Vor allem junge Menschen schätzen ein vereintes Europa:Friede, Wohlstand, Austausch

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In ganz Deutschland bekennen sich bei Demonstrationen immer mehr Menschen zu einer starken EU, und auch durch den Landkreis pulsiert der europäische Gedanke

Von Jessica Morof, Ebersberg

Hunderte blauer Fahnen mit einem Kreis aus zwölf gelben Sternen peitschen im Wind hin und her. Doch die Träger der Flaggen bleiben standhaft und halten das Europa-Symbol ruhig in die Höhe. Jeden Sonntag treffen sich seit mehreren Monaten Tausende Menschen in europäischen Großstädten, um gemeinsam für ein vereintes Europa zu demonstrieren. Doch nicht nur in den Metropolen ist das Gemeinschaftsgefühl zu spüren - auch im Landkreis schlägt ein europäisches Herz. Das können Europaabgeordnete sowie Vertreter der Europa-Union bestätigen.

"Europa ist bei uns vor Ort", sagt Angelika Niebler (CSU), Europa-Abgeordnete aus Vaterstetten. Das könne sie in ihrer Arbeit und aus den Rückmeldungen der Bevölkerung spüren. "Denn Europa ist überall, wo wir gehen und stehen": In den Münzen und Scheinen im Geldbeutel ebenso wie auf der Verpackung unserer Lebensmittel, in den Notizen der Erasmus-Studenten und in den Koffern der Jugendlichen beim Schüleraustausch, auf den Autobahnabschnitten der geöffneten Grenzübergänge ebenso wie in den Gesetzen zu Umwelt- und Verbraucherschutz. Europa ist Alltag. Gerade die Jugend könne sich ein Leben ohne Europäische Union, ein Leben mit Grenzkontrollen und ohne gemeinsame Währung ja gar nicht mehr vorstellen, so Niebler. Bei ihren Besuchen in Schulen treffe sie daher kaum auf die Frage, ob die EU notwendig sei, sondern vielmehr auf einen Vorwurf: "Warum löst ihr die Probleme denn nicht gemeinsam?" Doch gleichzeitig sei genau diese Selbstverständlichkeit zu einer Gefahr für Europa geworden, denn: "Was alltäglich ist, nimmt man gar nicht mehr so wahr", erklärt Niebler.

Diese Erfahrung hat auch Isabella Ritter von der Europa-Union gemacht. Die 24-Jährige ist stellvertretende Vorsitzende des Bezirks Oberbayern und stammt aus Rosenheim. "Zu selbstverständlich" sei die Europäische Union für die meisten Jugendlichen geworden, sagt sie. Um so mehr freue sie sich, dass sich da in ihrem Bezirk ebenso wie in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis etwas tue. "Man interessiert sich wieder für Europa", so die junge Frau. Man spreche mehr über das aktuelle Geschehen - und das sei gut so. Denn ihr Appell an die junge Generation lautet: "Werdet euch bewusst, was ihr heute für Vorteile habt, die eure Großeltern noch nicht hatten." Denn diese Vorteile seien erheblich:

Wohlstand. "Wenn wir den Binnenmarkt nicht hätten, würde es uns in Deutschland nicht so gut gehen", betont Angelika Niebler. Vor allem Wirtschaftsregionen wie der Speckgürtel rund um München profitierten davon, denn: "Arbeitsplätze hängen vom Export ab und der Export hängt von offenen Grenzen ab."

Sicherheit. Nur gemeinsam mit den Nachbarländern sei es möglich, Gefahren wie Terrorismus und Einbruchserien zu bekämpfen, sagt Angelika Niebler. Ohne den Austausch von Daten, Wissen und Erfahrungen kämpfe jedes Land für sich auf verlorenem Posten.

Frieden. "Einzigartig" sei es doch, "dass wir in Europa auf eine so lange friedliche Zeit zurückblicken können", sagt Klaus-Peter Paul, Vorsitzender des Ebersberger Kreisverbands der Europa-Union. Für die Jugend sei es zwar selbstverständlich, dass sie in Frieden aufwachsen konnte; die ältere Generation aber könne sich noch gut an andere Zeiten erinnern, betont Paul. Er selbst wisse noch genau, wie er in einem geteilten Berlin lebte - und ist glücklich, "dass wir eine neue Heimat in Europa gefunden haben". Die Erinnerung sei auch einer der Gründe, warum der Europagedanke im Landkreis so sehr verbreitet sei. Der Verbandsvorsitzende erlebt in seiner Arbeit und im Alltag jedenfalls viele Menschen, die sich intensiv um den Austausch mit den europäischen Nachbarn bemühen und Städtepartnerschaften pflegen.

Kultureller Austausch. Sprach- und Kulturreisen, Schüleraustausch und Auslandsstudien - das alles ist durch offene Grenzen, eine gemeinsame Währung und Kooperationen der Nationen viel einfacher geworden. Für Klaus-Peter Paul ist dies ein wesentlicher Vorteil des europäischen Staatenbundes. Heutzutage lebten immerhin auch Angehörige vieler Familien außerhalb Deutschlands.

Gemeinsame Werte. Maßnahmen wie Umwelt-, Verbraucher- oder Tierschutz können heute nicht mehr von nur einer Nation angegangen werden. "Da müssen wir versuchen, mit unseren Nachbarn zusammen einheitliche Standards zu finden", sagt Maria Noichl, SPD-Europaabgeordnete für Oberbayern und Schwaben. Die Politikerin aus Rosenheim legt einen Arbeitsschwerpunkt auf die Landwirtschaft; dem einzigen Bereich, der bereits komplett von der EU reglementiert wird. Ohne einheitliche Standards gewinne derjenige, der seine Produkte auf Kosten von Mensch, Tier und Umwelt möglichst günstig anbiete. "Denn am Schluss befinden sich die Produkte ja alle auf dem gleichen Markt."

Keine Alternative. Europa gleiche einer Hausgemeinschaft, findet Noichl. Man könne mit den Nachbarn zusammenarbeiten, besprechen, was man gemeinsam beschließen möchte und was jeder für sich entscheiden soll. Oder man könne sich von den anderen isolieren und Nachbarn ausschließen. "Aber am Ende bleiben sie unsere Nachbarn", betont Noichl. Und gemeinsam sei man einfach stärker.

Ähnlich wie Niebler empfindet auch Maria Noichl die Menschen aus dem Landkreis und Umgebung als sehr europazugewandt. "Ich habe manchmal das Gefühl, dass in vielen zwei Herzen schlagen", sagt sie. Ein Alltagsherz, das darüber schimpft, wie schwerfällig und langsam die EU ist. Und ein Sonntagsherz mit einem ganz klaren Bekenntnis: "Wir wissen doch genau, dass wir sehr privilegiert sind."

© SZ vom 20.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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