpunkt das Vertrauen und die richtigen Worte in der Fremdsprache. Später könne es durchaus sein, dass in der Klasse darüber gesprochen werde. Lehrer erinnert sich an einen Jungen, der mit Mutter und Geschwisterchen hier lebte, der Vater aber in Dortmund gelandet war. Ein halbes Jahr war der Junge in seiner Klasse, der Mutter setzte die Trennung vom Ehemann sehr zu, die Kinder verwahrlosten immer mehr. "Dann war er plötzlich weg", erzählt Lehrer. Die Familienzusammenführung hatte geklappt. Die Mitschüler packten dem Jungen seine Schulsachen zusammen und schickten sie ihm per Post - eine kleine Verabschiedung.

Dass es meist keine Verabschiedung gibt, weiß auch Gabriele Binder. Sie leitet die Grundschule am Hildegard-von-Bingen-Anger im Münchner Norden. In den Übergangsklassen würden neue Schüler dazukommen, andere wegziehen, weil sie in eine andere Unterkunft verlegt würden oder die Familie eine eigene Wohnung gefunden habe. "Die Kinder sind den ständigen Wechsel gewöhnt", sagt Binder. Ein Umzug als Grund reiche ihnen. Und so sei es auch nicht weiter aufgefallen, als vor einiger Zeit einmal ein ausländisches Kind nicht mehr zum Unterricht erschien. Dessen Eltern lebten zuvor in Italien und mussten wieder zurück. "In diesem Fall wurden wir von der Sozialarbeiterin der Unterkunft informiert, dass das Kind nicht mehr kommt", erzählt Binder.

Für die Lehrer sei die Fluktuation eine sehr große Herausforderung. Das Arbeiten in der Gemeinschaft sei extrem schwierig, ebenso die Aufteilung der Kinder in Gruppen nach ihrem Wissensstand - dieser sei schlicht zu unterschiedlich. "Es ist eine hohe Kunst, Übergangsklassen zu unterrichten", sagt Binder.

© SZ vom 26.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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