Ein Polizist klagt gegen Deutschland:"Auf Ungerechtigkeiten reagiere ich stinkig"

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Weil ihm München zu teuer ist, fordert ein Polizeibeamter vor dem Bundesverfassungsgericht mehr Geld. Das Urteil könnte die Beamtenbesoldung in ganz Deutschland verändern.

Susi Wimmer

"Welche Formation hättest du denn gern?", ulkt einer, als die Delegation der Deutschen Polizeigewerkschaft an dem windig-warmen Morgen vom Hotel aus auf den Gehsteig tritt. Peter Steininger, Chef der Personenschützer, grinst ein wenig. Dann rückt er seinen schwarzen Stetson zurecht und marschiert energischen Schrittes durch die Karlsruher City.

Ihm ist München zu teuer: Polizeihauptmeister Peter Steininger. (Foto: Foto: Susi Wimmer)

Vorbei an der Polizeiwache, wo seine Beamtenkollegen gerade zur Streife ausrücken, über den Christkindlmarkt zum Platz der Grundrechte und dann links durch den Schlosspark auf den gläsernen Kubus zu, den Sitz des Bundesverfassungsgerichts. Steininger ist am Ziel eines sechsjährigen Kampfes angelangt. An diesem Dienstag verhandeln die acht Richter die Verfassungsbeschwerde des Münchners. Gewinnt Steininger, wird das die Besoldung der gesamten Beamtenschaft in Deutschland verändern.

Steininger ist Oberfranke. "Und die sind zäh", sagt der 51-Jährige. Wenn Steininger redet, wirkt er unaufgeregt, gemütlich, fast schon zu ruhig. Er sitzt am Montagnachmittag im Zug von München nach Karlsruhe. Der Zug hat fast zwei Stunden Verspätung, doch Steiningers Lebenshöhepunkt ist erst für den nächsten Tag terminiert: Sein Auftritt vor dem Bundesverfassungsgericht.

Er lehnt sich entspannt zurück und nickt kurz. Das Handy allerdings lässt ihm keine Ruhe: ein Radiointerview. "Ja, legen Sie mich aufs Mischpult", sagt Peter Steininger und spricht routiniert sein Statement ins Handy. Dann der Herr vom Fernsehen. Wenig später eine Zeitung, die eine ganze Seite über Steininger bringen will. Dann der nächste Radiosender. "Heut komm ich noch in der Abendschau", erzählt er. Und irgendwann, bei Stuttgart, schüttelt er den Kopf. "Komisch, dieser Rummel".

"Sie kriegen gar nix"

Sollte Steininger mit seiner Forderung durchkommen, dass Beamte in teuren Ballungsräumen wie beispielsweise München auch entsprechend höher besoldet werden, dann wird der Rummel erst recht losgehen. Aufregung um seine Person ist der Beamte am Polizeipräsidium München aber gewohnt.

1995 hängte er sich an die Klage eines Finanzbeamten aus NRW an, der vor dem Bundesverfassungsgericht durchgestritten hatte, dass kinderreiche Beamtenfamilien laut Alimentationsprinzip höher besoldet werden müssen. Steininger fragte bei der Bayerischen Bezirksfinanzdirektion an und die sagte ihm: "Sie kriegen gar nix."

Steininger legte Widerspruch ein, bekam anno 2000 vor dem Bundesverwaltungsgericht Recht und eine Nachzahlung von 7400 Mark. "Der Beginn meiner Streithanselei", wie der Polizist sagt.

Auch als er 1996 als Blauhelm-Polizist in den Balkan geschickt wurde und ihm das Innenministerium am Abflugtag sagte, dass die Auslandsaufwendung gekürzt worden sei, fand er das so nicht korrekt. 1996 reichte er Klage ein, 2003 gewann er vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Das Urteil hatte Auswirkungen auf alle im Ausland eingesetzten Polizisten. "Da hat man nun Gesetze und beachtet sie nicht", ärgert sich der Wahl-Münchner und sagt: "Auf Ungerechtigkeiten reagiere ich stinkig."

