Schöner wohnen:Zitat der Vergangenheit

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Der Kramerhof in Anzing wurde teilweise abgerissen - und dann mit viel Liebe zum Detail wieder aufgebaut

Von Franziska Langhammer

Am Anfang stand der Wille, weiterzumachen. Nicht aufzuhören, wie es viele seiner Kollegen taten und tun mussten. Bernhard Haimmerer, seines Zeichens Landwirt, wollte weiterhin in seinem Beruf arbeiten, einen Hof führen, Milchwirtschaft betreiben. Zum Problem war mit der Zeit der Standort seines Hofs geworden: mitten in Anzing, direkt neben dem Kirchenwirt, die Pfarrkirche Mariä Geburt in Sichtweite. Neben den wachsenden Anforderungen an landwirtschaftliche Betriebe musste sich Haimmerer auch auseinandersetzen mit Fragen wie "Was, wenn es die Nachbarn stört, wenn die Kühe in der Nacht brüllen?" Dass die ganze Familie schließlich aus Anzing rauszog, war weniger eine Entscheidung, als vielmehr ein Prozess, der viele Jahre in Anspruch nahm. Ab 2010 siedelte der Bauernhof mit seinen Bewohnern und Tieren Stück für Stück um, außerhalb des Ortskerns.

Es blieb die Frage: Was geschieht mit dem alten Hof? Die leichteste und wirtschaftlichste Lösung wäre wohl gewesen, das alte Gehöft kurzweg abzureißen und ein modernes Wohnhaus hinzustellen. Doch das kam für Haimmerer nicht in Frage. Schon sein Ururgroßvater hatte auf dem Hof gewohnt, der 1750 zum ersten Mal erwähnt wurde und in dem früher sogar ein kleiner Kramerladen untergebracht war. Damals hatte ein aggressiver Waldschädlingsbefall, die sogenannte Nonnenplage, eine hohe Anzahl an Waldarbeitern im Ebersberger Forst gefordert, die sich dann in dem Kramerladen versorgten. So kam der Hof auch zu dem heute noch gebräuchlichen Namen "Kramerhof". Das Gebäude war somit nicht nur Zeuge mehrerer Generationen von Haimmerers Familie, sondern auch ein Anzinger Denkmal.

Mieter statt Kühe: Landwirt Bernhard Haimmerer hat mithilfe der Architektin Regina Gaigl den Hof seiner Familie in eine moderne Wohnanlage mit historischem Charme verwandelt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Auch der Zufall spielte mit, dass Bernhard Haimmerer auf die Münchner Architektin Regina Gaigl stieß; sie war ihm von einem Bekannten empfohlen worden. "Von Anfang an war klar, dass der Charakter des Gehöfts erhalten bleiben sollte", erzählt Gaigl. Mit derlei Aufträgen hat sie bereits Erfahrung: Zu Gaigls bisherigen Projekten zählt etwa die Wiedererrichtung des Bretzenhofs bei Piusheim und der Umbau eines Bauernhauses in Poing. Schnell stellte sich heraus, dass eine Sanierung des Kramerhofes sich nicht rechnen würde. Und so wurde der Wirtschaftsteil, in dem früher fünf Stallungen untergebracht waren, abgerissen. Der Wohnteil des Hofs blieb in seinem Bestand erhalten, wurde jedoch aufgeteilt in drei Wohnungen, die Fassade rekonstruiert und dem historischen Vorbild angeglichen.

Der Wiederaufbau des Wirtschaftsteils folgte dem Ziel, das Gebäude äußerlich in der Kubatur - also in seiner Gestalt - und im Innenraum in seiner Struktur zu erhalten. Die Herausforderung bei diesem Projekt sei auch eine moralische gewesen, sagt Gaigl: "Wir bauen ein neues Wohnhaus, nehmen aber dabei Bezug auf den alten Bauernhof." Die Frage war: Wie kann ich den spürbar werden lassen? Denn gleichzeitig sollte der Neubau nicht historisierend wirken oder gar vorgeben, dass seine Bewohner sich wieder im 18. Jahrhundert befänden. Und so wurden die Räume möglichst getreu ihrer alten Form nachgebaut und mit Zitaten aus der Vergangenheit versehen: Ziegel aus dem alten Bauernhof zieren heute den Eingangsbereich der Treppenhäuser; das ausladende Vordach wird von massiven Holzbalken gestützt.

Treppenhäuser mit viel Holz, alten Ziegeln und Steinböden spiegeln den Charakter des Hofes wieder. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Auch die Tore, durch welche früher der Traktor ratterte, haben ihren Platz im Jetzt gefunden: Als stolze Glastüren, mit hellem Holz verkleidet und schmiedeeisernen Vorblenden versehen, verbinden sie den Innenhof mit der West- und Nordseite des Gebäudes. Der Außenbereich aus Betonpflastern setzt sich als Boden im Erdgeschoss fort; "von außen nach innen holen", nennt Regina Gaigl das. Eine Machart, die sich oft in alten Bauernhöfen finden lässt. Eine Verwendung beispielsweise von Fliesen hätte einen stilistischen Bruch bedeutet. Während im Innenhof auf Außenbauten verzichtet wurde und stattdessen nach innen führende Loggias errichtet wurden, ist die Gestaltung der Westseite mutiger: Hier sieht das Ensemble mit Balkonen und Vorgärten schon mehr nach klassischem Wohnhaus aus. Wo früher Milchkammerl, Kälber- oder Hauptstall waren, stehen heute insgesamt zwölf moderne Wohnungen. Die offenen Treppenhäuser vermitteln einen Eindruck von Geräumigkeit und Weite; indem auch innen helles Holz und Putz dominiert, hat sich ein rustikaler Charme erhalten können.

Der architektonische Wurf, der Gaigl und ihren Kollegen gelungen ist, gründet darin, die teils umständlichen Vorgaben der alten Bauweise als Chance zu sehen und in ihrer Vielfalt zu nutzen. So ist jede Wohnung ein Unikat; Verspieltheit und Wärme strahlt dieser Ort aus. Auch bei den Anzingern scheint der Neubau gut anzukommen. "Immer wieder mal kriegen wir Komplimente", sagt Haimmerer, "das freut einen schon". Auch wenn es schwer fiel, das Gehöft mitten im Ort zu verlassen, sei das letztlich, so der Landwirt, die richtige Entscheidung gewesen. Wer sich gerne einmal von Architektin und Bauherr durch den neu errichteten Kramerhof führen lassen will, kann das nun im Zuge der "Architektouren" tun. Bei der Veranstaltung am letzten Juniwochenende öffnen auch im Landkreis Ebersberg zahlreiche Bauwerke, Denkmäler, Außen- und Grünanlagen ihre Tore für interessierte Besucher. Die Besichtigung des Kramerhofs und zweier Wohnungen ist im Rahmen der "Architektouren 2018" am Samstag, 23. Juni, um 15 Uhr möglich: Högerstraße 6 in Anzing. Weitere Infos unter www.byak.de/aktuelles/newsdetail/architektouren-2018-am-23-und-24-juni.html

© SZ vom 20.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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