In einem Alter, in dem so mancher über Medikamente vor allem nach langen Nächten nachdenkt, haben Michaela und Leonhard Wieser beschlossen, sich ihren Traum von einer eigenen Apotheke zu erfüllen: Mit gerade einmal 26 beziehungsweise 27 Jahren übernahmen sie die Sophien-Apotheke in Steinhöring. Und das, obwohl diese von einschlägigen Finanzberatern als "nicht empfehlenswert" eingestuft worden war. Zu wenig Umsatz, lautete die Diagnose. Obendrein waren die Wiesers zu dem Zeitpunkt noch kein volles Jahr ein Paar, "wir wussten also gar nicht, ob wir überhaupt miteinander arbeiten können".
Und doch gingen sie das Risiko ein und verschuldeten sich - aus voller Überzeugung. "Wir wollen dem Apothekensterben etwas entgegensetzen, wollen einfach die Versorgung auf dem Land sicherstellen", erklärt Leonhard Wieser, während seine Frau Michaela das erste Kind des Paares in den Armen wiegt und kräftig nickt. "Wir kommen aus Aßling beziehungsweise Grafing: Das und unsere Berufung hat uns dazu bewegt, nicht nur auf die Rendite zu schauen und nach München zu gehen." Vielmehr führt das junge Paar nun ein Erbe weiter: Seit bereits mehr als 30 Jahren gibt es die Steinhöringer Sophien-Apotheke, die sich in einem schönen ehemaligen Bauernhaus befindet.
Heute, genau fünf Jahre nach der Übernahme, ziehen die Wiesers eine durchweg positive Bilanz: Der Mut habe sich gelohnt. Mittlerweile beschäftigen die beiden Inhaber zehn Mitarbeiter und sind darüber hinaus auf der Suche nach Verstärkung. Allerdings liege hier eines der größten Probleme von Landapotheken: Ohne eine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr sei es sehr schwer, Personal zu finden. Auch die Wiesers selbst kommen mit dem Auto, sie wohnen in Grafing. Dort, am Gymnasium, haben sie sich auch kennengelernt, ein Paar wurden sie allerdings erst später, nach dem Studium in verschiedenen Städten.
Mit Blick auf die Zahl der Kunden allerdings ist der Standort der Sophien-Apotheke direkt an der B 304 strategisch durchaus günstig: "Wir haben sowohl viele Stammkunden aus dem Ort und der Umgebung, als auch eine große Laufkundschaft", erklärt Michaela Wieser. Sprich: Autofahrer, die kurz an der Apotheke halten. Und tatsächlich: An diesem Vormittag ertönt das Glöckchen an der Tür viel öfter, als man es in einer Landapotheke erwarten würde, nämlich praktisch im Minutentakt. Anders sei das nur vor Kurzem mal gewesen, als die Straße für mehrere Tage gesperrt gewesen sei. "Das haben wir schon deutlich gemerkt."
Bemerkbar macht sich die rege Kundenfrequenz freilich auch beim Umsatz. "Heute dürften wir wohl als ,ordentlich' eingestuft werden", sagt Leonhard Wieser nicht ohne Stolz. Unterstützung in finanziellen Dingen bekommt er von seinem Bruder, einem Unternehmensberater. Schließlich sei er selbst Naturwissenschaftler, kein Kaufmann, sagt Wieser, der wie seine Frau Apotheker ist. Insofern liegen die Prioritäten des Paares vor allem auf der Beratung der Kunden und auf dem Service. Voller Begeisterung berichten die jungen Inhaber davon, wie wichtig es gerade für eine Landapotheke sei, "immer am Ball zu bleiben". Sei es bei medizinischen Neuerungen, bei Änderungen der Gesetzeslage, bei den technischen Möglichkeiten.
Gleich zu Beginn hätten sie die Öffnungszeiten verlängert, die Bestände verdreifacht und ein neues Warenwirtschaftssystem eingeführt. Dieses registriert sofort, wenn ein bestimmtes Präparat fehlen sollte oder besonders oft nachgefragt wird. Und falls trotzdem ein Kundenwunsch einmal nicht erfüllt werden kann, so muss niemand lange warten: "Wir werden sechs mal am Tag beliefert", sagt Leonhard Wieser und macht ein Gesicht, als könne er das selbst kaum glauben. Stolz ist das Apothekerpaar auch auf eine neue App, mit der die Kunden Bestellungen aufgeben können: Einfach das Rezept fotografieren, abschicken und das Medikament später abholen. "Das war die Idee eines Kunden", erzählt Michaela Wieser, "der Pendler ist und oft spezielle Medikamente braucht". Mit ihm habe man die App in einer Probephase getestet - und schließlich beiderseits für gut befunden.
Wichtig ist den jungen Inhabern auch der Raum, in dem sie spezielle Salben und Lösungen anmischen. "Das Labor haben wir schon vor einiger Zeit umgebaut und auf den neusten technischen Stand gebracht." Denn hier wird nicht nur nach Rezeptur geschüttelt und gerührt, sondern neuerdings auch noch viel mehr recherchiert, ausprobiert und dokumentiert: Ein neues Gesetz schreibe nämlich vor, dass die Wirksamkeit aller selbst gemischten Präparate von den Apothekern sichergestellt werden müsse, erklären die Wiesers. "Das ist richtig wissenschaftliches Arbeiten - aber das macht uns großen Spaß."
Als nächstes ist dann der Verkaufsraum mit einer Modernisierung dran: ein niedriges, aber wunderschönes Gewölbe mit Verkaufstheke und dem obligatorischen Apothekerschrank. Das hölzerne Ungetüm aus Schubladen soll jedoch bleiben: Bei der Warenausgabe setzen die Wiesers lieber auf den menschlichen Überblick als auf computergesteuerte Automatismen. "Und befüllen muss man es ja ohnehin immer eigenhändig." Voraussichtlich unerfüllbar bleibt in der Sophien-Apotheke wohl nur der Wunsch nach einer kleinen Kaffeeküche: Dafür sind die Räumlichkeiten schlicht zu beengt.
Doch so eine Landapotheke biete auch Vorteile, sagen die Wiesers. "Man kennt die meisten Kunden und vor allem die Ärzte in der Umgebung, sodass man bei Unstimmigkeiten meist den kurzen Dienstweg nehmen kann." Schließlich sei das Wichtigste, den Menschen mit den richtigen Medikamenten zu helfen. "Unser Motto ist Ehrlichkeit, auch wenn das bedeutet, jemandem von einem Mittel abzuraten." Das nämlich schaffe Vertrauen, und das allein sei das Kapital einer Apotheke. Vor allem auf dem Land.