Poing:"Auswuchs eines kranken Systems"

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Simone Fleischmann (rechts) erklärt beim Poinger SPD-Stammtisch worauf es im Unterricht ankommt. (Foto: Christian Endt)

Lehrerverbands-Präsidentin Simone Fleischmann spricht in Poing über die Probleme an bayerischen Schulen

Von Max Nahrhaft, Poing

Die Schule ist die erste große Herausforderung für Heranwachsende. Klausuren, Stegreifaufgaben und Referate fordern höchste Konzentration und Aufmerksamkeit. Der Anspruch ist hoch, nicht nur an die Schülern, sondern auch an das Bildungswesen und die Institution Schule. Für Simone Fleischmann stehen in erster Linie die drei Schlagworte Integration, Inklusion und Digitalisierung im Fokus der breiten Öffentlichkeit. Fleischmann war viele Jahre Schulleiterin an der Anni-Pickert-Grund- und Mittelschule in Poing und ist nun Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV).

Am Sonntag sprach Fleischmann beim Frühschoppen der Poinger SPD über aktuelle Themen des bayerischen Bildungswesens. Medienerziehung und Medienkompetenz seien sinnvoller als ein konsequentes Ablehnen jeglicher technischer Entwicklungen, so Fleischmann. Nur wenn Schüler den richtigen Umgang mit digitalen Veränderungen erlernten, könnten sie reflektieren, wie mit modernen Medien umzugehen sei. "Dabei muss aber eines stabil bleiben, nämlich die Lehrperson", sagte Fleischmann. "Es ist zwar unerheblich, ob ein Lehrer vorne steht oder hinten sitzt, er darf aber nicht durch Technik ersetzt werden", sagte Fleischmann. Moderne Methoden wie das Einsetzen von Tablet-PCs, Whiteboards oder Online-Recherche ließen sich nur dann in den Unterricht einbinden, wenn der Lehrer diese entsprechend einzusetzen wisse.

Deim Thema Inklusion ist es aus der Sicht des BLLV verkehrt, die Eingliederung von Behinderten komplett abzulehnen und die Gegenposition strikt zu befürworten. Vielmehr soll sowohl die Einzelintegration in den Regelklassen, als auch die Teilhabe in speziellen Zentren gefördert werden. "Die Regelschule muss in Sachen Inklusion genauso gut sein wie die Förderschule - und das ist sie nicht", sagte Fleischmann. Einerseits benötige das Regelsystem mehr Ressourcen für solche Zwecke, andererseits sei in der Ausbildung der Lehrer in diesem Regelsystem ein Umdenken nötig. Diese seien häufig nicht auf die Eingliederung von Behinderten und Benachteiligten vorbereitet. Da die Zahl an inklusionsbedürftigen Schüler stetig zunimmt, sei es an der Zeit, auf diese Entwicklung angebracht zu reagieren. "In unserem Bildungssystem müssen die Schüler einer Klasse zur gleichen Zeit die gleiche Probe mit dem gleichen Bewertungsschlüssel schreiben", so Fleischmann. Das seien sehr vergleichende Verhältnisse, in denen die Inklusion nicht ohne Weiteres möglich sei.

Simone Fleischmann sprach auch über soziale und schulische Eingliederung von Flüchtlingen. Sie betonte vor allem die sprachlichen Ausdrucksweisen und gesellschaftliche Rollenbilder. "Wenn gesellschaftliche Stimmungen in das Klassenzimmer übertragen werden, kann man nicht einfach mit Mathematik weitermachen", sagte Fleischmann. Der Lehrer sollte wissen, wie mit rassistischen Äußerungen umzugehen ist, die Kinder - oft ohne sich darüber bewusst zu sein - wiedergeben, so Fleischmann. Begünstigt werde so eine Situation vor allem von Politikern und Personen des öffentlichen Lebens, die Ängste schüren und fremdenfeindliche Diskussionen befeuern. Deswegen, so Fleischmann, habe sich der BLLV entschieden, selbst politisch aktiv zu werden und das Manifest "Haltung zeigen zu verfassen. Darin warnt der Verband im Namen von "besorgten Lehrerinnen und Lehrern" vor einer "Verrohung des Umgangs miteinander", der sich auf die Kinder und Jugendliche auswirke. Wenn eine Sprache der Geringschätzung, Aggressivität, Diskriminierung und des Hasses zum Alltag wird, dann laufen die Kinder Gefahr, solche Umgangsformen von gesellschaftlichen Vorbildern zu adoptieren. "Die Lösung dafür lautet Bildung", so Fleischmann, "wir müssen die Chance nutzen, weil die Kleinen von heute die Kollegen der Flüchtlinge sein werden." Das sei nicht nur Aufgabe der Zivilgesellschaft, sondern auch der Lehrer.

In der anschließenden Diskussion wurde besonders die Rolle der Eltern im schulischen Betrieb aufgegriffen. Der Leistungsdruck der Gesellschaft löse ein Überengagement der Eltern aus, das Kind meist eher schade als helfe. Eine Mutter erzählte von einem Buben in der dritten Klasse, der wegen einem Dreier von den Eltern mit Fußballverbot bestraft wurde, bis er die Note verbessern konnte. Fleischmann kommentierte das Beispiel als "Auswuchs eines kranken Systems", der "leider keine Ausnahme" sei.

© SZ vom 31.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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