Prozess :Viel Schmerz, kein Geld

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Wegen eines Arztfehlers stirbt eine vierfache Mutter. Jetzt klagen die Hinterbliebenen auf Entschädigung

Von Daniela Gorgs, Ebersberg

Manches Mal trennen das Glück und die Verzweiflung nur wenige Tage. Das Glück, wenn ein Baby das Licht der Welt erblickt. Und die Verzweiflung, wenn ein geliebter Mensch stirbt. Der Mensch, mit dem man den Rest seines Lebens verbringen wollte. Josef H. ist genau dieses Schicksal widerfahren. Im Februar 2011 hat seine Frau das jüngste Kind entbunden. Gut zwei Wochen später ist die vierfache Mutter tot. Eine heile Welt brach zusammen. Barbara H. war 39 Jahre alt, als sie an den Folgen eines nicht behandelten Darmverschlusses starb. Ihr Tod riss eine Lücke im Leben der Bauernfamilie, die in der Idylle des südlichen Landkreises einen Biohof mit 40 Milchkühen bewirtschaftet. Sieben Jahre und vier Monate ist das alles her. Es habe lange gedauert, bis die Familie wieder Kontakt hatte zu Nachbarn, Freunden. "Niemand wusste damals, wie er mit uns umgehen sollte", sagt Josef H. Er versuchte, seinen Kindern ein "normales Leben" zu bieten, mit Pizzaabenden beim Lieblingsitaliener, Ausflügen zum Badesee und in die Berge. Seine Eltern seien damals an ihre körperlichen Grenzen gegangen, um ihm in der Landwirtschaft zu helfen. Josef H. und seine Kinder ließen sich psychotherapeutisch behandeln, um mit dem Tod der Mutter umzugehen.

Jetzt, nach sieben Jahren, hadert der Vater erneut mit dem Schicksal, als er erzählt, wie es dazu kam. Und spürt die Wut. Auf die Ärzte, an die sich seine Frau nach der Kaiserschnittentbindung wegen ihrer starken Bauschmerzen gewandt hatte. Mehrmals war sie beim Hausarzt gewesen, erzählt der Mann. Hatte Tropfen verschrieben bekommen, die nicht halfen. Sie war bei der Radiologin, die einen Ileus, einen Darmverschluss, diagnostizierte. Danach ging sie zum Gynäkologen, der sie ins Krankenhaus schickte. Nach einer ergebnislosen Untersuchung in der Ambulanz war sie wieder nach Hause gefahren, und dann, einen Tag vor ihrem Tod, stationär im Krankenhaus Ebersberg aufgenommen worden. "Es war alles sehr eigenartig", sagt der Vater. Er habe sich machtlos gefühlt, zwischen Ärzten hin- und hergeschoben.

Der Hausarzt wurde zwei Jahre später wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe verurteilt. Staatsanwaltschaft und Amtsgericht Ebersberg waren der Ansicht, dass der Arzt nicht die erforderlichen Maßnahmen ergriffen hatte, den Darmdurchbruch zu verhindern. Der Arzt nahm den Strafbefehl an. Dann versuchte der Familienvater außergerichtlich mit der Versicherung des Arztes eine Regelung zu finden, um das Leid und die Kosten für Psychotherapie ein wenig auszugleichen. Weil die Gespräche aber nicht erfolgreich waren, entschied sich Josef H. zu einer Klage auf zivilrechtlichem Weg. Im Dezember 2015 reichte er Klage auf Schmerzensgeld in Höhe von 15 000 Euro ein.

Am Dienstagvormittag kam es am Landgericht München II zum zweiten Verhandlungstag, an dem der Vater tapfer neben seinem Anwalt saß und sich Dinge anhörte, die ihm erneut das Herz zerrissen. Vier Zeugen sind geladen, die nach mehr als sieben Jahren anhand von Gedächtnisprotokollen, medizinischen Unterlagen und der noch vorhandenen Erinnerung aussagen sollen, wie Barbara H. damals behandelt wurde. Die Frau des Hausarztes, die als Assistentin in der Praxis ihres Mannes arbeitete, beschreibt die Patientin als aufgebrachte Frau. Als sie ihr Blut abnahm, habe sie gesagt, dass sie keinesfalls mehr zurück in ein Krankenhaus gehen würde. Die Patientin habe die "Verdachtsdiagnose Ileus" bagatellisiert, so der Eindruck der Assistentin.

Die Radiologin, die den Darmverschluss feststellte, schickte den Befund per Fax an den Hausarzt. Wie sie vor Gericht erklärt, habe sie der Patientin geraten, ein Krankenhaus aufzusuchen. Die Hebamme berichtet, die vierfache Mutter wäre nicht mit Freude ins Krankenhaus gegangen, hätte es ihrer Ansicht nach aber getan, wenn man es ihr präzise gesagt und begründet hätte. Eine Gynäkologin in der Ambulanz, die keine Auffälligkeiten des Unterleibs feststellen konnte, habe die Patienten an die Kollegen der Gastroenterologie verweisen wollen. Doch dies habe die Mutter abgelehnt. Sie sei nicht zu halten gewesen.

Josef H. hört zu - und darf nicht widersprechen. Die Anwälte jonglieren mit juristischen Fachbegriffen. Es geht um rechtliche Würdigung, Sachverhalte, Suggestivfragen. Der Ton ist scharf. Nach der dreistündigen Verhandlung sagt Josef H., das Schlimmste sei für ihn, dass seine Frau hingestellt werde, als habe sie bewusst ihr Leben riskiert. "Warum hätte sie das tun sollen?", fragt er. "Sie stand doch mittendrin." Ihr sei die lebensbedrohliche Lage nicht bewusst gewesen. Bis Ende August wird das Landgericht entscheiden, wie es weitergeht.

© SZ vom 25.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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