Poing:Gestalten aus der Tiefe der Seele

Lesezeit: 3 min

Kreisförmig haben Siegfried Horst und Hermine Gold ihre Kunstwerke in der Poinger Galerie Orth arrangiert. So wird der Betrachter selbst Teil davon. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Der Anzinger Maler Siegfried Horst und Hermine Gold stellen gemeinsam bei Karl Orth in Poing aus

Von Rita Baedeker, Poing

In der Mitte des Kreises liegt ein Faltbuch, die Seiten sind mit Wachs überzogen. Die Künstlerin Hermine Gold nennt es "Reise an die entlegenen Orte der menschlichen Seele". Das Buch enthält Gedanken, Fotos und skizzenhafte Illustrationen, plötzliche Einfälle, Gefühle, Sehnsüchte, Ängste. "Das Buch entstand aus dem Unterbewussten", sagt sie, "aus Gedanken, wie man sie im Morgengrauen hat." Durch das Wachs, es stammt von abgebrannten Votivkerzen, bekomme das Buch eine archaische Ausformung. "Aus den feinsten Gräsern flechte ich meinen Schild", heißt es gleich auf der ersten Seite. "Ein kleines Leben und für einen selbst das größte!", steht an anderer Stelle. Gold schreibt von Krankheit und Tod, erzählt Geschichten "über die Kostbarkeit und die zerbrechliche Zartheit des Lebens".

Doch ganz schutzlos ist sie nicht, die Protagonistin dieser Zeilen. Um das Pult mit dem Buch herum hat sich eine Gruppe vogelähnlicher archaischer Geschöpfe auf Gipsstelen niedergelassen. Zwar glaubt man, einzelne Vogelarten und deren Schnäbel zu erkennen, einen Marabu etwa und einen Raben, doch eigentlich wirken die aus Gips und Wachs geformten Skulpturen so, als würden sie jeden Moment zerschmelzen. "Diese Vögel bewachen das Buch,", sagt der Anzinger Maler Siegfried Horst, der von Freitag an zusammen mit Hermine Gold in der Galerie Kunstform Orth in Poing zehn Porträtgemälde ausstellt.

Es ist kein Zufall, dass die Künstlerin Vogelwesen als spirituelle Wächter auserkoren hat, denn Vögel gelten als Sinnbilder für Geist und Seele, für die Sehnsucht, sich von der Erde und der leiblichen Existenz zu lösen. Ihre Vögel gleichen jedoch keinen realen Lebewesen, sondern sind amorphe Schemen, ähnlich jenen Traumgebilden kurz vor dem Einschlafen, die man nie zu fassen kriegt. "Es sind Gestalten, die im Innern entstehen", sagt Gold. "Breite den Mantel aus. Ich möchte fliegen lernen", schreibt sie auf einer Seite.

Hermine Gold wurde 1945 geboren, sie studierte Pädagogik, wurde Lehrerin und ist seit 36 Jahren als Malerin und Objektkünstlerin tätig. Die in der Nähe von Forchheim lebende Künstlerin ist Mitglied im Kunstverein Erlangen und erhielt mehrere Kunstpreise und Anerkennungen.

Die gefiederten Wächter sind jedoch nicht allein. Um sie herum befindet sich ein weiterer Kreis: Zehn großformatige Köpfe von Siegfried Horst. "Dieser Kreis steht für die diesseitige bunte Welt", sagt Horst. Jedes Bild ist ein Porträt, eines zeigt die Fernsehmoderatorin Marion Schieder. Sie saß Horst Modell bei Filmaufnahmen zu einer fünfteiligen Sendereihe über Anzing, über das Loher-Haus, die Maler Siegfried Horst und Thomas Abold sowie den Trachtenverein, die im August bei München TV ausgestrahlt werden wird.

Andere Köpfe zeigen den Maler selbst, mal mit einem Gesichtsausdruck, der Verletzlichkeit spiegelt, mal ganz ruhig und gelassen. Auch eine schöne, aber streng wirkende Dame mit Rose im Haar gehört zum Kreis der Betrachter; dazu ein Paar, Mutter und Sohn, wie Horst verrät, wobei der Sohn sich mit schwermütiger Miene deutlich von der Mutter abwendet. Ein weiteres Paar, alter Mann und junge Frau, erzähle von der Unmöglichkeit dieser so unterschiedlichen Menschen, zusammenzukommen, sagt er. Für Hermine Gold haben Horsts Köpfe eine starke Faszination. "Alles schaut nach innen."

Auch die Besucher der Ausstellung werden auf diese Weise selber zu Objekten der intensiven Beobachtung. Dies liegt zum einen am kreisförmigen Arrangement, zum anderen aber an der Gestaltung der Augen, die in Siegfried Horsts Porträts eine zentrale Rolle spielen. "Ich fange immer mit den Augen an", sagt der Maler. "Die Augen sind das Tor zur Seele, nach außen und nach innen". Sie sind Wächter, versinnbildlichen Wissen und Erkenntnis. Im Blick liegt viel Macht, im Guten wie im Bösen.

Siegfried Horsts Augen gleichen Nestern aus einem dichten Geflecht schwarzer Linien. Die mit groben Strichen skizzierten Gesichter erhalten ihre Lebendigkeit und ihre Emotion durch feine Verästelungen rund um Mund und Augen, durch spektakulär gesetzte Schatten und einen Farbklang, der viel über die abgebildete Person verrät: Alter, Gefühle, Charakter, Seelenlage. Obwohl sich die Gemälde von Siegfried Horst nicht auf das Buch von Hermine Gold beziehen, entsteht doch eine direkte Verbindung, zwischen Innen und Außen oder, wenn man so will, zwischen Es und Ich.

Am Freitag, 22. Juli, 18 Uhr, wird die Ausstellung von Hermine Gold und Siegfried Horst im Atelier Karl Orth in Poing, Eichenweg 4, eröffnet. Die Einführung hält Ruprecht Volz. Geöffnet ist Samstag und Sonntag, 23., 24. 30. und 31. Juli, sowie am Freitag, 29. Juli, jeweils von 13 bis 18 Uhr.

© SZ vom 21.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: