Poing:Frankensteins Erbe

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Der Poinger Künstler Thomas Silberhorn erschafft technische Objekte, die durch ihre Unkontrolliertheit und Dysfunktion bestechen

Von Rita Baedeker, Poing

Eine Durchsage wie die folgende lässt aufhorchen, dann reibt man sich verwundert die Augen: "Räumen Sie sofort das Gelände, es beginnt zu regnen! Dies ist keine Übung! Ich wiederhole: Dies ist keine Übung! Begeben Sie sich sofort an einen geschützten Ort! Bedecken Sie Kopf und Extremitäten. . . " Blechern und schnarrend tönen die Worte aus mehreren irgendwo aufgehängten Lautsprechern, sobald es anfängt zu regnen. Wie jetzt? Ist Karl Valentin auferstanden? Drehen Feuerwehr und Katastrophenschutz durch? Haben wir den 1. April?

Nichts von alledem. Das "Regenwarnsystem" ist eine 2014 entstandene Arbeit des jungen Poinger Künstlers Thomas Silberhorn. Vor kurzem wurde dem Absolventen der Münchner Kunstakademie der Kulturpreis Bayern verliehen. Es ist nicht die erste Auszeichnung, die der 33-Jährige bekommen hat. Seine ungewöhnlichen Ideen, seine kinetischen Konstruktionen machen Furore.

Thomas Silberhorn besuchte die Bildhauerklasse von Stefan Huber. Mit klassischer Bildhauerei haben seine Werke allerdings wenig zu tun. "Bildhauerei ist eine veraltete Bezeichnung", sagt Silberhorn. "Heute fasst man unter dem Begriff einfach alles zusammen, was nicht Malerei ist, von Video bis zu Installation und Performance." Thomas Silberhorn hat sein Diplom abgeschlossen, er arbeitet in den Domagk-Ateliers in München und ist gerade gut eingedeckt mit Aufträgen, unter anderem für ein Kunst-am-Bau-Projekt. Er arbeitet als freier Künstler, seine Entschlossenheit und Leidenschaft geben ihm die nötige Energie.

Als Schüler am Gymnasium Markt Schwaben hatte er den ersten Kontakt zur Kunst. Ein Schlüsselerlebnis sei, so berichtet er, der Kunst-Leistungskurs bei Severin Zebhauser gewesen. An eine Szene erinnert er sich noch genau: Er und seine Mitschüler seien herumgehangen, keiner habe etwas zustande gebracht. Da habe Zebhauser zu ihnen gesagt, sie sollten wenigstens einen Stift in die Hand nehmen, damit es so aussehe, als würden sie etwas machen. Die ironisch gemeinte Ermahnung des Lehrers enthielt, zumindest für Silberhorn, eine Botschaft. "Ich begriff, dass Kunst eine coole Sache ist, dass man da auch locker sein kann."

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Wäre Thomas Silberhorn vor 200 Jahren geboren, wäre er vermutlich Forscher geworden:

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Der junge Absolvent der Münchner Kunstakademie aus Poing erschafft geheimnisvolle technische Geräte...

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...und damit preisgekrönte Kunstwerke.

Nach Ende der Schulzeit war Silberhorn drei Jahre an der Freien Kunstwerkstatt am Stiglmaierplatz tätig, lernte Grafik, Zeichnen, Malerei. Als er an die Akademie wechselte, fing er an, sich für Technik zu interessieren und entdeckte, was man alles mit Sensoren und Motoren anstellen kann. "Ich habe mir alles Technische selber beigebracht", sagt er. Als er dann bei einer Klassenbesprechung, einem Pflichttermin an der Akademie, den Dummy eines Objekts vorführte, stellte sich heraus, dass das Ding nicht so funktionierte, wie er das geplant hatte. "Ich war fix und fertig, das Teil machte völlig bescheuerte Bewegungen, meine Kommilitonen aber fanden genau diese nicht-perfekte Version interessant" - ein weiteres Schlüsselerlebnis. "Für mich wurde es zum Prinzip, dem Zufall eine Chance zu geben." Eine Idee dürfe nicht so fix sein, dass man nicht mehr bereit sei, etwas zu ändern, sagt Silberhorn heute. Wenn man so will, sind "bescheuerte Bewegungen" oder absurde Funktionen der Kern seiner kinetischen Objekte.

