Verdient großer Applaus:Raketenstart in den Frühling

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Allerhand harmonische Späße von Mozart, Haydn, Tschaikowsky und Prokofjew spielt das Symphonieorchester des Kulturvereins Zorneding-Baldham in seinen Frühlingskonzerten. (Foto: Christian Endt)

Das "Symphonieorchester des Kulturvereins Zorneding-Baldham" präsentiert zusammen mit dem Schulorchester Kirchseeon Werke voller Humor und melodischem Reichtum

Von Rita Baedeker

Unablässig tickt die Uhr im zweiten Satz, dem Andante von Joseph Haydns Symphonie Nr. 101. Es sind gezupfte und geblasene Achtel, die das rhythmische Ticktack erzeugen. Ein schöner Auftakt zum Beginn der Sommerzeit. Wie in den anderen drei Werken, die das Symphonieorchester des Kulturvereins Zorneding-Baldham am Samstag im Gymnasium Kirchseeon und am Sonntag im Alten Speicher Ebersberg aufführt, ist hier die Präzision eines Uhrwerks ebenso gefragt wie eine feinsinnige Klanggestaltung.

So auch bei der Polonaise aus der Oper "Onegin" von Peter Tschaikowsky, der Geschichte eines Dandys der russischen Oberschicht. Die Ballmusik eröffnet ein pompöses Fest in Sankt Petersburg. Man sieht sie dahinschreiten, hochmögende Herrschaften und Damen in ausladenden Roben, dekadent bis unter die Haarspitzen. Die Musik spiegelt das Milieu mit seinen Ritualen wider, sie klingt leichtfüßig und zeremoniell zugleich. Nach anfänglichem Stolpern gelingt dem Orchester in allen Stimmgruppen eine überzeugende Interpretation des an melodischem Charme reichen Werkes.

Beim anschließend gespielten Walzer ist auch das Schulorchester vom Gymnasium Kirchseeon mit von der Partie. Die Schüler musizieren neuerdings unter Leitung von Tanja Back. Und das ohne Makel. Das Ergebnis ist eine Aufführung auf hohem Niveau, mit wiegendem Schwung, sauber intoniert, rhythmisch sicher und nicht zu schnell; schließlich nahmen an einem Hausball in der russischen Provinz wohl auch ältere Semester teil.

Solistin des Abends ist dieses Mal Elfriede Nitzsche im Konzert für Fagott und Orchester von Wolfgang Amadeus Mozart, einem Frühwerk, das der in den USA geborenen und aufgewachsenen Musikerin in den beiden Ecksätzen reichlich Virtuosität abverlangt - extreme Lagen, rasante Läufe, Solo-Kadenzen, aber auch lyrische Passagen im zweiten Satz. Das Klangspektrum des Fagotts reicht von humoristisch wirkendem Näseln und Brummen bis zum sonoren Gesang. Elfriede Nitzsche erhält für ihre ausgewogene schöne Interpretation lang anhaltenden, verdienten Applaus.

Sinn für Humor zeigt auch Sergej Prokofjew in seiner 1917 entstandenen "Symphonie Classique", die zu den Konzertsaal-Klassikern zählt. 15 Minuten kurz ist dieser Hit, der in herrlich grotesker Weise mit den Formen der Klassik, besonders dem Stil Haydns, spielt. In dieser ersten Symphonie dreht Prokofjew die Uhr zurück, greift dabei alte Formen, eine Gavotte, ein Menuett auf, übertreibt lustvoll höfisches Getue und lässt die Noten übermütige Sprünge vollziehen. Im ersten Satz erklingt eine schnell aufsteigende Tonfolge, die auch als "Mannheimer Rakete" bezeichnet wird, ein Begriff, den der Musikwissenschaftler Hugo Riemann prägte. So richtig raketenhaft gelingt dem Orchester der Beginn des ersten Satzes nicht. Aber auch nicht jeder Feuerwerkskörper zündet nach Wunsch. Dann fängt das Orchester doch Feuer, intoniert ein feines Larghetto, eine gravitätische Gavotta und den letzten Satz mit Verve im Tempo "molto vivace". Als Zugabe lässt Dirigent Andreas Pascal Heinzmann, Träger des "Eugen-Jochum-Preises", einen "fünften" Satz spielen - eine Wiederholung des vierten, nur besser. Dafür gibt es nochmals raketenhaften Applaus.

Falsche Töne spielen zu dürfen - mit Erlaubnis des Komponisten - das gestattet Haydn Flöte und Streichern im Trio des Menuetts im dritten Satz seiner Londoner Symphonie, die den Namen "Die Uhr" trägt. Der Titel stammt allerdings nicht von ihm, sondern von einem Wiener Verleger. Haydn offenbart darin ebenfalls Sinn für harmonische Späße, vielleicht wollte er mithilfe schräger Töne die Spielweise einer Dorfkapelle parodieren, vielleicht , wie es Regina Back in einem Buch über Haydns Londoner Symphonien formuliert, verhindern, "dass die Streicher beim Spielen einschlafen". Solches passiert den Mitgliedern des Orchesters natürlich nicht. Ganz im Gegenteil: Sie gestalten im ersten Satz nach ein paar Takten Londoner Tristesse mit anschließendem jähen Presto aufwühlende Kontraste, lassen im Andante die Uhr schön gleichmäßig ticken und vollführen ein wildes Finale. So wie es einer "Londoner" Symphonie angemessen ist, auch und gerade in diesen Tagen.

© SZ vom 02.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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