Sehenswert:Verdichtet zum Selbstgespräch

Lesezeit: 2 min

Peer Gynt (Hilmar Henjes) hängt in seinen Gedanken fest, auch Ingrid (Amelie Heiler) kommt ihm in den Sinn. (Foto: Christian Flamm/OH)

Das Theater Wasserburg beeindruckt mit einer ganz eigenen Fassung von Ibsens Klassiker "Peer Gynt"

Von Peter Kees

"Peer, du lügst!" So lauten die ersten Worte im dramatischen Gedicht "Peer Gynt" von Henrik Ibsen, zumindest in der Übersetzung von Christian Morgenstern. Berühmte Worte, etwa einer Edith Clever. Die Bauerswitwe Aase richtet sie an ihren Sohn, der immer wieder mit Lügengeschichten versucht, der Realität zu entfliehen. Die Szene zwischen Mutter und Sohn spielt - so schreibt es der norwegische Dramatiker vor - an einem "Abhang mit Laubholz bei Aases Hof. Ein Bach schäumt hernieder. Auf der andern Seite eine alte Mühle. Heißer Sommertag."

Nicht so in der neuen Inszenierung des legendären Klassikers am Theater Wasserburg. Knöcheltiefes Wasser steht hier auf der Bühne. Von der Decke hängen Äste. Peer Gynt, im Holzfällerhemd, baut an einem Holzsteg, der über das Gewässer führt. Dabei kämpft er gegen Mücken, raucht, trinkt und hört Musik, blickt immer wieder in den Himmel und beschreibt den in den Wolken reitenden Königssohn Peer Gynt - ein halsbrecherischer Ritt, den im Originaltext seine Mutter schildert. Aase aber ist in Wasserburg gar nicht anwesend: Hilmar Henjes alias Peer Gynt führt ein ausgedehntes Selbstgespräch.

In Ibsens Originaltext von 1867 ist die Personage recht stattlich. Am Wasserburger Theater jedoch wird das Stück lediglich mit sieben Darstellern und Darstellerinnen gespielt - und, wie sich zeigt, in einer ganz eigenen Fassung. Nicht die Nichtsnutzigkeit Peer Gynts, die er selbst immer wieder zur Heldenhaftigkeit verklärt, steht hier im Fokus, vielmehr geht es um die Erinnerung eines Menschen und deren fragwürdige Rekonstruktion.

Gynt baut während des ganzen Abends an jenem Steg weiter, setzt Holzbrett an Holzbrett, während alle anderen Figuren allenfalls "erscheinen." Uwe Bertram und Nik Mayr haben einen großen inneren Monolog inszeniert. Dialoge finden im Grunde keine statt. Ob Aase, Solvejg, Hägstad ober Ingrid - all diese Figuren entwachsen der Fantasie des Hauptdarstellers, sind Visionen vor dessen innerem Auge, Schlaglichter aus der Vergangenheit.

Was hier zelebriert wird, ist der Sterbemoment eines Menschen, der letzte Atemzug, in dem das Leben noch einmal an einem vorüberzieht. Schon rein räumlich ist die Bühne entsprechend gestaltet: Das Stück spielt auf zwei Ebenen. Peer Gynt bleibt die ganze Zeit über auf seinem Brettersteg, während alle anderen Figuren im Wasser auftreten. Die Beleuchtung unterstützt dieses Konzept: Gynt ist in gelblich warmes Licht getaucht, die anderen in bläulich kaltes. Fast filmische Qualität hat diese montageartige Gestaltung. Am Ende sitzen die beiden während des Abends immer wieder auftauchenden Doubles Gynts, ebenfalls in Holzfällerhemden gekleidet, neben ihm. Jetzt ist alles in bläulich weißes Licht getaucht. Das gelbe Licht kommt nicht wieder. Peer Gynt ist hinübergegangen.

Die Bühne (Uwe Bertram, Nik Mayr und Annett Segerer) mit wirklichem Wasser einzurichten, ist ein glücklicher Einfall, der nicht nur ein ausgezeichnetes Gerüst für das dramaturgische Konzept der Wasserburger bietet, sondern zudem wunderbare Atmosphären zulässt. Wie herrlich, fraglos authentisch, wenn die Spieler durch das Gewässer waten und man ihre Geräusche vernimmt, ergänzt durch Vogelstimmen oder Froschquaken vom Band.

Freilich, das Stück in Ibsens Anlage findet an diesem Abend nicht statt. Es ist verdichtet, zusammengepresst, mit einer ganz eigenen Lesart versehen. Mag auch der Blues, der immer wieder erklingt, irritieren - fühlt man sich doch ein wenig aus Ibsens Norwegen herausgerissen und eher in die amerikanischen Staaten versetzt - so ergibt er doch Sinn, schließlich erzählt auch der Blues - ganz wie Gynt - von vergangenen Geschehnissen.

Mit Hilmar Henjes als Peer Gynt jedenfalls ist hier ein glänzender Hauptdarsteller besetzt. Und auch die anderen, Susan Hecker, Patrick Brenner, Carsten Klemm, Teresa Sperling, Frank Piotraschke und Amelie Heiler überzeugen in ihren Rollen zwischen den Sphären.

"Peer Gynt" am Theater Wasserburg, weitere Vorstellungen sind am 7., 8., 9., 22., 23. und 24. Februar sowie 1. und 2. März. Beginn ist donnerstags, freitags und samstags um 20 Uhr, sonntags um 19 Uhr. Karten gibt es über www.theaterwasserburg.de. Die Abendkasse öffnet jeweils eine Stunde vor Vorstellungsbeginn.

© SZ vom 06.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: