Volles Haus in der Stadthalle:Folkes Stimme

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Meister schnörkelloser Melodien und treffender Worte: Martyn Joseph versteht seine Musik nicht nur als unterhaltsam, sondern grundsätzlich auch als politisch. (Foto: Ulrich Pfaffenberger)

Der walisische Songwriter Martyn Joseph spielt sich mit Liedern von zeitloser Kraft und Glaubwürdigkeit in die Herzen des Grafinger Publikums

Von Ulrich Pfaffenberger

Vier Gitarren stehen auf der Bühne der Grafinger Stadthalle, ein Mann tritt aus dem Vorhang ins Licht, lächelnd, entspannt, wie ein Gast bei einer Party. Er greift sich eines der Instrumente, dreht an ein paar Reglern, gibt mit den Bass-Saiten den Groove vor und zupft dann auf den anderen eine kurze Improvisation, jeder Akkord ein Flügelschlag, jeder Ton zugleich Botschaft - "Das ist meine Sprache" - und Frage: "Wollt ihr euch darauf einlassen?" Hier ist keiner, der sucht, sondern einer, der gefunden werden will. Martyn Joseph aus Wales ist angekommen in Grafing, dem Startort seiner aktuellen Deutschland-Tournee. Kein Zufall das, kein Kalkül, sondern das Ergebnis einer Freundschaft unter Musikern, getragen von dem Vertrauen, dass es ein volles Haus gibt mit Menschen, die ein Gespürt haben für gute Songs. Der Grafinger Hermann Maier hatte sein Idol eingeladen, für den Abend eigens ein Konzertbüro gegründet - und darf sich nun in seinen Hoffnungen voll bestätigt sehen.

Der temporeiche Rhythmus, den Joseph vorgibt, erreicht das Publikum unmittelbar. Immer wieder brauchen Songs nur wenige Takte, bis die Zuhörer reihenweise mitklatschen; interessanterweise nur für kurze Zeit, als wäre es ein zwischenzeitlicher Applaus. Viel öfter noch aber stimmen sie text- und tonlagensicher in Refrains ein, ebenfalls in erstaunlich großer Zahl, was für eine Menge an Joseph-Kennern im Saal spricht, die Grafinger Dimensionen sprengt. Immerhin war der Sänger erst einmal hier, 2018 für einen Auftritt in der Turmstube. Bei Songs wie "I searched for you" oder "Sunday's coming" aber reicht schon einmaliges Zuhören, um sie auf immer im Gedächtnis zu verankern.

Mitklatschen und Mitsingen, zwei Elemente, mit denen sich Joseph genauso in bester Folk-Manier bewegt wie mit den kritisch-melancholischen Botschaften seiner Songs. Es wäre vielleicht übertrieben, ihn in der Tradition von Woodstock anzusiedeln, aber mit Songs wie "Working mother" oder neben einer Joan Baez oder einem Woody Guthrie könnte er sich jederzeit hören lassen, genauso wie mit seinen Kollegen von den Inseln, Christy Moore, John Martyn oder Max Boyce. Es gibt zu wenige dieses Genres, die unverkrampft und ohne Pathos die scheinbar nebensächlichen, im Kern aber charakteristischen Episoden und Erlebnisse aus dem Leben so besingen, dass keine Schnulze daraus wird, sondern eine Geschichte.

Wenngleich es vor allem sein breites Grinsen in einem jungenhaften Gesicht ist, das Ähnlichkeit mit dem älteren Robert Redford aufweist, so tritt man beiden wohl nicht zu nahe, wenn man auch eine geistige Verwandtschaft unterstellt. Wie der eine in seinen Filmen, skizziert der andere in seinen Songs den Blick auf den Boden des Landes, über den er sich bewegt, und in die Gesichter der Menschen, die ihm dabei begegnen. Seine mit scheinbar leichter Hand geschaffene Poesie und sein Spürsinn für treffende Worte bringt dabei tiefsinnige genauso wie anmutige Zeilen, die schon Farbe haben, bevor sie dann über die Musik auch Kontraste und Spannungen erfahren. Balladen wie das junge "Summer has a way of finding you" oder das schon 1992 entstandene "Please Sir" gewinnen daraus ihre zeitlose Kraft und Glaubwürdigkeit.

Womit Martyn Joseph nicht nur die eingefleischten Fans, sondern auch Erstbesucher überzeugt, das sind seine schnörkellosen, geradlinigen Melodien. Er spielt dabei mit den zwei Stimmen, die aus den sechs Saiten der Gitarre entspringen, und lässt sich so weit von den kleinen elektronischen Bühnenhelfern unterstützen, die heute unverzichtbar erscheinen, dass es gut zu ertragen ist. Man hat bei jedem Stück noch immer ein klares (Klang-)Bild davon, wer den Ton angibt. Außerdem zeigt Joseph immer wieder kunstvolle Improvisationen, bei denen er aus Schaltkreisen und Programmierungen so nachdrücklich ausbricht, dass keine Zweifel an seinem Können bleiben - und an seinem Verständnis von ehrlicher Musik.

Dass der Waliser seine Musik nicht nur als unterhaltsam, sondern grundsätzlich auch als politisch versteht, zeigt sich einmal mehr in seinem jüngsten Album "Here come the young", dessen Titel das Gros des Programms am Freitagabend ausmachten. "So lange junge Menschen so überzeugt für den Klimaschutz auf die Straße gehen, wie sie das jetzt tun, glaube ich an eine leuchtende Zukunft", betonte der Vater von vier Kindern die Botschaft des Titelsongs. "Müde des fehlenden Schamgefühls, müde der gescheiterten Abkommen, müde der ignorierten Gesetze, müde einer Zukunft, die ihnen gerade genommen wird", singt er dort und schickt den Mächtigen die Warnung: "You better watch your back, Sir, they're coming for you now." Jubelnde Zustimmung aus den Reihen des Grafinger Jugendorchesters, dem mithin der Benefiz dieses Konzerts nicht nur materiell gilt, und am Ende liebevoller, begeisterter Applaus für einen neuen Freund.

© SZ vom 18.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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