Ein Mann für 711 Sportvereine:Sein härtester Marathon

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2:35 Stunden ist die Bestzeit von Jürgen Sonneck beim Marathon. Ob er als Leiter des Sportamts für solche Rennen noch Zeit hat? (Foto: Alessandra Schellnegger)

Jürgen Sonneck ist neuer Sportamtsleiter in München - und kämpft für Flächen, Inklusion, Kunstrasen sowie Großereignisse wie die European Championships

Von Sebastian Winter, München

Jürgen Sonneck ist ein heimatverbundener Mensch, auch beim Laufen sieht man das, seiner wohl größten Leidenschaft. Sooft es geht, rennt der 54-Jährige, der seit seiner Kindheit in Moosach lebt, am Nymphenburger Schloss entlang, der Sonntagmorgen mit Freunden hat schon Tradition, schlappe 15 Kilometer, vor dem Semmeln holen. Eine Stunde braucht Sonneck für die Strecke - nur eine Stunde! An dieser Zeit sieht man schon, dass Sonneck nicht einfach nur ein Hobbyläufer ist. Er war zweimal bayerischer Straßenmeister über zehn Kilometer in seiner Altersklasse, beim Münchner Firmenlauf 2017 reichte es zum schnellsten Chef, immerhin. Den besten seiner vier Marathons, die er natürlich alle in München absolvierte, schloss Sonneck in 2:35 Stunden ab - und gewann damit eine Wette. In diesem Jahr wäre Sonneck mit dem Wert bislang einer der besten 50 Deutschen.

Das Problem ist nur, dass Sonneck keine Zeit mehr hat, solche Strecken in Angriff zu nehmen. Er hat seit dem 1. Mai ein Reich in der Bayerstraße 28 übernommen, in dem es um Sportinfrastruktur, Vereinsförderung, Großereignisse, und den Freizeitsport geht, um Kunstrasenplätze, Schwimmoffensiven und Bezirkssportanlagen. Seit 1. Mai ist Sonneck Leiter des Münchner Sportamts, und damit der wichtigste Mann in Münchens Sportbürokratie - hinter den drei mächtigen Frauen Christine Strobl (Sportbürgermeisterin, SPD), seiner Vorgesetzten Beatrix Zurek (Leiterin des Referats für Bildung und Sport, SPD) und der Chefin der Olympiapark München GmbH, Marion Schöne.

Erste Frage also, mit der man sich in München gleich mal in die Nesseln setzen kann, bei dem einen oder eben dem anderen Lager: Bayern oder Sechzig? "Ich bin FC-Bayern-Fan", sagt Sonneck, der Blick auf die Großbaustelle Hauptbahnhof passt ganz gut zu seinem neuen Job, "aber die Sechziger sind mir ans Herz gewachsen." Sonneck hatte ja schon seit 2017, als Stellvertreter des Amtsleiters Günter Schwarz, viel mit ihnen zu tun und mit dem Grünwalder Stadion, das bröckelt und ächzt und moderner und größer werden soll.

Die Kunst der Diplomatie versteht der Neue also schon mal, das muss er auch, immerhin wacht der drahtige Mann mit dem bräunlichen Teint, der dunkelblaue Turnschuhe zum Anzug trägt, über 147 Mitarbeiter - Abteilungsleiter, Referenten, Dutzende Badefrauen (es gibt auch zwei Männer) und Platzwarte (es gibt auch drei Frauen) in Schwimmbädern und auf Bezirkssportanlagen. Zugleich ist er zuständig für mehr als eine Million Sporttreibende in München, die sich individuell oder in den 711 Vereinen bewegen. Es ist der fünfte, wohl härteste Marathon, den Sonneck nun läuft.

Den Sport in dieser Größe zu überblicken, das war schon immer sein Traum. "Wenn ich mal die Vision habe, zur Stadt zu gehen, dann möchte ich auch im Sportamt landen", hatte Sonneck sich früh gesagt. Es hat aber dann doch die Kleinigkeit von 32 Jahren gedauert, bis er tatsächlich dort landete vor zwei Jahren. Im vergangenen Dezember trat Schwarz dann zurück, und Sonneck ergriff seine Chance. Davor war er im Personal- und Organisationsreferat und zehn Jahre lang im Sozialreferat als stellvertretender Geschäftsführer im Jobcenter. Die Hochphase der Flüchtlingskrise hat er erlebt, die Tausende Flüchtlinge, die am Münchner Hauptbahnhof ankamen. "Das war schon eine spannende Zeit", sagt Sonneck.

