Reden wir über:Bertolt Brecht und die Gewalt

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Bernd Kaiser (Foto: Privat)

Regisseur Bernd Kaiser spricht über eine szenische Lesung in Oberpframmern an diesem Mittwoch

Interview von Sabina Zollner

In den 90er Jahren sah Bernd Kaiser aus Hohenbrunn zum ersten Mal ein Stück von Bertolt Brecht, in Berlin war das. Seither lässt ihn der Dramatiker nicht mehr los. Dass der 81-Jährige jemals Regie in einem Brecht-Stück führen würde, hätte er trotzdem nicht erwartet. Nun ist es aber doch so gekommen: Gemeinsam mit der Leiterin der Bücherei Oberpframmern, Barbara Huber, und der Leiterin des Kulturkreises der Seniorinnen von Verdi München, Marianne Koschmann, verantwortet Kaiser, eigentlich Physiker, eine szenische Lesung des Werks "Die heilige Johanna der Schlachthöfe". Den Weg nach Oberpframmern fand Kaiser über den Literaturkreis "Die Sammler". Daraus entstand das Projekt, bei dem die Theatergruppe der Bücherei und Verdi-Seniorinnen auf der Bühne stehen. Das Stück handelt von Johanna Dark, Soldatin der Heilsarmee, die den Arbeitern der Fleischfabriken im Chicago der 30er Jahren aus der Not helfen will. Die Unternehmer wollen ihre Fabriken schließen. Johanna versucht, sie unter Druck zu setzten. Doch als die Arbeiter zum Generalstreik aufrufen, befürchtet Johanna Gewalt und lässt ihre Kameraden im Stich. Was das Stück so besonders macht, und warum es heute noch relevant ist, erklärt Kaiser im Interview.

Das ist ja bereits ihre zweite szenische Lesung eines Brecht-Stücks. Was fasziniert Sie so an diesem Autor?

Seine Stücke sind besonders sozialkritisch und vor allem zeitlos. Wobei man betonen muss, dass Brecht seine Stücke keineswegs alleine geschrieben hat. Bei der "Heiligen Johanna" gehen viele Literaturkritiker davon aus, dass seine Mitarbeiterin, Elisabeth Hauptmann, den Großteil geschrieben hat.

Das Stück wurde erst nach fast 30 Jahren in seiner vollen Länge aufgeführt. Seither ist es ein großer Erfolg. Was ist für Sie das Besondere daran?

Ich finde Brechts Form des epischen Theaters einfach toll. Brecht ist es wichtig, dass Schauspieler sich nicht zu sehr in ihre Rolle hineinversetzten. Emotionen müssen draußen bleiben, weil sonst das Publikum lediglich emotional reagiert, anstatt tiefgründig über das Gesagte nachzudenken. Für Brecht würde dadurch die Lehre des Stücks verloren gehen.

Die "Heilige Johanna der Schlachthöfe" ist ein sehr komplexes Stück, wie sind sie bei ihrer Inszenierung vorgegangen?

Wir haben uns da einiges überlegt. Da wir das Stück als szenische Lesung aufführen und die Orte, an denen die Szenen stattfinden, sehr schnell wechseln, werden im Hintergrund Bilder aus der Zeit um 1929 an die Wand projiziert. So zeigen wir Aufnahmen aus den Fleischhöfen in Chicago oder Bilder von der Heilsarmee, die Suppe an die Arbeiter ausschenkt. Damit wollen wir dem Publikum näher bringen, dass Teile des Stücks auf realen Vorgängen basieren.

Bertolt Brecht hat das Stück als Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise geschrieben. Warum ist es heute noch relevant?

In dem Stück kommt es durch das manipulative Verhalten der Unternehmer zu einer wahnsinnigen Arbeitslosigkeit und Armut. Ich glaube, dass sich daran nicht sehr viel geändert hat. Heutzutage haben wir Fusionen von Konzernen, die plötzlich Tausende von Mitarbeitern entlassen. An den negativen Auswirkungen des Kapitalismus hat sich eigentlich nichts geändert.

Johanna will den Arbeitern aus ihrer Not helfen, woran scheitert sie?

Daran, dass sie die Grundsätze des Klassenkampfes nicht erkennt. Damit ist gemeint, dass sie nicht versteht, dass Gewalt angewendet werden muss, wo Gewalt herrscht. Gewalt ist nicht gleich Gewalttätigkeit. Wirtschaftliche Gewalt ist auch eine Form der Gewalt. Das ist im Stück der Aufruf zum Generalstreik.

Was können wir von dieser Figur lernen?

Ich bin kein Kommunist, aber wenn wir uns unsere Parteien anschauen, vor allem die SPD, dann haben sie wie die heilige Johanna ihre klassenkämpferischen Ideen verloren. Ich will jetzt natürlich nicht für Gewalt plädieren, aber mit Generalstreiks hat man sehr viel mehr Möglichkeiten und Druckmittel, um die Legislative zu beeinflussen. In Deutschland sind Generalstreiks aber verboten.

"Die heilige Johanna der Schlachthöfe" von Bertolt Brecht, szenische Lesung an diesem Mittwoch, 22. Mai, um 19.30 Uhr im Pfarrsaal Oberpframmern (Prof.-Lebsche-Straße 11), der Eintritt ist frei.

© SZ vom 22.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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