"Nacht der Liebe":In Poing geht die Liebe durch den Abend

Lesezeit: 5 min

Die "Wollmäuse" dachten sogar an mögliche Folgen der Veranstaltung. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Poinger feiern eine lange Nacht des höchsten aller Gefühle. Bei 50 Events an 34 Standorten freuen sich die Besucher über Lesungen, Konzerte und Ausstellungen.

Von Antonia Heil, Poing

"Was weißt denn du von Liebe? Von Liebe weißt du nichts!", singt am Samstag Fettes Brot fast schon provozierend im Autoradio auf der Fahrt nach Poing. Was für ein Glück, dass dort die Lange Nacht der Liebe stattfindet! An 34 Standorten finden über 50 Events statt, wo man Liebe angeblich sehen, hören, riechen, schmecken und fühlen kann. Galerien, Schulen, Restaurants, Cafés und öffentliche Einrichtungen nehmen an der Aktion teil. Für jeden Geschmack und jede Altersgruppe ist etwas geboten. Im Vorfeld haben viele Kinder- und Künstlerhände gebastelt, gemalt und dekoriert, was das Zeug hält. Poing präsentiert sich in Liebeslaune.

Spezielle Deko-Elemente zierten die Gläser. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Der Abend beginnt in einem Drogeriemarkt, wo Visagisten Frauen und Mädchen schminken. Mit Lidschatten, Wimperntusche und Lippenstift unterstreichen sie das Schöne an den Gesichtern und geben dabei noch Tipps für zu Hause. "Jetzt kann der Abend beginnen!", freut sich eine Studentin und bricht mit ihren Freundinnen auf in Richtung der Bars, wo verschiedene Live-Musik geboten ist.

Auch Livemusik durfte nicht fehlen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Schlendert man durch den Ortskern Poings auf beiden Seiten der Bahnlinie entlang, so sind die Stationen der Langen Nacht der Liebe an großen, gelben Wimpeln erkennbar. Meistens hängen noch rote Herzchen-Luftballons daran. Aber zumindest bei den Bars und Cafés bräuchte es diese Zeichen eigentlich gar nicht. Denn überall hört man Gelächter und laute Musik auf die Straße dringen. Der Ort feiert, mit Bands, gutem Essen und Getränken und vor allem mit super Laune.

Lebendige Rosen bei der langen Nacht Liebe in Poing. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Von der Drogerie geht es erst einmal weiter zum Marktplatz, wo ein mehr als mannshohes rotes Herz steht. Kinder haben dort Postkarten mit ihrer Definition von Liebe angeheftet. Komplizierte Dinge über Nachbarsjungen und Religion stehen da. Oder einfach "Liebe ist schön." Besonders viel Wahres aber liegt in der Botschaft, dass Liebe durch den Magen gehe.

Literatur im Rathaus

Lichtinstallationen erfreuten die Besucher. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Im Café Hasi hat man sich das besonders zu Herzen genommen und bietet ein Liebesmenü an. Getränke mit Prosecco und Wein sowie Snacks für den kleinen Hunger. Allerdings ist das eher Beiwerk zum Programm, denn Leona und Stefan Kellerbauer und Florian Markel singen und spielen Liebesmelodien aus Opern und Operetten. Im stündlichen Wechsel dazu tragen Jörg Höllrigl und Claudia Reinhardt Liebesgedichte aus allen Epochen der deutschen Literatur vor. Andächtig lauschen die Besucher im warmen Licht des Cafés. In ihren Mienen spiegeln sich Zuneigung, Lust und Freundschaft wieder - Liebe eben.

Für eine festliche Tafel sorgte der Männerkochclub. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Literarisch geht es im Rathaus weiter. Allerdings geht die Liebe hier nicht durch den Magen, sondern durch die Nase. Denn hier liest die Autorin Julia Fischer aus ihrem Roman "Galerie der Düfte". Dafür haben Bücherei- und Buchladen-Mitarbeiter den Sitzungssaal des Rathauses getreu dem Motto der Nacht hergerichtet. Während noch leichte Duftnuancen vom Parfumworkshop am frühen Abend zu erahnen sind, beginnt Fischer zu lesen.

Erst von einer sinnlich-lustvollen Liebesgeschichte zwischen einer deutschen Botanik-Studentin und einem Künstler in Florenz, dann von einer Münchnerin, die Naturdüfte destilliert. Es deutet sich eine Dreiecksgeschichte zwischen ihr, ihrem Handwerker und einem jungen Mitarbeiter des Botanischen Gartens an, der ihr alle Zutaten für ihre Parfums bringt, die sie sich wünscht. Gekonnt setzt die Autorin während des Vorlesens Düfte ein, die die Zuhörer in eine Welt voller Romantik, Blumen und wilder Fantasien entführen.

