Poing:Bullenhitze

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Mitleid unnötig! Dieser Gesichtsausdruck ist nicht der brütenden Hitze, sondern dem angenehmen Schrubben einer Fellbürste geschuldet. (Foto: Christian Endt)

Der warme Sommer macht auch dem Milchvieh im Stall zu schaffen. Der Agraringenieur Johannes Zahner erforscht in Grub, wie den Tieren mit Belüftungssystemen und Duschen zu helfen ist

Von Christian Endt, Poing

Auf dem Gelände der Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) im Poinger Ortsteil Grub steht die Hitze. Keine Wolke verdeckt die Sonne, kein Wind sorgt für Erleichterung. Das Thermometer zeigt 32 Grad. Johannes Zahner kommt an solchen Tagen mit kurzer Hose zur Arbeit. Schwungvoll geht er über das Forschungsgelände. Das Ziel des Agraringenieurs ist ein Kuhstall am Rande des Geländes, ein Holzbau aus den Neunzigerjahren. "Im Durchschnitt ist es in so einem Stall zwei Grad wärmer als draußen", sagt er. Die vielen Bakterien im Magen der Wiederkäuer erzeugen große Wärme. Diese versuchen die Tiere per Schwitzen und Atmen nach außen zu transportieren. Je wärmer es ist, desto wirkungsloser wird diese Selbstkühlung: Die Kuh überhitzt. Zahner erforscht zusammen mit einer Tierärztin daher Möglichkeiten, dem Milchvieh die Hitze erträglicher zu machen.

Von welcher Temperatur an Kühe unter Hitzestress leiden, hängt von der Luftfeuchtigkeit ab. Spätestens bei 24 Grad ist die Komfortzone vorbei. Die Rinder atmen dann schneller, der Puls steigt, sie trinken mehr, fressen weniger und geben langfristig auch weniger Milch. "Normalerweise sinkt die Milchleistung im Hochsommer um etwa zehn Prozent", sagt Zahner. Mit ihrem in Grub entwickelten, vollautomatischen Lüftungssystem sei es ihnen heuer erstmals gelungen, diesen Verlust zu vermeiden. Im Versuchsstall ist der Erfolg spürbar: Während draußen die Luft steht, weht innen ein angenehmer Wind. Dafür sorgen große Ventilatoren, die Zahner über die Viehboxen gehängt hat. Sensoren in der Halle messen laufend Temperatur und Luftfeuchtigkeit, in Abhängigkeit davon werden die Lüfter automatisch geregelt.

Mitleid unnötig! Dieser Gesichtsausdruck ist nicht der brütenden Hitze, sondern dem angenehmen Schrubben einer Fellbürste geschuldet. (Foto: Christian Endt)

In Sachsen gleichen die Ställe eher Kühlhäusern

In den vergangenen zwei Jahren haben Zahner und seine Kollegin das System ausgetüftelt. Sie mussten mehr oder weniger bei Null anfangen: Ventilatoren sind in Kuhställen die große Ausnahme. Entsprechend wenig Wissen ist vorhanden. In Sachsen ist man etwas weiter, dort gucken sie sich ein paar Dinge ab. Viel Erfahrung mit Hitze und Viehhaltung hat man in Amerika. Dort ist das Klima jedoch anders - höhere Temperaturen, dafür trockenere Luft. Außerdem sind die Ställe ganz anders gebaut, gleichen eher Kühlhäusern. "Das passt bei uns nicht in die Landschaft." Und wäre bei den deutschen Energiepreisen auch nicht rentabel. Zahner muss für die Verhältnisse in Bayern einen eigenen Weg finden. Energieeffizienz spielt dabei eine große Rolle.

Früher war die Herberge voll, heute auch der Stall. (Foto: Christian Endt)

Da es auf dem Markt keine speziellen Ventilatoren für die Viehhaltung gibt, probieren sie bei der LfL zuerst viele Modelle aus. Als das passende Gerät gefunden ist, geht die Arbeit erst richtig los. Wie viele Ventilatoren sind nötig? In welcher Höhe müssen sie aufgehängt werden? Was ist der ideale Winkel? Wie programmiert man die Regelung? Zahner beginnt mit Experimenten in einer leeren Halle. Mit einer Nebelkanone macht er sichtbar, wohin der Ventilator die Luft trägt. Sensoren messen die Windgeschwindigkeiten. In Zahners Büro hängen die Ergebnisse seiner Experimente als bunte Diagramme an den Wänden. In der Praxis spielen nicht nur die Zahlen eine Rolle, sondern auch Themen wie Arbeitsschutz. Die Unterkanten der Ventilatoren hängen daher auf 2,7 Metern Höhe. Weiter unten wären Schutzgitter nötig, die wiederum die Leistungskraft reduzieren würden.

Im September 2014 ist das System soweit ausgereift, dass Zahner es zum Praxistest im Kuhstall montiert: Mit Erfolg. Inzwischen ist die Anlage auf dem Markt erhältlich. Die LfL versucht nun, Bayerns Bauern von einem Einbau zu überzeugen. "Was dieses Jahr als Extremsommer gilt, ist in einigen Jahren der Normalfall", sagt Zahner mit Blick auf den Klimawandel. Für die Landwirte wäre es also eine Zukunftsinvestition. Allerdings keine ganz billige: Etwa 12 000 Euro kostet die komplette Anlage für einen Stall mit 60 Tieren.

Spezialduschen schaffen Linderung

Zahner experimentiert außerdem mit speziellen Duschen, unter denen sich die Tiere erfrischen können. Unter dem Testgerät in Grub drängen sich immer mindestens zwei Kühe. Mögen sie sich, bekommen beide eine Abkühlung. Sonst gibt es Geschiebe, bis das rangniedrigere Tier Platz macht. Alle Viertelstunde springt die Dusche für drei Minuten an. Feine Tropfen reflektieren das Sonnenlicht, bis sie auf dem braun gefleckten Fell der Kühe landen. Am Ende ist der ganze Rücken nass. Durch die Verdunstungskälte beim Trocknen wird die Hitze gelindert. Wer genau hinsieht, kann die Wirkung sehen: Bei den nassen Kühen hebt und senkt sich der Bauch in einer etwa viermal langsameren Atemfrequenz als bei ungeduschten Artgenossen in der Box nebenan.

Johannnes Zahner denkt inzwischen einen Schritt weiter: In den nächsten zwei Jahren möchte er erforschen, welche Bauweise die Ställe hitzeresistenter machen kann. Stärkere Decken beispielsweise würden besser vor Sonnenstrahlung isolieren. Die Seitenwände dagegen sollten offen sein, damit ein Luftaustausch stattfindet. Außerdem möchten die Agrarforscher Lösungen entwickeln, um auch auf der Weide für Abkühlung zu sorgen, etwa durch schattige Unterstände. Wäre ja schade, wenn die Tiere bei bestem Sommerwetter wegen Hitze im Stall bleiben müssten.

© SZ vom 14.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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