Schrei nach Freiheit:Techno, Travestie und Träume

Lesezeit: 3 min

Wie ein wilder Befreiungsschlag wirkt "Delta", ein Tanztheater mit dokumentarischem Charakter. Derzeit proben die Darsteller und Regiesseur Yang Zehn im Moosacher Meta Theater für die Uraufführung in München. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Eine Tanztheatergruppe aus China probt im Moosacher Meta Theater für die Uraufführung des Stücks "Delta" in München. In ihrer Heimat wäre eine Aufführung wohl nicht möglich

Von Peter Kees

Das chinesische Tanztheater "Delta" ist eine kritische Auseinandersetzung mit den Wurzeln seiner Darsteller und zugleich ein großer Schrei nach freiheitlichem Leben. Nicht umsonst werden immer wieder militärische und sozialistische Attitüden parodiert und mit wildem Techno gebrochen. Disziplin versus Freiheit. Ob nun das wilde Partygehüpfe wirklich Freiheit ist, sei einmal dahingestellt. Als Bild für den Akt der Befreiung - einverstanden. Eindeutig weist es in die westliche Welt. In China dürfte dieses Stück nicht gespielt werden, es würde verboten, erzählt der Agent.

Zum 16. Mal findet derzeit in München das Internationale Festival für zeitgenössischen Tanz namens "Dance" statt. Dass die Gegenwart dieser Kunstform mit Spitze nicht mehr viel zu tun hat, wissen wir spätestens seit Pina Bausch. Eine der heuer eingeladenen Produktionen kommt aus China, "Delta" heißt das Stück, das am Freitag, 24. Mai, im Schweren Reiter in der Dachauer Straße uraufgeführt wird. Der Trupp ist jedoch bereits hier, die zwölf chinesischen Künstler proben im Meta Theater in Moosach. Dort konnte man nun einen Einblick in den Probenprozess erhaschen.

Nach einer kurzen Einführung durch den Agenten legten die Tänzerinnen und Tänzer los. Keine Probe gab's zu sehen, sondern einen Durchlauf des ganzen Stücks, gewissermaßen eine Vorpremiere, allerdings ohne Bühnenbild, denn dafür ist das Haus in Moosach zu klein. Neun Personen - aus Guangzhou, Hongkong und Macau - stehen auf der Bühne, unterschiedliche Generationen, unterschiedliche Identitäten, Künstler und Nicht-Künstler. In mehreren Reihen sitzen sie dem Publikum gegenüber und warten auf ihren Auftritt.

Ein ganz offensichtlich aus Afrika stammender Mann macht den Anfang, tänzelnd dreht er die Runde um seine Mitspieler und singt dazu Popmusik. Ja, auch das ist China: Simon Abbe stammt aus Kamerun, pendelt zwischen dort und Peking. Ein anderer kommt von den Philippinen und wird dem Publikum im Lauf des Abends immer wieder in bestem Englisch Übersetzungshilfe geben. Schaut man auf die Biografien der Mitwirkenden, so erweist sich ein mögliches Klischee schnell als überholt: China ist auch international. Das ist Botschaft Nummer eins. Dass auch ein Transvestit mitspielt - sich sogar entkleidet - lässt ahnen, dass es dem Regisseur und Choreograf Yang Zhen um eine Öffnung geht. China ist modern - so die zweite Botschaft.

"Delta erforscht mit künstlerischen Mitteln Urbanität im 21. Jahrhundert," heißt es im Ankündigungstext. "Mehrere Metropolregionen treffen im heiß-feuchten Perlflussdelta zusammen. Zu diesen rapide wachsenden, hochindustrialisierten, von Migrationen durchzogenen Megacities gehören auch Teile der chinesischen Provinz Guangdong sowie die Sonderverwaltungsregionen Hongkong und Macau. Sie liegen nah beisammen, haben aber eine sehr unterschiedliche politische und wirtschaftliche Geschichte. Wie leben die Menschen dort, was beschäftigt sie?" Freiheitsgedanken und Träume spielen in Zhens Stück eine zentrale Rolle, ebenso die Sehnsucht nach sozialer Gemeinsamkeit. Ist Hongkong eigentlich liberal oder neoliberal? Man ist sich einig: neoliberal. Einer der Darsteller bringt es auf den Punkt: Der bislang unbekannte Chinesische Traum entspricht dem viel beschworenen Amerikanischen Traum.

Yang Zhen macht bei "Delta" etwas, das wir hier spätestens seit den Produktionen der Theatergruppe Rimini Protokoll gut kennen: Er inszeniert sein Stück als Dokumentartheater. Nicht nur, dass Videoeinspielungen immer wieder konkrete Bezüge herstellen, der junge Regisseur besetzt seine Protagonisten mit Profi-Tänzern und Laien-Darstellen, die alle ihre persönliche Geschichte erzählen. Das macht den Abend spannend, auch wenn man ob fehlender chinesischer Sprachkenntnis nicht alles versteht, denn die eingeblendeten englischen Übersetzungen helfen.

Ob nun zwingend das Publikum immer wieder miteinbezogen werden muss - die Darsteller animieren kräftig - kann man beurteilen, wie man will. In einem Moment macht das jedoch unbedingt Sinn: Alle Mitspieler stehen auf der Bühne wie zum Schlussapplaus. Doch das Publikum ist unsicher, traut sich nicht zu klatschen. Da springen die Tänzer mitten unter die verwunderten Zuschauer und beginnen Gespräche mit ihnen. Aber auch auf der Bühne geht es weiter. Und zum Epilog erzählt dann jeder von seinem ganz persönlichen Traum. So ist die Sache rund.

"Delta" ist beim Tanzfestival "Dance" zu sehen im Kulturzentrum Schwere Reiter am Freitag, 24. Mai, und Samstag, 25. Mai, jeweils um 21.30 Uhr sowie am Sonntag, 26. Mai, um 17 Uhr. Im Anschluss an die Uraufführung gibt es einen "Artist Talk"

© SZ vom 22.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: