Wallfahrten:Schritt für Schritt

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Einmal im Jahr marschieren die Zornedinger von ihrem Ort bis nach Siegertsbrunn im Landkreis München. Für die etwa zwölf Kilometer brauchen sie knapp zwei Stunden. In diesem Jahr war die Gruppe nur zu siebt - ein eingeschworenes Team, denn sie sind in der Regel bei jedem Bittgang mit dabei. (Foto: Johanna Feckl)

Bittgänge gibt es viele im Landkreis Ebersberg - zu allerlei Terminen, von verschiedenen Pfarreien und Vereinen organisiert, mit unterschiedlichen Ortschaften als Ziel, manche sind lang, manche kurz. Aber es gibt eine Gemeinsamkeit

Von Johanna Feckl

Ein paar Schritte noch. Links. Rechts. Links. Rechts. Bald ist das gelbe Schild erreicht. Ein Blick in die Ferne, leicht nach oben. Zwei kleine Punkte am Horizont, einer jeweils so groß wie ein Stecknadelkopf. Zumindest von hier unten aus gesehen. Tatsächlich sind es aber zwei Ballone. Es scheint, als ob sie über dem Ort schweben. Dem Ort, den man betritt, wenn man dieses gelbe Schild passiert. Links. Rechts. Links. Rechts. Am Korb eines Gasballons sind Sandsäcke befestigt. Der Ballon steigt nur, wenn er Gewicht los wird, wenn der Ballast der Sandsäcke abgeworfen wird.

Es ist 5.11 Uhr an einem Samstagmorgen. Also eigentlich mitten in der Nacht. Vor dem Kriegerdenkmal in Zorneding ist weit und breit niemand zu sehen. Vier Minuten noch, bis der Bittgang von Zorneding hinüber in den Landkreis München nach Harthausen und dann weiter nach Siegertsbrunn zur katholischen Kirche Sankt Leonhard starten soll. Ein Leonhardibittgang. Um die zwölf Kilometer lang. Nicht der einzige Bittgang, den die Zornedinger Pfarrei veranstaltet. Es gibt jedes Jahr im Mai noch den nach Wolfesing, nach Möschenfeld und im Juni nach Maria-Altenburg. Die übrigen Pfarreien im Landkreis Ebersberg handhaben es ähnlich - beinahe überall gibt es mindestens eine Wallfahrt im Jahr. Aber warum wallfahren die Menschen hier so furchtbar gerne?

"Wallfahrt" kommt von "wallen", was so etwas wie ein feierliches Schreiten hin zu einem bestimmten Ziel bedeutet. Wo genau die Grenze zwischen Wallfahrt, Pilgerreise und Bittgang verläuft, daran scheiden sich die Geister. Viele sind sich aber zumindest darin einig: Im Gegensatz zu Pilgerreisen sind Wallfahrten und Bittgänge zu festen wiederkehrenden Terminen; Bittgänge sind kürzer als Wallfahrten, oft nur ein paar wenige Kilometer.

Mittlerweile ist es 5.15 Uhr. Ein Mann kommt um die Ecke der Friedhofsmauer gebogen. Dann eine Frau. "Guten Morgen!" Noch zwei Frauen. Viel gesprochen wird nicht. Es scheint, als ob niemand die friedliche Stille, die so früh am Morgen noch über Zorneding liegt, zerstören möchte. Ein weiterer Mann kommt. Schick sehen sie aus. Oder zumindest nicht wie Menschen, die zu einem sportlichen Wanderevent aufbrechen möchten. Die Männer tragen knitterfreie Hemden, das untere Ende sauber in den Hosenbund gesteckt.

Eine vierte Frau stößt zur Gruppe hinzu. Einen Rucksack mit einer Flasche Wasser schultert hier niemand auf seinem Rücken. Einzig die Schuhe verraten, dass eine körperliche Betätigung bevorsteht: Sport- und Wanderschuhe. Einer der Männer verschwindet kurz. Als er wiederkommt, trägt er ein Prozessionskreuz, etwa zwei Meter hoch. Eine Frau nimmt es ihm ab und dreht es so, dass die blanke Seite zur Gruppe zeigt. Der Ort soll das Kreuz sehen. Außerhalb von Ortschaften dreht die Frau das Kreuz, sodass nun die Menschen in der Gruppe die Jesusfigur sehen können. 5.20 Uhr. Es geht los.

