Spannender Vortrag:Lernen auf hoher See

Lesezeit: 3 min

Sebastian Bauer war Lehrer im "Klassenzimmer unter Segeln"

Von Carolin Schneider, Ebersberg

"Großstengestagsegelschotblockaufholer" - Ein Wort, das Sebastian Bauer vor zwei Jahren nicht einmal gehört hatte. Jetzt kann er genau sagen, um welchen Tampen es sich dabei handelt. Denn er tauschte Klassenbuch gegen Logbuch, Lehrerzimmer gegen Kombüse und graue Betonwände gegen den unendlich weiten Horizont. Mehr als sechs Monate war er zusammen mit 34 Schülern aus ganz Deutschland auf dem Segelschiff "Thor Heyerdahl" unterwegs. Das Ziel des Projekts "Klassenzimmer unter Segeln" ist es, die Jugendlichen zu Zusammenarbeit und Übernahme von Verantwortung anzuleiten. Erlebnispädagogik ist das Stichwort.

Sebastian Bauer ist eigentlich Lehrer für Mathematik und Physik am Humboldt-Gymnasium Vaterstetten und hat nun im evangelischen Gemeindehaus in Ebersberg von seinen Erlebnissen auf dem Segelschiff erzählt. Mithilfe einer Diashow zeigte er die schönsten Bilder. Immer mal wieder geht ein Raunen durch das Publikum: Springende Delfine, beeindruckende Sonnenuntergänge und paradiesisch anmutende Inseln sind auf den Bildern zu sehen, aber auch dick eingepackte Menschen im Regen, ein überflutetes Deck und das Schiff in Schieflage. Bauer erzählt locker über die Monate auf hoher See, immer gerade das, was ihm zu einzelnen Bildern einfällt. Das Publikum hängt ihm an den Lippen und bemerkt gar nicht, wie schnell zweieinhalb Stunden vorbei sind.

Die Route ging von Kiel über Madeira und Teneriffa nach Südamerika. Neben vielen kleinen karibischen Inseln besuchte die Gruppe Kuba und Panama für längere Zeit. Die Schüler waren in Panama in Gastfamilien untergebracht, um ihr Spanisch zu verbessern, in Kuba unternahmen sie selbst organisierte Exkursionen. "Die Schüler machen total viel eigenverantwortlich", erzählt Bauer. Sie werden eingeteilt und arbeiten genauso wie die Erwachsenen auf dem Schiff. Dazu gehört die Wache, die in Schichten aufgeteilt war. Um den Kurs nicht zu verlieren, musste immer jemand am Steuer stehen und Ausschau nach Gefahren halten - Tag und Nacht. Auch Schüler und Lehrer hatten Nachtschicht. "Ich hatte meistens die Schicht von zwei bis fünf", so Bauer. Das bedeutete, mitten in der Nacht aufgeweckt zu werden und drei Stunden im Dunkeln auf Deck zu verbringen. "Knoten zu üben war eine wunderbare Beschäftigung bei der Nachtwache", verrät Bauer.

Neben der Wache hieß es auch täglich "Rein Schiff!", das Kommando zum Putzen des 50 Meter langen Segelschiffes. Da wurden die Sanitäranlagen auf Vordermann gebracht, Messing poliert und das Deck geschrubbt. Samstags musste zusätzlich die eigene Kabine gereinigt werden. Die wurde anschließend vom Kapitän persönlich auf Sauberkeit untersucht. "Erst wenn der zufrieden war, gab es das Besanschot-an", erinnert sich Bauer. Der Lehrer wirft mit Fachbegriffen nur so um sich, erklärt diese jedoch immer sofort: Beim Besanschot-an gibt der Kapitän für gewöhnlich Schnaps oder Rum aus, für die Crew der "Thor Heyerdahl" gab es Cola und Orangensaft.

Doch es ging nicht nur um das Segeln selbst. Täglich fand Unterricht für die etwa 14- bis 16-Jährigen statt. In neun Fächern unterrichteten die fünf Lehrer, die an Bord waren - und das jeden Tag bis auf sonntags. Die Schüler waren in zwei Gruppen eingeteilt und hatten immer abwechselnd Unterricht, schließlich muss die eine Hälfte immer die Wache durchführen. Auch Prüfungen schrieben die Schüler auf hoher See, eine davon am 24. Dezember. "Das haben die Schüler selbst so gewollt", verteidigt sich Bauer beim entsetzten Aufstöhnen aus dem Publikum. Schließlich habe keiner von ihnen je wieder die Möglichkeit, an Heilig Abend eine Klassenarbeit zu schreiben. Und am nächsten Tag wurde Weihnachten gefeiert - am Strand bei hohen Temperaturen und Sonnenschein. "Ein einmaliges Erlebnis", so Bauer.

Auf der Rückfahrt nach Kiel wurde es dann jedoch kälter, um die null Grad seien es im Nordatlantik gewesen. "Ich hatte neun Schichten Kleidung an", gibt Bauer zu und fängt an aufzuzählen: Skiunterwäsche, zwei Hosen, zwei Pullover, Jacke und wasserdichte Latzhose... "Aber es waren doch nur null Grad", ruft jemand aus dem Publikum erstaunt. Bauer nickt. "Ja, nur null Grad." Aber wenn man zwischen zwei und fünf Uhr nachts Wache hatte und drei Stunden nur am Ruder stand, sei es trotzdem ziemlich kalt geworden.

Am Ende wussten die Zuhörer zwar nicht, was ein Großstengestagsegelschotblockaufholer ist. Aber Bauer gab schließlich zu, dass er es selbst kaum benötigt hatte während des Törns. Stattdessen hatte das Publikum einen umfassenden Eindruck vom Leben auf einem Schiff und dem Projekt "Klassenzimmer unter Segeln" - und vielleicht auch ein Hauch von Fernweh.

© SZ vom 16.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: