Poing:Vom Land der Muße

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Bei der Langen Nacht der Kunst in Poing wird Kunst vor unfertiger Architektur in Szene gesetzt. Provokantes findet man aber auch in Kirchenräumen

Von Peter Kees, Poing

Alles beginnt in einem Gegenentwurf zur Verderbtheit der Zivilisation, einem poetischen Traumland jenseits gesellschaftlichen Anpassungsdrucks und mühevoller Arbeit. Über einem Haus, einem zukünftigen Mehrgenerationenhaus inklusive barrierefreien Zugängen, prangt ein verheißungsvoller Schriftzug auf pinkfarbenem Grund. "Arkadien Poing" ist dort zu lesen. Genau hier findet die Eröffnung der Langen Nacht der Kunst in Poing statt, mitten im Neubaugebiet Seewinkel. Dort, wo Neubau an Neubau Wohnraum für 1500 Poinger Neubürger entstehen lässt.

In einem Rohbau werfen Turna Gülcans bestickte Tücher ihre Schatten. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Arkadien, das war einst der Entwurf einer Ideallandschaft, in der Menschen friedvoll und harmonisch, in Einheit mit Natur, ohne Zwang, freiheitlich und glücklich miteinander leben. Fast zynisch liest sich der Schriftzug hier und schreit nach Gegenpositionen. Gerade aus Künstlerhand. Das Ganze beginnt mit einer Irrfahrt, denn als Ortsunkundiger ist es zunächst nicht ganz einfach, den Ort der Eröffnung überhaupt zu finden. Versehentlich landet man womöglich bei der letzten Station, dem Bürocontainer des Erschließungsträgers des Areals, in dessen Fenster der Künstler Oliver Wick übergroße Fotografien von Augen installiert hat. Man komme zu früh, erfährt man dort, denn die Augen wirkten erst bei Dunkelheit, werden sie doch dann von außen und innen beleuchtet. Im klassischen Arbeitsraum der Bauleitung hängen städtebauliche Pläne und Architekturzeichnungen. Man erfährt dort weniger etwas über Kunst, als über den Ort der Zukunft. Die Eröffnung der Langen Nacht der Kunst habe man allerdings nicht umsonst in dieses Quartier verlagert, schließlich gehören Kunst, Bauen und Menschen einfach zusammen.

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Plötzlich machen sogar Baucontainer Augen.

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

In der evangelischen Kirche poetisch schön: Brigitte Stankes "neue Kleider der Sulamin".

Findet man nun die Rohbauten, in die temporär Künstler gezogen sind, so ist man überrascht über das recht hohe künstlerische Niveau. Da finden sich makroartige Fotografien von Stephan Schwarz, die die verborgenen Schönheiten der Großbaustelle dokumentieren. Der Landschaftsarchitekt hat kleinste Details der Baustellen fotografiert und zeigt in diesen Ausschnitten, wie Licht und Farbe mit Struktur spielen. Wie der Rost auf einem Container Formen ins Material zeichnet oder Spuren auf einer Betonplatte eine Zeichnung ergeben. Diese reduzierende Bildmalerei ist ein ästhetisierender Umgang mit dem Baugebiet, kein inhaltliches Statement. Der Fotografenkollege Stephan de la Motto, im Hauptberuf Mediziner, zeigt ein Haus weiter ebenso ästhetisierende Aufnahmen, die er weltweit mit seiner Kamera eingefangen hat. Auch hier geht es in erster Linie um das Spiel mit Formen. Sein Blick dabei ist grandios. In Turna Gülcans Rohbauwohnung hängen Tücher mit darauf gestickten oder gehäkelten Sprüchen. "Herr lass es Hirn regen", könnte vielleicht als Kommentar auf das Baugebiet verstanden werden. Doch der studierten Bildhauerin geht es mehr um die eigene Gedankenwelt, denn um einen Umgang mit dem Ort des Bauens. "Kein Schwein", vielleicht die Hauptarbeit ihrer Show, eine Zeile, die auf einem weiß gehäkelten Stoff zu lesen ist, versteht Gülcan als Kommentar: Natürlich isst sie Schweinefleisch, obwohl sie Türkin ist. Und doch, ihre Arbeiten sind auch ein Verweis auf die häusliche Arbeit des Stickens und Häkelns. Ist Arkadien in Poing also ein Gefängnis?

In Waschbeckenspiegeln ergeben sich hier ganz neue Reflektionen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Dem Blick in die Zukunft folgt der Blick in die Vergangenheit: Ein paar Wohnblocks weiter darf man Einblick in private Atelierräume nehmen. Die Mehrfamilienhäuser dort sind 2003 gebaut. In der Siedlungsanlage spürt man die Vision der frühen Nullerjahre, heute völlig überholt. Dort betritt man einen Kellerraum, in dem eine Treppe nach oben in Wohnräume eines Künstlerpaares führt (Atelier Baierl). Ein paar Straßen weiter, diesmal im Anbau eines Doppelhauses, erneuter Einblick in ein privates Atelier. Davon gibt es noch mehr. Man könnte meinen, die Lange Nacht der Kunst thematisiere Wohnkonzepte. Doch bald erfährt man, dass man irrt. Die beiden Kirchen, die Evangelische Christuskirche sowie das Katholische Pfarrheim Pater Rupert Mayer sind voll mit Kunst bestückt. Herrlich provokant schreit beispielsweise Julia Adelsbergers nackte Venus, eine Botticelli-Interpretation, den Besucher im Obergeschoss des evangelischen Gotteshauses an, während im Kirchenraum selbst poetisch schön Brigitte Stankes "neue Kleider der Sulamin" aus Seidenpapier unschuldig schweben. Die papiernen Kleider drehen sich sacht im Luftstrom und spielen mit Licht und Schatten vor dem großen bläulichen Kirchenfenster. Im Vorraum ironische Spiele mit einer Rüsseleule, der gepaarten Klugheit von Eule und Elefant, Skulpturen von Klaus-Peter Paul. Und es geht weiter in öffentliche Gebäude.

In der Aula der Grund- und Mittelschule, der Volkshochschule, dem Bürgerhaus, überall hängt Kunst. An manchen Orten geht es schlicht ums Allerlei; ein jeder, der irgendwie mit Pinsel und Leinwand umgehen kann, zeigt, was er kann. Andernorts finden sich alte Bekannte mit durchaus beeindruckenden Werken, wie beispielsweise die Bilder von Siegfried Horst im Bürgerhaus. Dort auch ein hübsches Projekt, in dem alle Poinger zum selber Zeichnen und Ausstellen eingeladen wurden. Ja, nur so geht Arkadien, in dem man es selber entwirft. Auf alle Fälle, die Lange Nacht der Kunst zeigt, dass Arkadien doch mehr in der Kunst zuhause ist als anderen Orts.

© SZ vom 21.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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