Poing:Bloß kein Frost

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Kein Durchkommen ist mehr in Poings Hauptstraße. Diesen Dienstag und Mittwoch soll die neue Teerschicht aufgetragen werden. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Seit vergangener Woche ist die Poinger Hauptstraße gesperrt. Anwohner und Geschäftsleute hoffen, dass das Wetter hält und Freitag die Sanierung wie angekündigt beendet ist. Falls nicht, könnte es Schwierigkeiten geben.

Von Johannes Hirschlach, Poing

Ohrenbetäubender Lärm hallt durch die Hauptstraße in Poing. Verursacher ist ein stählernes Ungetüm auf Ketten, losgelassen von einem Tieflader, den ein Schild in der Windschutzscheibe als "Obelix" bezeichnet. Die Kaltfräse faucht, staubt und frisst sich langsam durch die obere Asphaltdecke der Straße. Übrig bleiben tiefe Rillen, in denen sich trübbraunes Schmutzwasser sammelt. Der ihr zum Opfer gefallene Teer wandert auf einem Förderband durch die Maschine und prasselt zerstückelt in einen bereitstehenden Lkw.

Seit einer Woche nun ist die Hauptstraße zwischen Neufarner und Anzinger Straße das Revier der Straßenbaufahrzeuge. Bis zum 18. November soll auf den knapp 500 Metern die oberste Teerschicht abgetragen und durch eine neue ersetzt werden. Schon von 19. September bis zum 7. Oktober war die Straße teilweise gesperrt, damals für Fernwärmearbeiten. Während dieser Baumaßnahme hatten betroffene Anwohner und Geschäftsleute an einer Gemeinderatssitzung teilgenommen und dabei den Behörden im Bezug auf die Arbeiten eine mangelhafte Informationspolitik vorgeworfen.

Für die neuerliche Baustelle sollte nun alles besser werden: Am 24. Oktober trafen sich Vertreter aller Seiten, um die Maßnahmen zu erläutern. Da die Hauptstraße dem Kreis gehört, ist für die Straßeninstandhaltung das Landratsamt zuständig. Inzwischen rumpeln laut die Maschinen, die Stimmung ist entlang der Geschäftsmeile aber deutlich gelöster als noch vor einem Monat im Gemeinderat.

Das straßenbauliche Inferno kann Christine Nick direkt durch ihr Schaufenster beobachten. Die Frau mit der in die Haare gesteckten Brille ist Inhaberin eines Dekogeschäftes an der Hauptstraße. Eine Hand in die Hüfte gestemmt steht sie in ihrem Laden voller versilberter Tannenzapfen, glitzernder Glaskristalle und cremefarbener Kerzen.

Im Slalom durch die Gullideckel

"Die Straße muss gemacht werden, das ist uns allen klar!", sagt sie und führt dazu resolut beide Hände nach unten, als wolle sie die Luft zerteilen. "Das war ja ein tausenderlei Flickwerk zuvor." Einzig der Zeitpunkt ist es, der Nick umtreibt. Von dieser Woche an beginne für sie das Weihnachtsgeschäft. "Was passiert, wenn's jetzt so viel schneit?", fragt sie und deutet eine Schneehöhe von rund 20 Zentimeter an. "Das ist ja um diese Zeit nicht so ungewöhnlich." Ein Wintereinbruch könne die Baustelle um Tage, Wochen oder sogar Monate hinauszögern. Schon der Umsatzeinbruch während der letzten Sperrung sei "brutal" gewesen.

Christine Nick fürchtet um das Weihnachtsgeschäft in und ihrem Dekogeschäft.

Claudia Krönert betreibt eine Weinhandlung an der Poinger Hauptstraße.

Michael und Silvia Hetterich müssen täglich kiloweise Stoffe aus ihrem Laden tragen.

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(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Sabine Kindel beobachtet den Fortschritt der Bauarbeiten vom Wohnzimmerfester.

