Kommentar:Ein Umgang wie mit Schulbuben

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Die Methode, mit der das Landratsamt Regeln in Flüchtlingsunterkünften durchsetzt ist rechtlich nicht angreifbar, dafür aber moralisch

Von Korbinian Eisenberger

Manch einer erinnert sich vielleicht noch an eine dieser knisternden Klassenfahrten, wo sich die besonders mutigen Buben spät nachts in die Zimmer der Mädels schlichen und dann prompt vom Lehrer erwischt wurden und Ärger bekamen. So oder so ähnlich müssen sich vor zwei Wochen jene 13 Menschen gefühlt haben, die ihre Freunde oder Verwandten im Poinger Flüchtlingsheim besuchten und vielleicht gerade noch schliefen, als plötzlich die Tür aufging. Nur dass nicht ein Lehrer dahinter stand, sondern Mitarbeiter des Landratsamts. Mit der eindeutigen Aufforderung: Hose anziehen, Tasche packen, raus hier.

Man kann dem Ebersberger Landratsamt sicherlich keinen Vorwurf dafür machen, dass ihnen die Brandschutzbestimmungen wichtig sind. Denn sollte wirklich etwas passieren, kann es unbequem werden, rechtlich und bei Versicherungsangelegenheiten. Dass die Feuerwehr wirklich, wie befürchtet, beim 120. Geretteten das Retten einstellt oder nicht, kann man für mehr oder weniger wahrscheinlich halten. Im Zweifelsfall ist es aber natürlich immer von Vorteil, wenn sich während eines Brands möglichst wenige Leute in einem Gebäude aufhalten.

In der Debatte, die nun erboste Mitglieder zweier Helferkreise angestoßen haben, geht es auch weniger um die rechtliche Frage, sondern um eine der Moral, beziehungsweise des Stils. Und in diesem Punkt muss sich das Landratsamt schon die Frage gefallen lassen, ob es diesen unwirschen Besuch in aller Herrgottsfrüh wirklich gebraucht hat. Statt die Leute aus den Betten zu jagen und vor die Tür zu setzen - man mag sich die Szenen gar nicht vorstellen - wäre es sicherlich sinnvoller gewesen, das Problem mit den Bewohnern und Helferkreisen ersteinmal zu besprechen. Vielleicht hätte es auch schon gereicht, den englischen Aushang "No visitors offer night" (unter Hinzuziehen eines Englischlexikons) auf die Zimmer zu verteilen, bevor man sich für eine frühmorgendliche Form von Zivilrazzia entschließt.

Gesetze und Regeln einzuhalten ist das eine und auf jeden Fall für ein zivilisiertes Miteinander wichtig, allerdings beginnt das Grundgesetz auch mit dem Satz, wonach die Würde des Menschen unantastbar ist. Wer als erwachsener Mann in seinen Schlafklamotten hinter dem Schutz einer verschlossenen Tür überrascht wird, ist in der Regel entweder ein Verbrecher oder ein Fremdgeher. Wenn nicht, behandelt man so höchstens unartige Schulbuben. Mit Würde hat das nichts mehr zu tun.

© SZ vom 19.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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