Die kommenden Jahre im Sportamt dürften für den neuen Kapitän genauso ereignisreich werden. Die Stadt ist ja, nachdem sie jahrzehntelang zu wenig in die sportliche Infrastruktur investiert hat, vor wenigen Jahren aus ihrer Schlafmützigkeit erwacht, sie legt immer neue Programme auf, sei es für die Sanierung ihrer Bezirkssportanlagen, für Hallen, Bäder oder ganze barrierefreie Sportensembles wie im neuen Stadtteil Freiham im Münchner Westen. Oder für Kunstrasenplätze, die die alten Ascheplätze ersetzen, auch weil sie wetterfester sind als diese. Sie kämpft gegen die Flächenknappheit, die gerade auch den Sport in der aus allen Nähten platzenden Stadt betrifft. Doch schon das Thema Kunstrasenplätze wird derzeit heiß diskutiert, "es ist eine Plastikmülldebatte, der wir uns stellen müssen", sagt Sonneck. Das größte Problem sei das Granulat, das bei Regen oder auch nach dem Winter vom Platz geschwemmt wird und ins Grundwasser gelangt. "Ich werde jetzt nicht das Kunstrasenplatz-Programm aufgeben", sagt Sonneck, "aber wir müssen überlegen, die Plätze mit anderem Material als Granulat zu verfüllen."

Es gibt andere Großprojekte, wie die Bewerbungen um die European Championships 2022, über die Ende Juni endgültig entschieden werden soll, sowie die Champions-League-Finals 2021 und 2022, die Ausrichtung von Fußball-EM-Spielen 2024, die Handball-EM 2024. Und riesige Infrastrukturpläne, wie die Sanierung der Olympiaregattaanlage, über die der Stadtrat im Juli befindet. Auch in die Planungen zur neuen Eishockey- und Basketballhalle im Olympiapark, dem SAP Garden, war Sonneck involviert. Eine weitere Halle für 4000 bis 6000 Zuschauer, vor allem für Handball und Volleyball, ist im Olympiapark bis 2024 angedacht. Und eine Hockeyhalle für 1000 Zuschauer, möglicherweise auf dem Gelände des ESV München in Laim.

Sonneck möchte aber vor allem Schwerpunkte im Breitensport setzen: Die Schwimmoffensive liegt ihm am Herzen; der informelle Sport, bei dem man sich einfach abends mal trifft, um auf einer städtischen Streetballanlage Körbe zu treffen oder Skateboard im Park zu fahren; das Thema Inklusion, bei dem es auch darum geht, dass es bestimmte Farbgebungen für Sehbehinderte in den Hallen gibt, erreichbare Schalter für die Türautomatik, inklusive Umkleidekabinen. Auch die Kommunikation gerade mit den kleineren und mittleren Vereinen möchte Sonneck verbessern. Er ist sich bewusst, dass das Ehrenamt schwindet - und dass es inzwischen wahre Vereinsmanager braucht, um alle Probleme in den Klubs zu lösen. "Ich möchte da einen noch intensiveren Dialog und verstehe das Sportamt als Dienstleister für die Vereine." Im vergangenen Jahr hatten manche Klubs den kommunikativen Mangel und zu viel Bürokratie noch kritisiert und sich zur "Interessengemeinschaft Sport München" zusammengeschlossen.

Sonneck hat den großen Vorteil, selbst das Vereinsleben sehr gut zu kennen. Seit fast 50 Jahren ist der Leichtathlet, der früher auch Squash, Volleyball und Fußball spielte, Mitglied des PSV München - auch das ein Marathon. Klubpräsident Wolf D. Biedermann beschreibt Sonneck als "ruhigen, sachlichen, zuverlässigen Menschen mit sehr viel Detailwissen. Er ist sich auch nicht zu schade, Bierbänke zu schleppen oder Zelte aufzubauen". Künftig dürfte der neue mächtige Sportverwalter, der in seinem Verein Lauftreffs und auch größere Sportfeste organisiert, auch dafür nur noch kleine Zeitfenster haben, was ihm ein wenig Bauchschmerzen bereitet. Aber so ist es ja auch bei jedem Lauf über die klassischen 42,195 Kilometer: Es ist alles eine Frage des Willens.

© SZ vom 10.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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