Singspiel in Baldham:Bewegende Begegnung

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"Jubilate-Chor" widmet sich dem Dichter Matthias Claudius

Von Ulrich Pfafenberger, Baldham

Zugaben, bei denen das Publikum mitsingen darf, sind alles andere als alltäglich. Genauso wie, zum Leidwesen des menschlichen Miteinanders in unserer Welt, die Botschaft der letzten Strophe, die am Samstagabend in der gut besuchten Petrikirche in Baldham erklang: "So legt euch denn, ihr Brüder,/in Gottes Namen nieder;/kalt ist der Abendhauch./Verschon uns, Gott!, mit Strafen,/Und laß uns ruhig schlafen!/Und unseren kranken Nachbar auch!" So endet das Lied "Der Mond ist aufgegangen", das unzählige Generationen von Kindern und vermutlich auch viele Eltern in eine behütete Nacht geleitet und bis heute nichts von seiner beruhigenden Kraft verloren hat.

Mit einem Singspiel zum Dichter des Liedes, zu Matthias Claudius, haben Matthias Gerster und der Jubilate-Chor den Vorhang gelüftet, der in der Regel das Leben und Denken des Autors dieser Zeilen verhüllt. Angereichert mit biografischen Informationen und Zitaten aus Briefen, im lebendigen Dialog vorgetragen von Carolin Schubert, Jolie Werner und Stephan Opitz und begleitet von Johanna Gerstner an der Violine und Matthias Gerstner an der Orgel erwies sich die abendliche Stunde mit dem Titel "Mondschein im Herzen" als kunstvoll-bewegende Begegnung mit einem nur scheinbar überholten Konzept von Zuneigung und Gottvertrauen. Das mag nicht modern sein, aber gestrig ist es eben auch nicht.

Das Motto der Reihe "Bach & More" lotet Gerster mit seiner Referenz an Claudius auf den ersten Blick sehr weit aus. Überschneiden sich doch die Lebensläufe des erstgeborenen Komponisten und des folgenden Dichters gerade einmal um zehn Jahre. Doch dessen Herkunft aus einem lutherischen Pfarrhaus und seine späteren Begegnungen mit den Geistesgrößen und Vordenkern seiner Zeit - von Klopstock bis Herder - bekräftigen die Vorstellung einer direkten Linie zwischen den Gedankenwelten beider Männer.

Der eine ein Meister der Tonsprache, der andere ein Wortkünstler mit direktem Zugang zum Herzen der Menschen zeichnen sich Bach wie Claudius zudem durch eine Parallele aus, die beider Werke hat schadlos die Zeiten überdauern lassen: ehrliche Gläubigkeit und Klarheit der Botschaft. Beides haben der Textautor Reinhard Ellsel und der Kirchenmusiker Markus Nickel in dem 2015 entstandenen Singspiel trefflich zu zeichnen verstanden. In der Welt der bewegten elektronischen Bilder würde man ein solches Opus ein "Biopic" nennen, ein biografisches Bild. Die Aufführung am Wochenende war noch eine Dimension kraftvoller, verstand sie es doch, durch die Kraft von Worten und Melodien die Bilder in der Fantasie des Publikums entstehen zu lassen.

Ein gerüttelt Maß dazu beigetragen hat der Jubilate-Chor, der sich mit Herz und Präzision auf eine Aufgabe eingelassen hat, die oberflächlich einfach erscheinen mag, aber aufmerksamer Zuwendung bedarf, um Tiefe zu zeigen. Gerade der volksliedhafte Charakter der elf Stücke, verbunden mit den volksgläubigen Botschaften könnte in der Häufung und raschen Abfolge ins Beliebige abgleiten oder in Routine. Bei Jubilate, mit erkennbarer Sorgfalt von Gerstner auf die Aufgabe eingestellt, durften die Zuhörer das Gegenteil wahrnehmen: Aufmerksamkeit für jede einzelne Tonfolge und bewusste Artikulation der dichterischen Worte. Herausragend zum Beispiel die Dramatisierung des Lieds "Ich lag und schlief" über die unerwartete und vorübergehende Ahnung des Todes sowie den Weg zurück in die Lebensfreude.

Auch den Sprechrollen war anzumerken, dass die Worte des Dichters auf fruchtbaren Boden gefallen waren. Im Stil einer neugierigen Reporterin öffnete Carolin Schubert das Tor der Neugier auf Claudius' Leben. Jolie Werner vermittelte der Liebe von Rebekka, der ersten Frau des Dichters, eine charmante Mischung aus Heldenverehrung und Herzensbildung. Als Erzähler setze Stephan Opitz einen so munteren und anschaulichen Rahmen, dass man geradezu neugierig darauf wird, ihm auch mal als Pastor zu lauschen.

Musikalisches Gegenstück zum Erzähler, auch in der Tonlage, ist die Solovioline, mit der Johanna Gerstner den Motiven und Leitgedanken der Gedichte und Lieder jenen silbernen Mondschein verlieh, den nicht nur Claudius einst im Herzen hatte, sondern auch das hingebungsvoll applaudierende Publikum am Ende eines erhellenden Abends.

© SZ vom 28.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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