Einrichtungsverbund Steinhöring:Erst ein Kaffee, dann ein Armband

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Betreute des Einrichtungsverbundes Steinhöring fertigen Schmuck aus Haushaltsabfällen. Für sie zählt vor allem, nach der Arbeit ein Produkt zum Anfassen in der Hand zu haben.

Von Katharina Behmer, Steinhöring

Will sich eine Frau schönen Schmuck gönnen, dann greift sie zu teuren Edelmetallen wie Gold und Silber. Oder zu Aluminium. Genauer gesagt sogar zu einem Material, das in vielen Haushalten eigentlich als Abfall anfällt: Kaffee-Kapseln. Damit nämlich stellt eine Fördergruppe des Einrichtungsverbundes Steinhöring Armbänder her. Schmuck also als echtes Recycling-Produkt.

"Hoch. Runter. Drehen. Fertig." Erzieherin Bettina gibt Michael ganz klare Anweisungen: Erst muss er eine der bunten Aluminiumscheiben in die Kniehebelpresse einlegen. Dann eine Metallstange darauf platzieren und den Hebel nach unten drücken. Am Ende kommt ein fertiges Metallröllchen aus der Maschine. Bettina muss dabei die ganze Zeit neben Michael sitzen, denn alleine würde er die Arbeitsschritte wieder vergessen. Der junge Mann ist schwerst mehrfachbehindert. Hier in der Fördergruppe wird ihm die Möglichkeit gegeben, seine Zeit sinnvoll zu nutzen: Er ist an der Produktion der Armbänder beteiligt.

Ausschließlich Männer stellen den Damenschmuck her

"Unsere Leute denken nicht: Die Kapsel muss so und so aussehen, die machen nur einen Schritt", erklärt Bettinas Kollegin, die Heilerziehungspflegehelferin Nathalie Porombka. Fünf Männer im Alter zwischen 27 und 61 Jahren besuchen ihre Fördergruppe und stellen hier Damenschmuck her. Jeder sitzt an einer festen Station, die genau auf die individuellen Fähigkeiten abgestimmt ist. "Unser erster Gedanke war: Oh Gott, wir haben nur Männer", erzählt Nathalie Porombka.

Sie sei sich zuerst nicht sicher gewesen, ob die neue Arbeit den Betreuten gefällt, immerhin sind sie ja nicht unbedingt die Zielgruppe für den Modeschmuck. Andererseits: "Von den Grillanzündern hatten sie ja auch nix." Diese wurden bislang in der Einrichtung hergestellt. Ewig dieselbe "stumpfe Arbeit", wie es Nathalie beschreibt. Ihre Schützlinge hätten sich dabei gelangweilt - "unsere Leute haben nie gesehen, was eigentlich daraus wird".

Bei den Armbändern ist das anders. Vier bunte Exemplare liegen direkt in der Werkstatt zur Ansicht bereit. "Ich glaube, dass alle sehr froh waren über die neue Beschäftigung", schätzt Nathalie Porombka. Michael und Robert sitzen an den eigens angefertigten Pressen, Christoph kratzt die Kapseln fein säuberlich aus. Ludwig schreibt mithilfe eines Schreibapparates Beschriftungen für die Bänder und Benedikt fädelt konzentriert auf. Sind die Kaffee-Kapseln erst einmal gepresst, gebogen und mit Perlen aufgefädelt, erkennt man das Ursprungsprodukt gar nicht mehr. Es sind echte Schmuckstücke geworden.

Viele Leute geben ihre Kapseln ab, um ihr Gewissen zu beruhigen

Dabei kam Erzieherin Bettina eigentlich durch Zufall auf die Idee, Schmuck aus Kapseln zu machen: "Meine beste Freundin hat eine Kapselmaschine und der Kaffee hat mir immer gut geschmeckt." Also überlegte sich die 28-Jährige, selbst ein solches Gerät anzuschaffen, und suchte auf einer Versteigerungsplattform im Internet danach.

Dabei entdeckte die Erzieherin Angebote für Armbänder aus dem ungewöhnlichen Material. Sofort habe sie sich gedacht: "Es ist richtig einfach, den Kaffee auszukratzen - das könnten doch unsere Leute machen." Durch den auffälligen Modeschmuck ließe sich den Betreuten zeigen: "Schaut's mal, dafür ist die Konzentration und die Arbeitskraft investiert."

