SZ-Adventskalender für gute Werke:"Das war alles viel zu viel"

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Der vierjährige Sohn hat eine schwere Krebserkrankung überwunden, da muss die Familie wegen eines Wasserschadens um die Wohnung bangen. Dabei sehnen sich Eva K. und ihre Buben einfach nur nach Ruhe und Geborgenheit

Von Christina Seipel, Ebersberg

Wenn das Taxi morgens um acht Uhr vor der Haustür steht, um Max in den heilpädagogischen Kindergarten zu bringen, ist der Vierjährige schon seit zweieinhalb Stunden wach. An Werktagen muss er um 5.30 Uhr aufstehen. Diesen Zeitpuffer brauche er, sagt Mutter Eva K. (Namen geändert): "Er kann schlecht mit Veränderungen umgehen, da wird er hilflos und panisch." Das war nicht immer so. Doch in den letzten zwei Jahren ist einfach zu viel passiert: Seine schwere Krebserkrankung, ein Wasserschaden in der Wohnung, der Tod eines Onkels und der Umzug in eine neue Umgebung. Hinzu kommt die ständige Angst, dass die Krankheit wieder zurückkehrt. "Das war alles viel zu viel", sagt Eva K. mit Tränen in den Augen.

Man ahnt, wie groß die Belastung gewesen sein muss - nicht nur für ihre beiden Kinder. "Ich brauche dringend Pause, ich kann nicht mehr." Eva K. klingt erschöpft und müde. Eigentlich hätte die Familie längst wieder zurück sein sollen in der alten Wohnung, doch die ist nach einem Wasserschaden noch immer nicht bewohnbar. Ein Dreivierteljahr ist das nun her. Seitdem lebt die Familie in einer möblierten Zweizimmerwohnung am anderen Ende der Stadt, einer Ferienwohnung. Für Kinder sei diese nicht ausgelegt, sagt Eva K.. Das ausziehbare Bett muss Max sich mit seinem Bruder Tim teilen. Rückzugsmöglichkeiten gibt es keine.

Den mittlerweile vierten Umzugstermin hat die Familie nun wieder kurzfristig verschieben müssen. Zu groß wäre das gesundheitliche Risiko für Max, fürchtet die Mutter. Der Grund: Gutachten belegen weiterhin Ablagerungen und schädliche Schimmelspuren. Zwar sei die Wohnung kernsaniert, Estrich und Parkett erneuert worden. Die vereinbarte Feinreinigung aber habe noch nicht stattgefunden, davon ist Eva K. überzeugt. Die Wohnung sei nachweislich verschmutzt, die Möbel staubig und fleckig. Auch die Küche sei noch nicht wieder angeschlossen. Zudem fehlten wichtige Messewerte, klagt die junge Mutter. Die Wohnung sei zwar nach Schimmel, nicht aber nach Bakterien überprüft worden. Dabei bestand der Verdacht, dass die Toilettenleitung zu dem Wasserschaden geführt habe und es sich um eine Fäkalienverunreinigung handelte. Trotzdem habe der Vermieter, der die Kosten für die Übergangsbleibe zahlt, die Familie mit unrealistischen Fristen immer wieder dazu gedrängt, in ihre schadstoffbelastete Wohnung zurückzukehren. Immer wieder mussten die Termine dann verschoben werden.

Nach acht Chemotherapien, einer zwölfstündigen Operation und einer Stammzellentransplantation galt der vier Jahre alte Max als geheilt. Nun hofft die Familie, dass der Krebs nicht wiederkommt. (Foto: Catherina Hess)

"Eigentlich wollten wir uns friedlich einigen", sagt Eva K. Der Vermieter ließe jedoch nur noch über einen Anwalt mit sich reden. Wann sie wieder in ihre alte Wohnung einziehen können, ist ungewiss: "Wir wissen nicht mal, wo wir Weihnachten sind." Eine andere Wohnung will sich die Familie nicht suchen. "Das würde die Kinder komplett entwurzeln", befürchtet die Mutter.