Hinter der Organisation der Wallfahrten im Landkreis Ebersberg stecken zumeist die Pfarreien: Die Kirchseeoner marschieren nach Tuntenhausen. Die Grafinger und Zornedinger nach Maria Altenburg. Die Ebersberger und Steinhöringer nach Birkenstein. Die Markt Schwabener nach Anzing - immer um den 13. eines jeden Monats. Und die Zornedinger eben auch nach Siegertsbrunn. Ein Ziel, das die Egmatinger ebenso einmal im Jahr ansteuern. Komplett ist diese Aufzählung sicherlich nicht. Eine offizielle Liste, die eine Vollständigkeit garantiert, führt das Ebersberger Dekanat nicht. Die Gemeinschaft der Wallfahrer organisiert sich eher über Hörensagen; die meisten wissen aber einfach, wann welcher Bittgang ist.

So ist es auch in Zorneding. "Ich laufe seit Jahrzehnten mit", erzählt eine Frau. Sie ist 75 Jahre alt. Ihren Namen möchte sie nicht verraten. Warum? Die Bittgänge sind für sie etwas sehr Persönliches. So etwas möchte man nicht mit jedem teilen. Sie mag die Vorstellung, dass Gläubige schon seit Jahrhunderten dieselben Wege entlang marschieren, betend, mit all ihren Sorgen und Problemen, in der Hoffnung, dass Gott ihnen dabei hilft. "Intensiv" ist das Wort, mit dem die 75-Jährige dieses Erlebnis beschreibt.

Ein weiterer Zornedinger stößt zur Gruppe hinzu. Jetzt sind es sieben Bittgänger. Wenig. Oft sind es 30 oder 40. Woran es liegt, dass an diesem Tag nur das "Kernteam" mitläuft, kann niemand so recht erklären. Mal ist es eben so, das nächste Mal wieder anders. Für eine 46 Jahre alte Frau aus der Gruppe ist die Teilnahme aber Tradition. Ob es regnet oder ob die Sonne scheint. Die Bittgänge seien wie die Weihnachts- und Ostertage, erklärt die 75-Jährige: Die zelebriert man schließlich auch bei jedem Wetter. Seit Jahrzehnten nimmt auch Renate Pfluger an den Bittgängen teil, "bestimmt schon seit 25 Jahren". Es ist die ganz besondere Stimmung der Bittgänge, die sie so fasziniert: Alles ist unglaublich ruhig. Aber es ist keine Stille. Es ist die Ruhe im Kopf, die Gedankenruhe. Und die tritt mit dem Beginn des Gebets der Rosenkränze schnell ein.

Kurz nachdem die Gruppe das Zornedinger Ortsschild hinter sich gelassen hat, teilt sie sich in zwei Reihen. Die linke Reihe spricht einige Verse. "Gegrüßet seist du, Maria, ..." Dann die rechte. Immer weiter, hin und her. Schnell verschwimmen die Worte, wie in einem Mantra. Ihr Rhythmus bestimmt das Schritttempo. Ganz automatisch.

Ruhende Gedanken. Das fühlt sich befreiend an. Irgendwie leicht. Als ob man Ballast abwerfen würde. Zumindest für die Dauer eines Bittgangs. Es ist etwa 7.25 Uhr, als das knallige Gelb des Siegertsbrunner Ortsschildes ins Sichtfeld tritt. Am Horizont schweben zwei Ballone.

Am Samstag, 28. Juli beteiligt sich der Ebersberger Kreisverband der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung an der Wallfahrt von Sch neizlreuth nach Maria Kirchental. Treffpunkt ist um 5 Uhr in Schneizelreuth an der Kirche. Die nächsten "13er-Wallfahrten" von Markt Schwaben nach Anzing sind am 11. August und 15. September. Am 29. September marschiert die Aßlinger Pfarrei nach Birkenstein.

© SZ vom 27.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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