Die Erzieherin selbst hat sich letztendlich dann doch gegen die Maschine entschieden - wegen des Umweltgedankens. Die Herstellung der Aluminium-Verpackung belastet die Umwelt und die Kapseln lassen sich nach dem Gebrauch nur schwer wieder recyceln. Dieses Problem sieht auch Bettinas Kollegin Nathalie Porombka: "Die Leute wissen genau, wie schädlich diese Kapseln für die Umwelt sind. Sie geben sie bei uns ab, um ihr Gewissen zu beruhigen."

Einmal kam sogar eine Lieferung aus Thüringen

Seit Juli sammeln die Betreuerinnen Kaffee-Kapseln über Aufrufe im Internet. So sind schon etwa 5000 zusammen gekommen, und jede Woche werden es etwa 300 mehr. Vorher hatten die beiden jungen Frauen nur Kapseln von Mitarbeitern erhalten, dass sei "schleppend" gegangen: "Das waren nur hier und da mal vielleicht fünf Kapseln."

Heute werden sie von Privathaushalten, aber auch von Firmen aus Kirchseeon, Wasserburg und München beliefert. "Einmal kam sogar eine Lieferung aus Thüringen", erzählt Nathalie Porombka. Nur selbst abholen könnten sie die Kapseln nicht: "Wir können nicht durch die Weltgeschichte fahren während der Arbeitszeit." Auch der Kaffeesatz wird hier wiederverwendet: "Es dauert höchstens zwei Tage, dann ist der Zehn-Liter-Eimer voll", meint Nathalie Porombka. Eine Kollegin verwendet das braune Pulver, um ihren Garten zu düngen.

"Anfangs war ich skeptisch, als es daran ging, die Kapseln online über soziale Netzwerke zu sammeln. Ich hatte Bedenken, dass durch einen solchen Aufruf innerhalb von zwei Tagen unser Hof voll ist", gesteht der Leiter der Förderstätten, Thomas Bacher. Erst durch ein "schön schlüssiges" Infoblatt ließ er sich von der Idee überzeugen.

Für die Betreuten erfordert die Arbeit jede Menge Konzentration

Als er das Endprodukt erstmals in den Händen hielt, war er "allerdings schon noch mal positiv überrascht". Das Produkt ist für Bacher aber eher zweitrangig: "Ich bin da sehr pragmatisch. Mir geht es nicht um den Endverbraucher, sondern um die Beschäftigung unserer Teilnehmer."

Einer seiner Grundsätze ist das Recht auf Arbeit für jeden Menschen. Das Konzept der Förderstätten sei es, den Beeinträchtigten eine Struktur und Aufgabe zu geben und sie so in die Gesellschaft zu integrieren. Im Gegensatz zu den Werkstätten werden hier Menschen betreut, denen es körperlich und geistig "nicht, nicht mehr oder noch nicht" möglich ist, eigenständig zu arbeiten. Für sie erfordert die Herstellung der Armbänder jede Menge Konzentration und ist schwere Arbeit. Das müsse gewürdigt werden.

Ein Band kostet zehn Euro

Hoch konzentriert sitzt Benedikt an seiner Fädelstation. Er nimmt sich eine Perle beäugt sie von allen Seiten und steckt sie auf den elastischen Faden. Er prüft noch einmal genauestens, ob die Perle an der richtigen Stelle sitzt und greift sich die nächste. Er ist Autist und braucht diesen geregelten Ablauf. Alles muss seine Ordnung haben. Am Tag schafft er es, etwa zwei Armbänder zu fertigen.

Auch wegen dieser aufwendigen Arbeit erscheint den Verantwortlichen ein Preis von zehn Euro pro Band angebracht - "es sind schließlich Unikate". Von den Einnahmen wollen sie einen kleinen Staubsauger kaufen, denn überall in der Werkstatt liegt mittlerweile Kaffee. Aber in jedem Fall, sagen die Betreuerinnen, würden ihre Leute davon profitieren, "und wenn wir am Freitag nur eine Pizza bestellen".

© SZ vom 07.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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