Zur belastenden Wohnsituation plagt sie die ständige Sorge um Max. Routiniert gibt Eva K. ihrem Sohn Schmerzmittel aus einer Spritze, die der Vierjährige geduldig hinunterschluckt. "Ein trainierter Medizinnehmer", wirft die Oma, die extra aus einem anderen Bundesland gekommen ist, um den bevorstehenden Umzug zu unterstützen, mit besorgtem Blick ein. Das Gesicht des Vierjährigen ist blass, er wirkt angeschlagen. 2014 musste er ein halbes Jahr lang eine Odyssee von Arzt zu Arzt über sich ergehen lassen. Der Mutter war klar, dass etwas nicht stimmt. Er habe nur noch geschlafen, gestöhnt, sei wenig gelaufen. Ärzte vermuteten einen Infekt oder Entwicklungsschübe. Bis bei einem Ultraschall Gewebe am Hals gefunden wurde, das dort nicht hingehörte. Die Diagnose: Neuroblastom im vierten Stadion. Die bösartigen, embryonalen Tumore kommen vor allem im frühen Kindesalter vor. Bei Max waren Metastasen bereits über den ganzen Körper und im Knochenmark verteilt.

Fast ein Jahr hat der Vierjährige in der Haunerschen Kinderklinik an der Seite seiner Mutter um sein Leben gekämpft. "Es war nicht immer klar, ob er es schaffen würde", sagt die junge Frau. Erst nach acht Chemotherapien, einer zwölfstündigen Operation und einer Stammzellentransplantation war Max wieder auf dem Wege der Besserung. Ihren älteren Sohn Tim habe sie in dieser Zeit nur selten sehen können, gesteht sie. Der Sechsjährige habe viel zurückstecken müssen. Sein Tagesablauf wurde von der Krankheit des Bruders diktiert. Tim hatte gelernt, nach außen zu funktionieren. Tatsächlich habe ihn die Situation aber sehr mitgenommen. "Er war total verloren und unglücklich", erzählt die Mutter. Heute besucht er eine Spieltherapie und eine Vorschule. "Das tut ihm gut. Er hat sich gut gefangen."

Max ist aber weiterhin unter Beobachtung. Die Rückfallquote liegt bei 60 Prozent. Phasenweise sei es ihm wieder sehr schlecht gegangen, erzählt Eva K.. Der Verdacht auf einen Rückfall habe sich zum Glück als Fehldiagnose erwiesen. Im Flur steht sein schwerer Therapie-Buggy. Weite Strecken zu Fuß kann der Vierjährige nicht laufen. Dafür ist er noch zu schwach auf den Beinen. Dauerhafte Schmerzen gehören zu den Spätfolgen seiner Krankheit. Zudem leidet er unter einer Belastungsstörung. Der normale Kindergarten war ihm zu anstrengend geworden. Die Mutter ist trotz allem zuversichtlich: "Das kriegen wir wieder hin, wenn auch mit etwas mehr Energie und Zeitaufwand."

Die ständige Ungewissheit wegen ihrer Wohnsituation zermürbt die Eltern. Einen Rechtsschutz haben sie nicht. Die Kosten für einen eigenen Schimmelgutachter und Rechtsanwalt summieren sich. Schlimmstenfalls könnten noch hohe Gerichtskosten anfallen, fürchtet die Mutter. Wegen einer chronischen Rheumaerkrankung bezieht sie eine kleine Erwerbsminderungsrente. Allzu gerne würde sie wieder arbeiten gehen. Doch die vielen bürokratischen Hürden, die Krankheit ihres jüngsten Kindes, erlauben ihr keinen Wiedereinstieg in den Beruf. Das Einkommen des Vaters alleine reicht nicht aus. "Es ist alles offen. Man weiß nicht, wie es ausgeht."

Max und Tim haben für Weihnachten nur einen Wunsch: "Sie wollen einfach nur nach Hause", sagt die Mutter. Zurück zu ihren Freunden und der netten Hausgemeinschaft, die ihnen vertraut ist. Dort wollen sie endlich wieder die Ruhe und Geborgenheit finden, die sie so lange vermisst haben.

© SZ vom 02.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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