Wahlkampfhilfe aus Ostdeutschland:Die Mauer im Kopf

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Christine Lieberknecht war bis 2014 Ministerpräsidentin in Thüringen - die erste Frau in diesem Amt in den neuen Bundesländern. (Foto: Christian Endt)

Christine Lieberknecht (CDU) aus Thüringen hält in Tulling ein flammendes Plädoyer für die CSU, die Region und die Wiedervereinigung

Von Victor Sattler, Steinhöring

Am 14. Oktober hofft die CSU auf zwei Kreuze in der Wahlkabine. Am 3. Oktober hat sie sich selbst zwei Kreuze in den Kalender eingetragen: Die Deutsche Einheit und einer ihrer Väter, Franz Josef Strauß, gehören am 3. Oktober gebührend gefeiert. Die eine just da geboren, der andere zwei Jahre zuvor am selben Tag gestorben. Für den CSU-Kreisvorsitzenden Thomas Huber kann diese Dopplung kein Zufall sein: Strauß initiierte 1973 die Verfassungsklage gegen den Grundlagenvertrag zwischen BRD und DDR, wandte so vielleicht die drohende endgültige Teilung Deutschlands ab und machte DDR-Bürger zu "Deutschen im Sinne des Grundgesetzes". "Das wissen aber viele Bundestagskollegen nicht, dass Bayern dafür mitverantwortlich war", sagt Andreas Lenz (CSU) über seine Sitznachbarn in Berlin.

Christine Lieberknecht war eine dieser DDR-Bürgerinnen, die Strauß so rettete, und auch sie hat wiederum ihren Teil zur Einheit beigetragen: Im "Brief aus Weimar", zu dessen vier Unterzeichnern sie 1989 gehörte, redete sie noch zwei Monate vor Mauerfall der stark eingeschränkten Ost-CDU ins Gewissen, damit die Zwangszusammenarbeit mit der SED ein Ende fände. Somit wurde sie in Hubers Augen zur "Gründungsmutter Thüringens", und sie diente dem Freistaat ab 2009 für fünf Jahre als Ministerpräsidentin. Ein Novum für die neuen Bundesländer und für die CDU, die zuvor nie einer Frau in dieses Amt verholfen hatte. 2014 wurde Lieberknecht von einer rot-rot-grünen Regierung abgelöst, ist neben ihrem Landtagsmandat aber noch für die deutsche Einheit und DDR-Aufarbeitung aktiv.

Am Dienstagabend war Christine Lieberknecht von der CSU zum Tag der Einheit geladen. Im Tullinger Dorfgemeinschaftshaus leistete sie Wahlkampfhilfe. Huber hielt zu Beginn fest: "Wir sind die einzige Partei im Landkreis, die seit 28 Jahren regelmäßig diesen Tag feiert." Große Teile der SPD und die Grünen hätten die Ziele der Wiedervereinigung aufgegeben. "Da weiß man, was man hat", lobte ihn Lieberknecht für diese 28-jährige Tradition: ein Ausdruck von Verlässlichkeit und Kontinuität von einer Partei, die sich stets in Franz Josef Strauß' Koordinatensystem bewege.

Bis auf diese Blumen für Huber war Christine Lieberknecht aber eine leidenschaftliche und kriegerische Rednerin, deren 50-minütiges Plädoyer wiederholt von martialischem Schnitzelklopfen aus der Küche untermalt wurde. Sie war mit dem Regionalexpress statt mit dem Dienstwagen in Tulling angereist, um sich zu besinnen auf "das Erlebnis, das alle anderen auch haben". Von der isolierten "Berliner Käseglocke" halte sie nichts. Dafür gab es vom Publikum den ersten Beifall, obwohl oder gerade weil ein Berliner Politiker mit im Raum war. Lieberknecht hält Region für die Keimzelle der Einheit und Wiedervereinigung für etwas ganz anderes als Zentralstaaterei. Alle, die damals "Wir sind ein Volk" skandierten, hätten gleichzeitig auch ihre Landesfahnen in die Proteste eingemischt, erzählte Lieberknecht, um die Bedeutung des Föderalismus zu betonen. Sie ärgere sich über die ewige Mauer im Kopf: Die noch immer bestehenden Kategorien Ost-West seien veraltet, die Vorstellung des Ostens als ein einziges sibirisches Dorf eine Verleumdung. Dabei habe Deutschland dank der Wiedervereinigung seine Mitte wiedererlangt. Und das schließe unterschiedliche Allianzen zwischen den Bundesländern mit ein, nicht mehr nur entlang der alten Schablone. Aus ganz Deutschland seien im August die Rechtsextremisten nach Chemnitz angereist.

Nun wolle sich Lieberknecht aber nicht bloß erinnern an den "Unrechtsstaat" DDR (ihr Nachfolger im Amt, Bodo Ramelow von der Linken, lehnt diese Bezeichnung ab); sie wolle sich am Dienstag auch ertüchtigen, wie sie sagte. Etwa gegen die "Zentralisten und Bürokraten" der EU, die mit ihrer Datenschutz-Grundverordnung einer "armen, alten Dame" die offiziellen Geburtstagsgäste stehlen würden, die auf der Türmatte nun nicht mehr vorstellig werden dürften. Dagegen applaudierten die Tullinger.

Die CSU/CDU machte im Dorfgemeinschaftshaus deutlich, dass sie genug zur Geschichte der Republik beigetragen habe, um die Historie auch in ihre Dienste stellen zu dürfen: "Die Menschen in der DDR wollten Freiheit, keinen Sozialismus", resümierte Bundestagsabgeordneter Andreas Lenz, "mittlerweile hat sich die geringere Lebenserwartung im Osten an die im Westen angeglichen - so gesund kann der Kommunismus also nicht gewesen sein". In den knapp elf Monaten zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung, die Christine Lieberknecht als "Sternstunden deutscher Geschichte" benennt, seien "starke Lenker" im Einsatz gewesen. Zuletzt habe man den Bürgern aber den Eindruck vermittelt, dass der Staat seiner Lage nicht mehr gewachsen sei. Vor allem die SPD und einige unbenannte Medien holten sich Watschen dafür ab, dass ihre heutigen Standpunkte heuchlerisch seien vor dem Hintergrund, dass sie die DDR vormals stets "schöngeschrieben" hätten.

© SZ vom 04.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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