Zum Beispiel bei der Installation "Antispektakel": Eine drei Meter lange Kette hängt an einem riesigen, an der Decke befestigten Getriebemotor. Geplant war, so Silberhorn, dass die Kettenglieder in einer bestimmten Form schwingen sollten. Stattdessen vollführte die Kette eine "eher läppische Bewegung", erzählt der Künstler. Irgendwie bescheuert wirkt auch der "Crawler": Aus Holz, Neonröhren, Stroboskop, einem Kassettenrekorder, einer Bohrmaschine, einem Motor sowie einem Plastikarm mit Muskeln konstruierte Silberhorn ein Krabbelmonster, das sich mit Hilfe dieses Arms durch einen Gang zieht. Ein Holzpferdchen aus seiner Kindheit verband er mit einem sich selbst steuernden Roboter, der dank Ultraschall- und Infrarotsensoren erkennt, wenn ein Hindernis auftaucht. "Meine Eltern wollten das Pferdchen schon wegwerfen", berichtet Silberhorn und lacht.

Den jüngsten Preis bekam er für einen umfunktionierten Treppenlift mit dem Titel "Flow 2". Gefunden hat er ihn beim Durchblättern der ADAC-Kundenzeitschrift. Etwas unheimlich und seiner Funktion entfremdet, bewegt sich das in dieser Umgebung wunderlich wirkende Gerät durch den Raum . Als kontrollier- und steuerbares Hilfsmittel erfunden, hat es sich emanzipiert und bedroht nun nicht nur das Mobiliar, sondern auch die naive Vorstellung des Menschen, er könne die Technik beherrschen. Man könnte Thomas Silberhorn als Erben Frankensteins, der allerlei Apparaturen zusammenträgt, um ein Wesen zu erschaffen, bezeichnen. Seine Geschöpfe morden freilich nicht, sondern tanzen nach einer ebenso poetischen wie unheimlichen Choreografie. Die Fertigkeiten, die man für all das braucht, hat Silberhorn aus dem Internet, wo er auch die notwendigen Bauteile bestellt.

Preisgekrönt und mit einem Faible für Technisch-Dysfunktionales: Thomas Silberhorn. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Mittlerweile weiß er, wie die Dinge funktionieren, und ist immer wieder erstaunt, wie einfach das ist. Sein Wissens- und Forscherdrang ist unerschöpflich. Andauernd lernt er dazu. "Als ich mal frei hatte, habe ich gelernt, wie man Fliesen verlegt", erzählt er lachend. Wäre ich 200 Jahre früher geboren, wäre ich Forscher geworden", sagt er. Heute jedoch gebe es das nicht mehr so oft, dass einzelne herausragende Persönlichkeiten Bahnbrechendes entdeckten. "Forschung ist nicht mehr so spannend", findet er. Doktor Faust braucht vor allem eines: Teamgeist!

Deshalb ist nun die Kunst sein Lebensinhalt. Gerade ist er mit den letzten Handgriffen für sein Kunst-am-Bau-Projekt beschäftigt, einem Relief von beinahe zwei mal zwei Metern, mit beweglichen Alustäben, aus denen Passanten und Anwohner Buchstaben und Worte bilden können, um einander Botschaften zu übermitteln. "Bei meinen Arbeiten ist es mir wichtig, dass nichts verkopft ist", sagt Silberhorn. "Es freut mich, wenn mir jemand sagt, er kapiere nicht, was das soll." Dann komme Kommunikation zustande. Und sogar Humor. So wie beim Regenwarnsystem.

© SZ vom 07.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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