Verhandlung am Landgericht:Auf schlechte Nachbarschaft

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Zwei Männer streiten sich immer wieder. Als der eine eine Staubschicht auf seinem Auto entdeckt, eskaliert die Situation

Von Viktoria Spinrad, Ebersberg/München

"Es ist so anstrengend", stöhnt Richter Andreas Zeug nach viereinhalb Stunden Verhandlung. Und versucht es noch einmal: "Hat er ihn nun getroffen - oder nicht?" Doch ob und wie ein 51-Jähriger mit Fäusten auf seinen Nachbar eingeschlagen hat, daran kann oder will sich der Zeuge partout nicht erinnern. Mal behauptet der pensionierte Handwerker, ein Bekannter des Opfers, das eine, mal das andere. Entnervt entscheidet der Richter: "Das ist jetzt nicht mehr hilfreich."

Es ist ein zäher Prozess, der am Montag vor dem Landgericht München II läuft. Links vom Zeugen sitzt ein 51-Jähriger im Nadelstreifenanzug auf der Anklagebank. Gegenüber im dunkelblauen Sakko der 73-jährige Nachbar, den er vor einem Jahr verletzt haben soll. Beide trafen sich vor dem Ebersberger Amtsgericht wieder. Dieses sah keinen Tatnachweis, sprach den 51-Jährigen frei. Staatsanwaltschaft und Nebenklage legten Berufung ein - und so sitzen sich die Nachbarn aus Ebersberg am Montag wieder gegenüber.

Und schildern ziemlich verschiedene Versionen des besagten Donnerstagnachmittags. Der 51-jährige Angeklagte, ein auffallend hochgewachsener Mann, technischer Angestellter, erzählt folgende Geschichte: An besagtem Tag kam er von der Arbeit und stellte seinen Wagen im gemeinsamen Garagenhof ab. Als er wenig später die Fahrräder aus der Garage holen wollte, um mit seiner Tochter zum Tanztraining zu radeln, "da war auf meiner Windschutzscheibe Sand".

Sand, der scheinbar aus der Wurfrichtung des Nachbarhauses kam. Er forderte den Nachbarn auf, den Sand zu entfernen. Doch der beleidigte ihn als "Idiot", warf eine Kiste mit Werkzeugen um, forderte ihn auf, "zurück nach Österreich zu gehen." Darauf erwischte der 51-Jährige ihn über dessen Gartentor so unglücklich, dass dessen Brille runterfiel. "Das hätte ich nicht machen sollen, das war ein Fehler", gibt der 51-Jährige zu, "es war nicht meine Absicht, ihn zu verletzen".

Die Verhandlung hat Sand im Getriebe

Verletzungen körperlicher und seelischer Art will der 73-Jährige, ein pensionierter Richter, mithilfe zahlreicher ärztlicher Unterlagen nachweisen. Die Liste umfasst schwere Gehirnerschütterung, temporäre Lähmung der linken Gesichtshälfte, Herz- und Atembeschwerden, sowie eine posttraumatische Belastungsstörung. "Meine Frau und ich trauen uns kaum noch aus dem Haus", sagt er, nachdem er seine Version der Geschichte erzählt hat. Demnach stieß ihn sein Nachbar im Hof an und sagte: "Putzen Sie sofort mein Auto!"

Dann soll ihn der 51-Jährige an der Schulter gepackt und sich auf ihn gestürzt haben - "der explodierte förmlich." Der Nachbar habe ihn bis zum Gartentor geschubst, drei Faustschläge versetzt, dass seine Brille zerbrach und seine Lippe aufplatzte. Als der 73-Jährige hinter das Tor in seinen Vorgarten flüchtete, folgte ihm der Nachbar und prügelte mit beiden Fäusten auf den 73-Jährigen ein. "Der wollte einen Kampf", resümiert der 73-Jährige.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich die beiden Männer vor Gericht streiten. Zuletzt hatten sie zivilrechtlich miteinander zu tun - weil der 73-Jährige den 51-Jährigen mit einer LED-Lampe am Haus geblendet haben soll; die Schlichtung läuft noch. Längst abgeschlossen ist eine Verurteilung des ehemaligen Richters und Nebenklägers wegen Missbrauch von Titeln.

Was geschah nun wirklich am Nachmittag des 19. Oktober 2017? Eine Watschn? Ein Kampf? Zwei Polizisten erinnern sich an leichte Verletzungen und daran, dass das Opfer "ziemlich durch den Wind" gewesen sei. Eine mäßige Entscheidungsgrundlage für Richter Andreas Zeug, den 51-Jährigen wegen Körperverletzung zu verurteilen - genau wie die ambivalente Einschätzung der Rechtsmedizin. Die körperlichen Beschwerden des 73-Jährigen könnten auch andere Ursachen haben, schildert die Gutachterin - nach knapp fünf Stunden erreicht die Verhandlung eine Sackgasse.

Um den Nachbarschaftsstreit zu rekonstruieren und ad acta zu legen, soll die Verhandlung am 14. November fortgesetzt werden: mit einer Vernehmung der elfjährigen Tochter des Angeklagten - und einem Gutachten des LKA zur Brille des Geschädigten.

© SZ vom 06.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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