"Hätt ich selbst nicht gedacht, dass wir uns heute hier treffen", begrüßt Professor Heinrich Amadeus Wolff den kämpferischen Polizisten abends in einem Karlsruher Restaurant. Wolff ist der juristische Beistand Steiningers. Erst vergangenen Freitag flatterte die Stellungnahme der bayerischen Staatskanzlei auf seinen Schreibtisch, darin der überraschende Satz, es gebe im Städtevergleich keine unterschiedlichen Lebenshaltungskosten.

Münchner Revolution

Zwei Tage später hatte Wolff eine wortgewaltige Antwort in Schriftform verfertigt. "Man muss sich das mal vorstellen", jubelt Wolff, "von 5000 Verfassungsbeschwerden im Jahr kommen so fünf bis sieben zur mündlichen Verhandlung." Nun ist er mit diesem Fall dabei. Juristisch gesehen, da ist sich der Professor sicher, "haben wir zu 90 Prozent recht". Was gegen die Münchner Revolution spricht, seien die Staatsräson und die Konsequenzen solch eines Urteils für das ganze Land.

15 000 Euro hat die Deutsche Polizeigewerkschaft, deren Münchner Vorsitzender Steininger ist, bislang in den Rechtsstreit investiert. "Egal, wie es ausgeht, gewonnen hab' ich auf alle Fälle", meint Peter Steininger. Und zwar für seine 2000 Gewerkschaftskollegen in München, vor die er sich dann hinstellen und sagen kann: "Ich habe alles getan, was zu tun war."

Gut 1000 Münchner Beamte haben sich an Steiningers Klage angehängt. Sollte der Polizeihauptkommissar mit seiner Verfassungsbeschwerde erfolgreich sein, bekommen alle Nebenkläger rückwirkend zum Einsteigetag die höhere Besoldung ausbezahlt. Mit nahezu jedem dieser Kollegen hatte Steininger persönlich gesprochen. Letztendlich signalisierte sogar Polizeipräsident Schmidbauer Zustimmung.

Nach Steiningers Modell allerdings werden die Kollegen auf dem Land bei den nächsten Lohnerhöhungen leer ausgehen, wogegen es in den Großstädten einen Zuschlag gibt.

Die nächste Klage schon in Sicht

Der Wind bläst der Münchner Delegation ins Gesicht, als sie vor dem Messingschild "Bundesverfassungsgericht" zum Stehen kommt. Steiningers Stetson sitzt. Den hat er von seiner Australienreise mitgebracht. Ob sein Weg heute hier endet, wird er nicht erfahren. Denn der Zweite Senat wird lediglich die Stellungnahmen der Beschwerdeführer, der Bundesregierung, der Staatsregierung und anderer Sachkundigen einholen. Die Entscheidung, so schätzen Experten, wird wohl erst im Februar 2007 verkündet.

Es ist 9.55 Uhr. Noch fünf Minuten. "Jetzt", sagt Steininger von seinem Platz in der ersten Reihe aus, "jetzt wird der Puls schon etwas schneller". Ein Bediensteter in blauer Uniform erscheint auf dem Podium. "Meine Damen und Herren: das Bundesverfassungsgericht!" Die holzgetäfelte Tür öffnet sich, acht Richter in purpurnen Roben schreiten zu ihren Stühlen. Steininger erhebt sich und schaut mit erhobenem Kinn nach vorne.

Vier Stunden später: Erleichterung in den Gesichtern der Münchner. "Super gelaufen, wir gewinnen", da sind sie sicher. Die Delegation schlendert gut gelaunt am Schlosspark entlang, der Wind bläst jetzt von hinten und schiebt sie Richtung Innenstadt. "Vielleicht kommt ich ja bald wieder", sagt Steininger.

Er meint damit nicht den Termin für die Urteilsverkündung in Sachen Besoldung, sondern sein nächstes Projekt: 2007 will Steininger erneut klagen - und zwar gegen die spezielle München-Regelung, dass sich Polizisten lebenslang für die Landeshauptstadt verpflichten müssen.

© SZ vom 6.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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