SZ-Serie "Kraftakt", Folge 11:Ansprüche wie im Hotel

Lesezeit: 3 min

Das Personal auf Kinderstationen setzt viel daran, den Krankenhausaufenthalt für die kleinen Patienten erträglich zu machen - mit Kuscheltieren und bunten Farben. Doch der Pflegemangel führt dazu, dass für viele kranke Kinder gar kein Platz frei ist. (Foto: Catherina Hess/Catherina Hess)

Das Anstrengendste an der Arbeit von Kinderkrankenpflegerin Julia Santhaus sind nicht die Kleinen, sondern die Eltern

Von Johanna Feckl, Ebersberg

Wenn Julia Santhaus arbeitet, dann hat sie mit Patienten zu tun, nicht mit Gästen. Logisch, könnte man meinen, denn sie arbeitet schließlich als Kinderkrankenpflegerin. Nicht als Hotelfachfrau. So selbstverständlich scheint das jedoch für viele Menschen nicht zu sein. Diese Menschen sind Eltern der Kinder, die auf der Station von Santhaus, die im echten Leben anders heißt, behandelt werden. "Letztens hat ein Papa zu mir gesagt, dass das in einem Hotel ja auch ginge", erzählt die 23-Jährige. Sie erinnert sich nicht genau, um was es ging, Situationen wie diese erlebe sie häufig, da schalte man irgendwann auf Durchzug.

Eigentlich geht Julia Santhaus gerne zur Arbeit. "Es ist einfach ein schöner Beruf", sagt sie. Selbst der Schichtdienst macht ihr nichts aus, im Gegenteil: Sie mag es, wenn sie für Nachtschichten eingeteilt ist. Im vergangenem Jahr hat sie sich zur Praxisanleiterin weiterbilden lassen. Damit darf sie nun Krankenpflegeschüler anweisen. Aktuell nimmt sie an einer Pädiatrieweiterbildung teil. Sie macht das, obwohl sie dadurch nicht mehr Gehalt bekommen wird. Es interessiert sie einfach.

Santhaus wirkt genügsam, wenn sie von ihrer Arbeit erzählt. Trotzdem: Die Arbeitsbedingungen seien teilweise so, dass sie sich manchmal denke: "Und jetzt gehe ich einfach - ich habe keine Lust mehr". Klar, wenn sie einmal älter ist oder Kinder bekommen möchte, dann werde das mit den Schichten nicht mehr so leicht zu handhaben sein, vermutet Santhaus. Aber das ist es gar nicht, was sie am meisten umtreibt.

"Die Eltern werden immer unverschämter", sagt sie. Es bleibt nicht nur bei schnippischen Bemerkungen, bei denen sie das Gefühl hat, ihr Arbeitsplatz wäre ein Hotel und nicht ein Krankenhaus. Einige Mütter und Väter drohten sogar mit der Polizei. Weil ihnen das Zimmer, in dem ihr Kind liegt, zu klein ist. Oder weil sie nicht möchten, dass ihr Kind von einem Einzel- in ein Mehrbettzimmer verlegt wird. In manchen Fällen sei so etwas aber notwendig, erklärt Santhaus.

Wenn bei einem Kind Infektionsgefahr bestehe, dann müsse es zwingend ohne Zimmernachbar untergebracht sein. Wenn man deshalb das Bett eines Kindes, das ohne eine solche Krankheit ein Einzelzimmer hatte, verschieben müsse, dann sei das eben so. Nicht optimal, aber: "Was soll ich denn sonst machen? Ich kann mir ja auch keine zusätzlichen Zimmer aus dem Ärmel schütteln!"

Klar hat Santhaus Verständnis für die Eltern - die wollen schließlich nur das Beste für ihr Kind. Aber manche Mütter und Väter würden ihre Kinder regelrecht verhätscheln und sich fordernd gegenüber den Pflegekräften verhalten. Als ob ihr Kind sterbenskrank wäre. "Ist es aber nicht", sagt Santhaus. Am liebsten würde sie in solchen Situationen den Eltern den Rat geben, mal eben einen Blick in das Zimmer nebenan zu werfen - denn dort liegt vielleicht tatsächlich ein sterbenskrankes Kind. Und das sieht ein wenig anders aus als ihres. Aber sie verkneift es sich. Julia Santhaus schüttelt den Kopf. "Kann ich nicht machen."

Morgens um etwa sieben Uhr gehen sie und ihre Kolleginnen der Reihe nach durch alle Zimmer. In der Regel klappt das nicht reibungslos. Immer wieder klingeln zwischendurch Eltern, sodass sie ihren Rundgang unterbrechen müssen, um zunächst dort nach dem Rechten zu sehen. Meistens ist bei den Patienten dann aber gar nichts zu erledigen, was nicht auch hätte warten können, bis die Pfleger ein paar Minuten später ohnehin in das Zimmer gekommen wären.

Um halb zehn ist dann eine Pause vorgesehen. "An 60 Prozent der Tage schaffen wir die nicht", sagt Santhaus. Weil ständig jemand klingelt - wegen Kleinigkeiten. Die wenigsten Eltern hätten Verständnis dafür, dass auch Pflegepersonal eine Pause macht. "Für die gibt es nur ihr Kind." Mittlerweile sage sie ab und an, dass sie im Moment woanders im Krankenhaus unterwegs sei und nicht in Pause. Das verstünden ein paar mehr Eltern.

Natürlich gibt es aber auch die anderen. Santhaus erinnert sich: Es war eine stressige Schicht, an Pause nicht zu denken. Da kam ein Vater auf sie zu und sagte: "Dankeschön, einfach danke für alles." Sein Kind, es war etwa drei Jahre alt, stand daneben und stimmte fröhlich quietschend zu: "Ja, dich finde ich richtig nett!" Es seien solche kleinen Dinge, die Santhaus wieder ermutigten. "Den Eltern ist oft gar nicht bewusst, was sie mit einem einfachen 'Danke' bei uns bewirken."

© SZ vom 12.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: