Schwimmkultur im Wandel der Zeit:Anstand in der Anstalt

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Gerade einmal 100 Jahre ist es her, dass Männer und Frauen in Ebersberg nicht gemeinsam Baden durften. Auszüge aus der Klostersee-Geschichte

Von Annalena Ehrlicher, Ebersberg

"Quo vadis, Ebersberg?", hätte sich Pfarrer Josef Lochner wohl beim Spaziergang um den Klostersee an einem der heißen Nachmittage dieses Jahres gedacht. Halbnackte Badegäste überall, Frauen, Männer, Kinder - alle gleichzeitig! So selbstverständlich dieses Bild 2018 sein mag, galten um die Jahrhundertwende noch völlig andere Regeln. So auch in der 1894 am Klostermühlweiher frisch errichteten "Schwimm- und Badeanstalt". Die Badezeiten für Männer und Frauen waren damals streng getrennt, obwohl das Bad zum Zwecke des sittsamen Schwimmens mit vier geschlossenen Badekabinen versehen wurde. Theoretisch konnten die Ebersbergerinnen also unbehelligt von lüsternen Blicken sich am kühlen Nass erfreuen. Aus dem Jahre 1906 befindet sich im Stadtarchiv Ebersberg eine Tabelle mit den Schwimmzeiten - für Herren zwischen 7 und 10 Uhr morgens, sowie von 17 bis 20 Uhr; den Damen war der Aufenthalt zwischen 10 und 12 Uhr sowie von 14 bis 15 Uhr gestattet. Dass die Ebersberger sich auch vor mehr als 110 Jahren nicht an die strikte Trennung hielten, geißelte der damalige Pfarrer Lochner mit den Worten: "Ich muss gegen eine solche Unanständigkeit, um mich gelinde auszudrücken, energisch Einspruch erheben und um Abstellung ersuchen."

Am Klostersee wurde vor 100 Jahren strenge Geschlechtertrennung praktiziert. (Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Stadtführer Thomas Warg weiß noch weitere Geschichten zu erzählen: Bereits als das Baden für Damen noch in dem am Langweiher angesiedelten Damenbad "Zur immer blühenden Hoffnung" gestattet war, sollen besonders übermütige Ebersberger mit Kähnen an den Holzwänden des Bades vorübergefahren sein, um durch ein Astloch den ein oder anderen Blick auf einen freigelegten Knöchel zu erhaschen.

Auch Antje Berberich, die Stadtarchivarin Ebersbergs, erinnert sich an solche Geschichten. "Angeblich wurden die Astlöcher sogar heimlich erweitert und die badenden oder sich umkleidenden Frauen mussten dann schnell ein Unterhemd zum Sichtschutz in die Gucklöcher stopfen", sagt sie. Ein schriftliches Zeugnis für solche Ordnungswidrigkeiten findet sich in einem Schrieb des Bezirksamtes Ebersberg zur Neueröffnung des Bades im Juni 1922: In diesem wurde zum einen darauf hingewiesen, dass in den Kabinenbädern "die zahlreichen Astlöcher zu verschließen" waren, da "Klagen laut geworden sind, dass sich Besucher durch neugierige, kahnfahrende Personen belästigt fühlten." Erneut musste auch die Geschlechtertrennung durchgesetzt werden: Es sei "streng darauf zu achten", dass "in die Herrenabteilung keine Frauen, und in die Damenabteilung keine Herren gelangen". Ein dritter Punkt befahl energisches Einschreiten gegen Männer, die sich erdreisteten, das Bad in Badehose zu verlassen.

Kahnfahrende Personen luften jedoch öfters durch die Astlöcher des Zaunes. (Foto: N/A)

Schließlich hatten der Ort und seine Badeanstalt einen Ruf zu verteidigen, nämlich den eines Erholungsgebietes. Ebersberg wurde die "Perle des Münchener Ostens" genannt, erzählt Antje Berberich. "Das lag eben auch an dem See, der für die Städter ein beliebtes Ausflugsziel war." Der Verschönerungsverein warb ebenfalls kräftig und rühmte in einer Anzeige von 1912 den "Luftkurort" für seine "erfrischenden Bäder", die über "gesundheitsfördernde Einwirkung auf das Nervensystem und dadurch auf den ganzen menschlichen Organismus" haben sollten. Für zusätzlichen Komfort wurde auch der Pavillon errichtet, der die Mitte des Weiherweges markierte und zur Pause einlud.

Schon 1920 wurde auf die „Lümmelhaftigkeit und Zerstörungssucht“ der Jugend hingewiesen. (Foto: N/A)

Allerdings, so erkenntlich aus einem Zeitungsbericht aus dem Winter 1912, war den Leuten das Baden häufig lieber, als die Arbeit, die das Bad mit sich brachte: Eine Versammlung des Verschönerungsvereins, in der das Schicksal des Aussichtsturmes sowie der Badeanstalt besprochen werden sollte, war "wie gewöhnlich sehr schwach besucht". Dennoch wurde beschlossen, "den Markmagistrat Ebersberg zu ersuchen, ohne Rücksicht auf weitere Eventualitäten, ein neues Bad" zu bauen.

Tatsächlich machte die Badeanstalt im Laufe der Jahrzehnte mehrere Umzüge, Renovierungen und Neueröffnungen mit, die das Ufer des Klostersees entscheidend prägten. Es muss jedoch auch Jahre gegeben haben, in denen das Baden am Klostersee nicht oder nur eingeschränkt möglich war. Der Krieg, der natürliche Verfall, möglicherweise auch Vandalismus könnten zu zeitweisen Schließung der Anstalt geführt haben. Ein Zeitungsausschnitt vom 29. Mai 1920 verweist wohl deshalb darauf, dass "mit viel Mühe und unter großen finanziellen Opfern" das Bad im Klosterweiher mit "seinem so vorzüglichen, milden und heilkräftigen Wasser wieder der Öffentlichkeit übergeben werden kann." Aufgrund der wirtschaftlichen Lage der frühen Zwanziger Jahre seien jedoch einige Mängel nicht ausgebessert worden, was die "verehrlichen Badegäste" zu entschuldigen gebeten wurden. Da die "heutige Jugend" sich bereits 1920 durch ein besonderes Maß an "Lümmelhaftigkeit und Zerstörungssucht" ausgezeichnet haben muss, wurde ebenfalls dazu angehalten, Fälle von Vandalismus direkt zu unterbinden. Im Vergleich dazu gibt der Klostersee heute - gemeinsam Badende in knapper Kleidung hin oder her - vielleicht sogar an Pfarrer Lochners Ansprüchen gemessen ein gutes Bild ab.

© SZ vom 08.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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