Publikation aus Zorneding:Geist bewegt Materie

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Der Bildhauer Heinrich Knopf bringt ein Buch über sein Schaffen heraus: "Iron Society". Ihm geht es um das Prinzip der Evolution, um die Leichtigkeit eines schweren Materials und freie Assoziationen

Von Peter Kees

Vergangenes Jahr ist er 70 geworden, der Bildhauer Heinrich Knopf - Anlass für ein Buch über seine Arbeit. Jetzt im Frühjahr wollte er es in einer Münchner Galerie vorstellen, doch die Corona-Pendemie machte einen Strich durch die Rechnung. Eine öffentliche Präsentation von "Iron Society" war nicht möglich. Und so stapeln sich derweil die Exemplare, die der Hirmer-Verlag dem Künstler zur Verfügung gestellt hat, in seinem Ingelsberger Atelier.

"Stählerne Gesellschaft", so lautet die Übersetzung des Titels. Der einstige Ingenieur betont, dass es sich bei der Veröffentlichung nicht um einen Kunstkatalog handelt, sondern um ein Buch, dass seine künstlerische Arbeit als Ganzes vorstellt, samt der dahinter steckenden Philosophie, aus der sich seine Ausdrucksweise ableitet. Knopf verwendet Eisen. Er windet das Material, so dass gedrehte Formen entstehen. Aus dieser Ur- beziehungsweise Grundstruktur entwickelt er dann seine zum Teil mächtigen Plastiken. Der Bildhauer spricht von einem evolutionären Prinzip: "Aus diesem einfachen Prinzip heraus entwickelt sich alles." Es entstehen Gebilde, die dem schweren Material Leichtigkeit verleihen.

Der Bildhauer aus Ingelsberg kreiert teils mächtige Plastiken aus Stahl, die Urform seiner Skulpturen ist die Drehbewegung. (Foto: Christian Endt)

Ausgangspunkt dieses Ansatzes ist Knopfs Faszination für Strömungsformen. "Wenn Wasser aus dem Hahn kommt, beginnt es sich zu drehen", erklärt er und setzt nach: "Der freie Fall des Wassers ist immer eine Drehbewegung. Auf diese einfache Form reduziere ich mein Material." Das heißt: aus gedrehten Einzelelementen entwachsen beachtlichen Skulpturen. Knopf spricht von einer Analogie zum menschlichen Sein: "Die Grundformen entsprechen dem Individuum, aus dem sich Gesellschaft zusammensetzt." Und eben das bildet Knopf nach. Und schon sind wir beim Titel "Iron Society".

Diesen Ansatz, seine Handschrift entwickelte der Bildhauer, als ihm seine einstige künstlerische Arbeit mit allen möglichen Materialen beliebig vorkam und er sich deshalb zu fokussieren begann. Die Entscheidung für Stahl war dabei folgerichtig: Es gibt wohl kein anderes Material, aus dem sich die Knopf'schen Drehungen besser formen lassen.

Der Startpunkt seiner Künstlerkarriere liegt in der Mitte der Siebzigerjahre. Knopf war damals, nach einem Studium der Ingenieurwissenschaft, einige Jahre in der Softwareentwicklung tätig. Doch Mathematik, Verwaltung und die analytischen Herangehensweisen waren dem damals Mittdreißiger zu einseitig. Ihm fehlte etwas. Er beschäftigte sich mit Philosophie, mit Anthropologie und stand vor Fragen, deren Beantwortung er schließlich in der Kunst fand. So gab er den bürgerlichen Beruf in den Achtzigerjahren auf und widmete sich fortan ausschließlich seiner eigenen Schaffenskraft. "Ich wollte nichts mehr mit Computer und Vermessung zu tun haben", bekennt er, "es fehlte mir der freie Geist".

Um Heinrich Knopfs Schaffen geht es in dem neuen Buch "Iron Society". (Foto: Privat)

Natürlich war das Leben als freier Künstler mitunter auch mühsam, ökonomisch schwierig, doch die Arbeit an seinen "Fortsetzungsmodellen", seinen "Weiterentwicklungen" betörte ihn. Knopf gab sich zehn Jahre, um mit dem Eisen in dieser Art zu experimentieren. "Jetzt sind es schon über 30 Jahre - und es kommt noch immer etwas Neues", sagt der Zornedinger. Er sei in ein Spiel hineingeraten, in dem immer wieder Entwicklungen entstünden, Prozesse, die vorab nicht planbar seien. "Das ist wie in der Evolution, vorher sind viele Dinge nicht vorstellbar, erst im Nachhinein kann man sie erkennen und erklären." Knopfs Anliegen: Er will mit seiner Kunst das evolutionäre Prinzip demonstrieren.

Zu den Werkabbildungen in seinem neuen Buch finden sich neben den Titeln, die Knopf rein assoziativ auswählt, diverse Zahlenreihen. Der gebürtige Sindelfinger hat seine Arbeiten durchnummeriert, vergleichbar den Opus-Zahlen. Doch die Reihung ist für den Rezeptierten unverständlich, Knopf hat das Entstehungsjahr sowie seinen Umgang mit den Elementen hier verschlüsselt. Ihm ist es völlig gleichgültig, ob sich die Zahlen erschließen, er möchte dem Betrachter ohnehin selbst überlassen, was er mit seinen Plastiken assoziiert. Mindestens 500 Skulpturen hat Knopf im Lauf der Jahre geschaffen.

Ganz verlassen hat den Bildhauer, der seit 2004 in Ingelsberg residiert, das naturwissenschaftliche Denken allerdings nie: Aus seinen gedrehten Grundformen lässt er auch Schrifttafeln entstehen. Im Binärsystem, mit Nullen und Einsen - mit rechts- und linksgedrehten Stücken - "schreibt" er Texte in stählernen Platten. Zumeist sind es lateinische Sinnsprüche, wie beispielsweise "Mens agitat molem" (Geist bewegt Materie). Klingt kompliziert? Die junge Publikation erklärt das künstlerische Wirken des Künstlers Heinrich Knopf recht anschaulich. Herausgeber ist kein Geringerer als Jürgen B. Tesch, einstiger Chef des Prestel-Verlages.

© SZ vom 17.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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