Präventionsprojekt:Wenn Mama trinkt

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Andreas Bohnert, Gaston Florin und Peter Donhauser (von links). (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Mit Aufklärung und einem offenen Umgang möchte die Caritas Ebersberg Kindern helfen, deren Eltern psychisch belastet oder suchtkrank sind

Von Johanna Feckl, Ebersberg

"Es gibt Mama, und es gibt Mama anders." Vor etwa 35 Jahren, mit nur fünf Jahren soll Rita Wüst diesen für sie so wichtigen Satz zum ersten Mal laut ausgesprochen haben, daran erinnere sich ihr Vater. "Für mich war es wichtig, dass ich schon so früh so klar benennen konnte, was los war." Rita Wüsts Mutter leidet an einer schizophrenen Erkrankung, sie kennt ihre Mutter gar nicht anders. "Der Fokus bei psychischen und suchtbedingten Krankheiten liegt auch heute noch immer auf dem betroffenen Elternteil und nicht auf den Kindern", sagte Andreas Bohnert, Kreisgeschäftsführer des Caritas Zentrums Ebersberg. Mit dem Projekt "Kinderleicht" möchte die Caritas den Fokus erweitern, Kinder erkrankter Mütter oder Väter unterstützen, mit der schwierigen Situation zurechtzukommen. Zum Auftakt des Projekts lud die Caritas zu einer Informationsveranstaltung in den Alten Speicher.

Die Veranstaltung richtete sich an erkrankte Eltern, Angehörige, Freunde und Bekannte sowie an Fachkräfte, die mit Kindern zusammenarbeiten, Jugendtrainer, Erzieher, Lehrkräfte. Die Öffentlichkeit über das Projekt "Kinderleicht" zu informieren, war das Ziel der Caritas. Wichtig zu wissen sei, "dass die Kinder mit psychisch belasteten und suchtkranken Eltern keine kleine Gruppe sind", wie Lena Müller-Lorenz von der Fachambulanz für Suchterkrankungen der Caritas sagte. Von 3,8 Millionen Kindern erkrankt innerhalb eines Jahres ein Elternteil an einer psychischen oder suchtbedingten Erkrankung. Auf den Landkreis bezogen wären das etwa 6500 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, wie Regina Brückner, Fachdienstleiterin der Caritas-Beratungsstelle für Eltern, Kinder, Jugendliche und Familien, erklärte.

Wenn man die Risiken für die Gruppe bedenkt, wird klar, wie wichtig eine Unterstützung für die Kinder ist. Über die Gefahren und Belastungen der Kinder, aber auch über konkrete Hilfsmöglichkeiten sprach Albert Lenz. Als Professor im Bereich Gesundheitsforschung und Soziale Psychiatrie forscht Lenz seit Jahren intensiv zum Thema Kinder psychisch kranker Eltern. Er spricht von Kindern als "Hochrisikogruppe" für die Entwicklung einer Suchterkrankung, wenn ein Elternteil selbst von einer solchen Krankheit betroffen ist. Auch der Hauptauslöser für eine Depression im Kinder- und Jugendalter sei eine vorangegangene elterliche psychische Erkrankung. Je früher ein Kind selbst erkrankt, desto wahrscheinlicher wird es laut Lenz, dass es auch als Erwachsener extreme Probleme mit Belastungssituationen, wie etwa Stress oder Kritik, haben wird - in den weniger schwierigen Fällen.

Mit dem Zauberkünstler Gaston Florin, Schirmherr für das Projekt, Cécile Koch und Rita Wüst waren drei Menschen zu der Veranstaltung eingeladen, die die Theorie von Albert Lenz aus eigener Erfahrung bestätigen konnten: "Ich bin eines dieser Kinder", sagte Gaston Florin. Er war fünf Jahre alt, als sein Vater versuchte, sich zu erhängen. Cécile Koch wuchs mit einer alkoholkranken und medikamentenabhängigen Mutter auf, der Stiefvater war ebenfalls alkoholkrank und zum Teil gewalttätig. "Mein Leben war geregelt vom Pegel meiner Eltern", heißt es in Kochs Vortragsskript. Krankheitsbedingt konnte sie nicht persönlich zur Veranstaltung kommen, überließ aber Lena Müller-Lorenz ihr Skript, die es dem Plenum vorlas. Müller-Lorenz und ihr Kollege Peter Donhauser von der Beratungsstelle für Eltern, Kinder, Jugendliche und Familien, der auch als Moderator durch die Veranstaltung führte, sind die Hauptverantwortlichen für "Kinderleicht".

Noch heute habe Koch Schwierigkeiten, wenn ihr Partner eine andere Meinung vertritt als sie, wenn eine Freundin eine Verabredung absagt, wenn sie jemand kritisiert - das "altbekannte Gefühl der Ablehnung" sei sofort da, schreibt sie weiter in ihrem Skript. Ähnliches berichtet Rita Wüst. "Die größte Angst ist, nicht geliebt zu werden." Wüsts Mutter durchlitt mal schwierige Phasen, aber auch bessere, mal war es so, dann wieder anders. Deshalb spricht sie auch von Mama und Mama anders.

Für Wüst war eine Fähigkeit ausschlaggebend, durch die sie mit der Situation in ihrem Elternhaus besser zurechtkam: Die Krankheit ihrer Mutter und die Auswirkungen, die diese auf ihr eigenes Empfinden hat, schon im frühen Kindesalter klar benennen zu können. Dass so etwas wichtig ist, bestätigte auch Albert Lenz. Er verwies auf ein in der Forschung berühmtes Zitat der Wissenschaftlerin Phyllis Silverman: "Never too young to know" - man sei niemals zu jung für Wissen. "Viele Kinder haben ganz wilde Fantasien darüber, was mit den Eltern los ist", erklärte Lena Müller-Lorenz. "Sie spinnen sich irgendetwas zusammen, weil sie irgendwo einmal irgendwas gehört haben." Ein solides Wissen und ein offener Umgang mit der Krankheit - genau darauf setzt das Projekt "Kinderleicht". Deshalb sei es eine "Riesenchance" für betroffene Kinder, da ist sich Rita Wüst sicher.

© SZ vom 12.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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