Ein Großteil ihrer Kundschaft komme mit dem Auto. Das Schild "Anlieger frei" erlaubt diesen zwar rechtlich die Zufahrt. Die Slalomtour durch die herausgefrästen Gullideckel, Baumaschinen und Schutthaufen wagen jedoch nur wenige. An zwei bis drei Tagen, während derer die neue Asphaltdecke aufgetragen wird, ist die Straße dann für alle geschlossen.

Ein paar Häuser weiter hat Claudia Krönert ähnliche Sorgen wie Nick. Sie steht in ihrer kleinen Weinhandlung und verschließt flink verpackte handliche Präsente mit Klebestreifen. Auch sie befürchtet, dass eine Kälteperiode die Baustellenplanung durcheinander wirbeln könne. "Ich habe von den Verantwortlichen keine richtige Antwort bekommen, warum das gerade jetzt sein muss", sagt Krönert.

"Der November ist ein ganz normaler Baumonat", erklärt Evelyn Schwaiger, Sprecherin im Landratsamt. Schnee sei kein Hindernis, der könne beiseite geräumt werden. Lediglich bei durchgefrostetem Boden könne der Baustellenbetrieb nicht weitergehen, erläutert Schwaiger weiter. Der genaue Termin für das Asphaltieren der Deckschicht steht inzwischen fest: am 15. und 16. November bleibt dafür die Hauptstraße voll gesperrt. Das Landratsamt hat dazu Wurfzettel verteilt.

Mit 94 Jahren durch die Baustelle

Wenn es nur bei den zwölf Tagen Sperrung bleibe, dann könne sie damit leben, sagt Krönert. Immerhin seien Kritikpunkte, wie eine aussagekräftige Beschilderung und das Freigeben der Straße für Anlieger, inzwischen umgesetzt worden. Mit Lieferwaren habe sie sich bereits vor Baustellenbeginn ausreichend eingedeckt. Krönerts Nachbarn, Silvia und Michael Hetterich, haben eine Textil-Vertretung und sind ebenfalls froh, keine zweiwöchige Totalsperrung durchstehen zu müssen.

Im Büro der Unternehmer stapeln sich gestreifte, karierte, geblümte, ein- und zweifarbige Stoffmuster. Sieben große Koffer mit Verkaufsmustern schleppt Michael Hetterich täglich auf Terminen hin und her. "Wir wären natürlich blöd da gestanden, wenn man die Zufahrt so lange zu gemacht hätte", sagt er mit Blick auf die über 30 Kilo schweren Gepäckstücke. "Dass man ordentlich mit uns Gewerbetreibenden kommuniziert" ist alles, was sich die beiden wünschen. Das sei anfangs nicht so gelaufen. Nachdem eine Abordnung der Geschäftsleute in der Gemeinderatssitzung vorstellig wurde, habe sich das aber gebessert, man habe nun Infobriefe erhalten.

Zwei Stockwerke über Hetterichs Geschäftsräumen behält Sabine Kindel den Überblick. In einer gemütlichen Neubauwohnung - Ledersofa, hölzerne Standuhr, Hirschgeweih - steht die adrett gekleidete Frau am Fenster. Von ihrem exponierten Standort kann sie die Baustelle gut einsehen. Am ersten Tag habe sich nach ihrer Beobachtung noch nicht viel getan, sagt Kindel, "heute geht's aber richtig zur Sache." Unten rollt gerade eine Kehrmaschine in Lkw-Größe vorbei und beseitigt die Teerbrocken, welche die Fräse übrig gelassen hat.

So wie sich die Sache nun darstelle, sehe es gut aus, sagt die Anwohnerin. "Eine Vollsperrung wäre aber schon problematisch geworden." In der Wohnung lebt noch ihr 94-jähriger Vater. Der könne kaum noch sehen. "Mit ihm kann ich nicht einfach irgendwo weit zum Auto hinlaufen." Mit den lediglich zwei Tagen absoluter Sperrung könne man sich arrangieren. Und auch sie hält sich an das Mantra, das alle Befragten entlang der Hauptstraße wiederholen: "Hauptsache, es wird gemacht."

© SZ vom 15.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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