Derart von Liebe aufgeladen, fehlt eigentlich nur noch eine Tour durch die zahlreichen Ausstellungen, in denen es Künstlern aus Poing und Umgebung gelungen ist, Eros und Agape wirklich sichtbar zu machen. Ein Highlight des Abends findet sich in der Galerie Orth im Eichenweg 4. Begrüßt wird man von einer Wand voll mit den berühmten "Liebe ist..."-Cartoons der Künstlerin Kim Casali.

Keine Chance für Romantik-Verweigerer

Jede Zeichnung besteht aus einem drolligen kleinen Pärchen, das sich auf unterschiedlich gefühl- wie humorvolle Art und Weise Liebesbeweise darbringt. Geht man einmal um die Ecke, findet man fünf kleine Kabinen vor mit jeweils einem Tischchen und einem Notizblock darin. An der Wand hängt jeweils ein Zettel mit einer Frage, auf die man im Notizbuch antworten kann, wenn man möchte. Was das Verrückteste gewesen sei, das man aus Liebe getan habe? "Meinen Klassenkameraden geküsst. Obwohl er das nicht wollte", antwortet eine Kinderhandschrift.

Sowohl die Fragen als auch die Antworten lassen dem letzten Romantik-Verweigerer warm ums Herz werden. Noch eine Ecke weiter gibt es eine Peepshow. Also einen langen Kasten, der vorne ein Guckloch hat. Eine lange Schlange hat sich davor gebildet. Endlich an der Reihe, erspäht man durch das Loch einen auf roten Samt gebetteten alten Röhrenfernseher. Und auf dem läuft ein Kurzfilm aus der Eberhofer-Krimireihe von Rita Falk, in dem es, wie gewohnt, auf ironischer Ebene romantisch zugeht. Dadurch, dass man alleine in den Kasten sieht, bekommt der Film noch eine ganz eigene Atmosphäre.

Wer noch mehr sehen will, muss sich mühsam losreißen. Mit dem Shuttlebus geht es weiter zum Bürgerhaus. Die Stimmung im Bus ist großartig, DJ Retro Rösl legt auf und alle Fahrgäste singen und summen seine Liebeslieder mit. Im Bürgerhaus gibt es eine eindrucksvolle Fotoausstellung von Heidemarie Kowoll-Dreyer. Besonders in Erinnerung bleiben wird das Bild einer roten Rosenblüte, das aussieht wie ein Meer aus Rosenblättern.

Und natürlich wird man sich an das längste Bild der Liebe erinnern, das ein Stockwerk weiter oben hängt. Eine zwanzig Meter lange Leinwand haben Kinder aus dem Kinderland in der Kirchheimer Allee bemalt mit Motiven, die für sie Liebe bedeuten. Nachdem sie das Bild eingehend betrachtet haben, strömen die Gäste weiter in den Nebenraum, wo mehrere Lichtinstallationen angebracht sind. In leuchtenden Graphen haben zwanzig Poinger ihre Liebe im Alltag aufgezeichnet und dargestellt. Keiner der Graphen ähnelt dem anderen, aber alle gehen sie auf und ab.

Auf und ab, genau wie die Besucher, die von einer Ausstellung zur nächsten laufen. In der Seerosen-Schule haben Kinder die Liebe zur Natur in paradiesischen Landschaften zu Papier gebracht. Im Gemeindehaus der evangelischen Christuskirche gehen Pfarrerin Julia Notz und Vikar David Schärf anhand einer Ausstellung der Frage nach, was Gott unter Liebe versteht. Davor muss man im Foyer den Weg durch das Labyrinth der Liebe finden, das eine Künstlergruppe sehr kreativ gestaltet hat. Nebenan in der katholischen Pfarrgemeinde kann man erfahren, wie Liebe und Streit zusammenhängen und wie grenzenlos Liebe ist.

Wenn man so durch die Galerien schlendert, begegnet man immer wieder Besuchern, die man schon in einer anderen Ausstellung getroffen hat. Eine Dame, die auch staunend vor den kleinen Liebes-Cartoons von Kim Casali gestanden hatte, empfiehlt: "Sie müssen unbedingt noch in die VHS schauen!" Gesagt, getan. Dort haben sich Teilnehmer eines Malkurses gefragt, welche Dinge sie lieben, und in der Umsetzung eine bestimmte Wischtechnik angewandt, sodass die Farbe quasi aus der Leinwand herauswächst. Sonnenblumenblätter sind ebenso zu sehen wie Berggipfel und Gesichter.

An so einem Abend können die zahlreichen Besucher der langen Nacht der Liebe natürlich nur einen Bruchteil des vielseitigen Programms aus Filmen, Musik, Bildern und Worten miterleben und in sich aufnehmen. Liebe ist eben sehr facettenreich. Auf der Rückfahrt singt Haddaway "What is love?" Ja, fragt man sich da, was ist denn nun die Liebe?

© SZ vom 18.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: