Poing:Früchte der Furcht

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Religionssoziologe Paul Zulehner präsentiert in Poing seine Erkenntnisse zu Geflüchteten und dem christlichen Abendland

Von Victor Sattler, Poing

Nicht die Politik habe uns in der jüngeren Geschichte zusammengeschweißt, letztlich sei es die Finanzkrise von 2008 gewesen, die uns zu Brüdern und Schwestern im Geiste gemacht habe. Diesen Punkt markierte Paul Zulehner wie mit einer Stecknadel: "2008 war es, dass Europa kulturell vereint wurde, in der Angst." "Entängstigt euch!" heißt dementsprechend auch Zulehners jüngstes pastoraltheologisches Essay, unter dem gleichen Motto hielt er nun einen Vortrag im Pfarrheim Rupert Mayer in Poing. "Nicht das christliche Abendland" wolle er mit seinem eineinhalbstündigen Plädoyer retten, sondern "lieber das Christliche im Abendland". Denn es sei geradezu ironisch, dass eine Partei von Atheisten aus Ostdeutschland ihre Politik mit einer christlichen Mission rechtfertigen wolle.

Eingeladen hatte den österreichischen Priester, emeritierten Uniprofessor und mit seinen Thesen auch mal aneckenden Religionssoziologen das Katholische Kreisbildungswerk Ebersberg, passend zum Jahresthema "Furchtlos". Zum Vortrag waren vor allem Mitglieder der Helferkreise und jene Bürger gekommen, die Abschiebungen hautnah mitbekommen hatten. Nicht Furcht, sondern viel Frust und Ratlosigkeit brachten sie mit an diesem Abend.

Bevor sie dem Frust allerdings Luft machen durften, sprach Zulehner. Er verwies auf die spirituelle Psychotherapeutin Monika Renz und auf die Idee des Urtraumas, demzufolge jeder Mensch nach dem paradiesischen Leben im Mutterleib mit der Geburt wie Adam und Eva daraus vertrieben werde: Hier entstehe die Urangst, wie sie uns ein ganzes Leben lang begleite - und aktuell auch Schuld an der Fremdenfeindlichkeit trage. Diese Urangst mit einem Urvertrauen aufzuwiegen, sei ein Balanceakt und ein lebenslanges Kunstwerk.

Frei nach Politikwissenschaftler Dominique Moïsi füllte Zulehner die geopolitische Landkarte mit Farbe: China und Indien seien Kulturen der Hoffnung, das spüre man an ihrem wirtschaftlichen Aufstiegswillen. Die arabische Welt hingegen: "eine Kultur der Demütigung, gepeinigt von den USA und dem ganzen restlichen Westen". Zulehner verglich sie mit der Weimarer Republik, die sich von den Versailler Verträgen gedemütigt gefühlt habe. Nach diesem Geschichtsexkurs kehrte er zu Europa zurück, wo rechtsgerichtete Parteien wieder eine Politik der Angst betreiben könnten. "Die rechten Politiker denken sich doch: Hoffentlich gibt es noch einen Terroranschlag, am besten kurz vor der Bundestagswahl, am besten in Deutschland."

Auch Daten präsentierte Zulehner - seine eigenen. In einer Studie habe er die Ängste der Europäer erfasst. 3000 Personen habe er online befragt und in drei Gefühlslager eingeordnet: grüne Zuversicht, gelbe Sorge und roten Ärger. Die absolute Mehrheit von 53 Prozent fühle Sorge mit Blick auf die Integration der Flüchtlinge. Junge Leute seien nur beim Willkommenheißen gut gewesen, nun fehle es ihnen aber an Ausdauer. Er malte sodann ein schwarz-weißes Bild von der Welt: Die einen merkeln, ihre Heilige sei die Kanzlerin. Die anderen orbanisieren, ganz nach dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Zwei getrennte Gruppen, zwei Figuren, zwei Vokabulare. Die einen fühlten Angst, die anderen eben nicht. Und: "Angst macht böse", so Zulehner. Gleichzeitig betonte er aber, dass "alle Ängste real sind, selbst solche, die nicht rational sind".

Ängste aufzuzählen, das fiel Zulehner leicht. Zwei Drittel seiner Redezeit verwendete er darauf, die Angst vor Islamisierung und wirtschaftlicher Konkurrenz durch Flüchtlinge zu beschreiben. Wie man der Angst denn nun begegnen könne, fragte eine Dame nach. "Jetzt weiß man zwar, dass sie da ist, aber..." Der Verstand könne die Angst gar nicht bewältigen, sagte Zulehner daraufhin. Stattdessen müsse man sich "aus der Angst-Ecke herauslieben". Mit seiner Studie habe er ausgetestet, dass das "einzig Wirksame" die Begegnung mit Gesichtern und Geschichten sei. "Halten Sie die Formel fest", rief Zulehner ins Publikum, "Gesichter und Geschichten."

Ein Beispiel, eine dieser Geschichten, trug er später selbst vor: Narges, ein erst 13-jähriges, afghanisches Mädchen hatte nach dem islamistischen Anschlag auf die Redaktion der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo einen Eiffelturm aus Spaghetti gebastelt - die Arbeit mehrerer Wochen. "Die sind nicht Islam. Ich bin Islam", habe sie über die Attentäter gesagt, als sie ihm das französische Wahrzeichen aus italienischen Nudeln zeigte. Die 13-Jährige wolle nun eines Tages bei der Nasa arbeiten, dank ihrer österreichischen Schulbildung. "Warum berühren Kindergeschichten?", fragte Zulehner und lieferte auch gleich die Antwort: "Weil sie die Mauer der Angst durchbrechen können."

Weiter wünschte er sich einen Marshallplan für Afrika und Syrien, ein Wiederaufbauprogramm wie das, unter dem sich Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg erholt hatte. Den Bürgern Poings war mit solch globalen Ansätzen aber nicht geholfen. Gegen Ende entstand eine lebhafte Diskussion, in der aus erster Hand berichtet wurde, wie Asylbewerber, die im Landkreis bereits Arbeit gefunden hatten und angelernt worden waren, wegen geltenden Rechts wieder gekündigt werden musste. Sie seien regelrecht aus den Betrieben herausgerissen worden. "Man ist so frustriert darüber, sich entschuldigen zu müssen, warum man hilft", brachte eine Dame des Helferkreises aufgelöst vor. Soviel guter Wille sei vorhanden bei den Ankommenden, aber keine Perspektive auf ein Bleiberecht.

© SZ vom 03.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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