Poing:"Jeder muss nun gewarnt sein"

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Florian Alte ist seit 2003 als Rechtanwalt tätig. Seit 2013 arbeitet der Anzinger vorwiegend als Fachanwalt für Strafrecht. (Foto: Christian Endt)

Strafrechtsexperte Florian Alte erläutert die rechtliche Einordnung und die Folgen des Poinger Kita-Prozesses

Interview von Barbara Mooser, Poing

Über Jahre hinweg war die Situation in einer Kindertagesstätte des Diakonievereins in Poing problematisch: Es fehlte an allen Ecken und Enden an Personal, den Betrieb aufrecht zu erhalten, war schwierig. Um dennoch Fördergelder zu erhalten, die sonst nicht geflossen wären, machte die damalige Vorsitzende des Vereins jahrelang falsche Angaben zu den Arbeitszeiten und zur Qualifikation ihrer Mitarbeiterinnen. Nun wurde die 53-Jährige dafür vom Ebersberger Amtsgericht wegen schweren Betrugs zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Die SZ sprach mit dem Anzinger Strafrechtsexperten Florian Alte über das Urteil.

SZ: Zwei Jahre und vier Monate - viele juristische Laien empfinden das als äußerst drastische Strafe und sind schockiert.

Florian Alte: Absolut, solche Reaktionen habe ich auch mitbekommen. Es herrscht ein gewisses Unverständnis darüber, dass eine Frau, die sich ehrenamtlich engagiert und offenbar nicht in die eigene Tasche gewirtschaftet hat, doch so hart bestraft wird. Allerdings kenne ich den konkreten Einzelfall auch nur aus der Presse.

Generell hat man oft den Eindruck, dass Vermögensdelikte sehr viel härter geahndet werden als beispielsweise Angriffe gegen Menschen. Täuscht das?

Ganz so einfach ist es nicht. Meine Erfahrung zeigt, dass die Beurteilung, ob eine Strafe als gerecht empfunden wird, hauptsächlich von zwei Fragen abhängt. Erstens: Ist mir der Täter sympathisch? Das Paradebeispiel hierfür ist Uli Hoeneß, eine stark polarisierende Person. Unzählige Fans von ihm haben die Strafe als zu hart empfunden, viele Gegner aber als zu lasch. Zweitens: Wie sehr missbillige ich den Sachverhalt? Das führt beispielsweise in Fällen von Steuerhinterziehung dazu, dass die verhängte Strafe tendenziell als zu hoch angesehen wird, frei nach dem Motto "Wer hat denn nicht schon mal..." Ist aber ein Verhalten nicht akzeptabel, wie beispielsweise Gewalttaten oder Missbrauch von Kindern, wird die Strafe eher als zu gering eingeschätzt. Im aktuellen Fall spielt in der öffentlichen Meinung sicherlich sehr stark eine Rolle, dass sie durch ihre ehrenamtliche und politische Tätigkeit eher sympathisch wirkt und der Sachverhalt auch nicht als so gravierend beurteilt wird, quasi "es kam ja Kindern zu Gute". Wäre dieses Urteil gegenüber einem hauptamtlichen Geschäftsführer mit üppigem Gehalt gefällt worden, der sich mit dem erlangten Vorteil Luxusurlaube finanziert hätte, würde die Beurteilung durch die Öffentlichkeit sicher anders ausfallen, obwohl immer noch ein Vermögensdelikt vorliegt.

Dennoch hat die nun Verurteilte nichts in die eigene Tasche gesteckt - macht das rechtlich gar keinen Unterschied?

Für die rechtliche Einordnung als Betrug, spielt es weder eine Rolle, ob man den Vorteil für sich selbst oder für Andere erlangt hat, noch welchem Zweck der Vorteil gedient hat. Solche Tatsachen spielen aber in der Strafzumessung eine Rolle, das heißt, bei der Frage, wie hoch eine Strafe ausfällt. Hierbei hat sich das Gericht innerhalb des gesetzlich vorgeschriebenen Strafrahmens zu bewegen.

Bei Haftstrafen bis zu zwei Jahren ist grundsätzlich eine Aussetzung zur Bewährung möglich. Nun lag die Strafe im aktuellen Fall ja sogar noch darüber. Der Richter hat aber angemerkt, dass eine Bewährungsstrafe ohnehin nicht möglich gewesen wäre, weil keine besonderen Umstände dafür gesprochen hätten. Was wären denn solche Umstände?

Allgemein gesehen, ist so ein besonderer Umstand zum Beispiel ein Geständnis. Es soll aber nicht so weit gehen, dass man etwas gesteht, was man nicht getan hat, zumindest theoretisch. Ein anderer besonderer Umstand wäre beispielsweise, wenn schon eine Schadenwiedergutmachung erfolgt ist. Im konkreten Fall würde ich eigentlich schon einen besonderen Umstand darin sehen, dass sich die Angeklagte ehrenamtlich für einen sozialen Zweck engagiert hat. Ob dies in Anbetracht des sehr hohen Schadens im vorliegenden Fall dazu ausgereicht hätte, eine Bewährungsstrafe anzusprechen, kann ich nicht beurteilen.

Die nun Verurteilte ist über den Strafprozess hinaus mit einer zivilrechtlichen Klage konfrontiert - hat der Ausgang des Strafverfahrens hierauf Einfluss?

Von der Theorie her ist ein strafrechtliches Verfahren von einem zivilrechtlichen unabhängig. Allerdings zeigt die Praxis, dass bei Zivilprozessen immer wieder die Argumentation geführt wird: Nun ist man im Strafverfahren verurteilt, dann wird schon was dran sein. Umgekehrt passiert dies leider auch.

Rechnen Sie damit, dass das Urteil weitere Kreise zieht?

Ich denke schon, dass von einem solchen Urteil ein Signal ausgehen kann. Es könnte tatsächlich sehr schwerwiegende Folgen haben, beispielsweise, dass viele ehrenamtlich im Kita-Bereich Tätigen nun aufgeben wollen. Natürlich hoffe ich, dass das nicht der Fall sein wird. Aber jeder muss nun gewarnt sein, dass er sehr penibel arbeiten muss und genau darauf achtet, das alle Angaben auch richtig sind. Im Zweifel sollte man eben die Trägerschaft abgeben, leider. Das war bei uns kürzlich in Anzing der Fall; das Argument war unabhängig von dem Poinger Fall, dass der Verwaltungsaufwand so hoch ist, dass er ehrenamtlich nicht mehr zu stemmen war.

© SZ vom 24.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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