Pilotprojekt mehrerer Institutionen:Zwei Generationen im Takt

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Pilotprojekt mehrerer Institutionen: In Vaterstetten musizieren Alt und Jung nun gemeinsam. Einen Rhythmus gibt es hier nicht nur beim Klatschen, sondern auch im Aufbau der Stunden

Von Johanna Feckl

Patsch-patsch-patsch. Paare von Kinderhänden in Knirpsgröße knallen auf Oberschenkel. Bumm-bumm-bumm. Kleine Füße in wuchtigen Winterstiefeln stampfen mit. Alles im Takt zu einer Akkordeonmusik, die unaufgeregt aus dem Hintergrund tönt. Acht Mädchen sitzen auf blauen Schemeln. Sie bilden einen Kreis. Patsch-patsch. Sie kichern. Bumm-bumm. Von so viel Energie kann so manch einer an einem Montagmorgen nur träumen. Wann geht es denn endlich los?

Worauf die Mädchen, alle zwischen vier und sechs Jahre alt, so ungeduldig warten, findet seit September einmal im Monat unter dem Titel "Rhythmik für Jung und Alt" statt. Dafür haben sich in Vaterstetten Musikschule, Seniorenwohnpark und das Awo-Kinderhaus zusammengetan. Unter der Anleitung von Erika Mzyk treffen acht Kindergartenkinder in den Räumlichkeiten des Seniorenwohnparks auf acht Bewohner. Nicht einfach nur so, sondern um gemeinsam zu musizieren.

Einmal im Monat kommen die Kleinen vom Awo-Kinderhaus zum Musizieren in den Seniorenwohnpark. (Foto: Christian Endt)

Nach und nach treten die Senioren ein. Acht werden es am Ende sein, zwei Männer und sechs Frauen. Manche von ihnen kommen in Rollstühlen, andere stellen ihre Gehwägelchen an einer Wand ab, die übrigen laufen ohne Hilfe. Als alle Teilnehmer ihren Platz gefunden haben, wendet sich Erika Mzyk der Frau mit schneeweißen Haaren zu ihrer linken Seite zu. Mzyk stellt sich vor sie, lächelt und streckt ihr die rechte Hand entgegen. "Guten Morgen! Wie geht es Ihnen heute?" Das wiederholt die Musikpädogin noch weitere 15 Mal, bis sie jeden Teilnehmer, jung und alt, einzeln begrüßt hat.

Erika Mzyk unterrichtet seit vielen Jahren an der Vaterstettener Musikschule, meistens Kinder. Im Jahr 2014 begann sie eine Ausbildung im Bereich Musikgeragogik. Geragogik ist ein Gebiet der Pädagogik und setzt sich mit der Bildung für ältere Menschen auseinander - die Silbe "gera-" ist vom altgriechischen "ho géron" abgeleitet, was im Deutschen "der Greis" bedeutet. Bei Musikgeragogik geht es also darum, wie man Senioren musikalisch bilden oder wie man mit Musik die Förderung gebliebener Fähigkeiten unterstützen kann.

Die Teilnehmer sind bei der Rhythmik für Jung und Alt mit Feuereifer und viel Freude bei der Sache. (Foto: Christian Endt)

"Guten Morgen, guten Morgen! Jetzt geht's los, jetzt geht's los! Lasst uns musizieren, lasst uns musizieren - Klein und Groß!" Erika Mzyk schnappt sich ihre Ukulele, lässt ihre Finger in geübter Manier über die vier Saiten gleiten und stimmt das erste Lied an. Die Mädchen singen eifrig mit. Dass an diesem Morgen kein Bub auf einem der Schemel sitzt, ist Zufall. Im Awo-Kinderhaus gibt es eine Gruppe von etwa 15 Jungen und Mädchen, die abwechselnd an der Musikstunde teilnehmen. Die Senioren sind zurückhaltender als die Kinder: Hier singen nur wenige mit. Manche lassen ihre Blicke interessiert auf Mzyk ruhen oder in der Runde umherschweifen. Und einige haben ihre Köpfe leicht gesenkt, die Augen scheinen einen unsichtbaren Punkt in der Luft festhalten zu wollen.

Seit dem Jahr 2015 ist das Projekt in Planung. Das erzählt der Geschäftsführer der Vaterstettener Musikschule Bernd Kölmel. Bislang habe es in unregelmäßigen Abständen Treffen gegeben, eine Testphase sozusagen. "Wir mussten erst einmal Erfahrungen sammeln." Seit September 2018 findet die Musikstunde nun monatlich statt. "Das alles hier setzt Gefühle bei den Senioren frei", sagt Kölmel und blickt zu der Gruppe. Genau darauf komme es an.

Erika Mzyk verteilt Instrumente: Triangeln, Klanghölzer und die Metallstäbe eines Glockenspiels. Dann soll sich jedes Mädchen einen erwachsenen Partner suchen. Zielstrebig steuern die Kinder auf die Senioren zu. Nur bei zwei Frauen, die bislang eher unbeteiligt wirkten, zeigen sich die Mädchen verunsichert, trauen sich nicht so richtig heran. Da hilft Cornelia Schwarzbauer, die stellvertretende Leiterin des Awo-Kinderhauses: Sie stellt sich hinter eines der Mädchen, legt ihre Hände auf dessen Schultern und schiebt das Kind vorsichtig ein paar Schritte nach vorne, bis es einen guten halben Meter vor einer der Frauen steht. Als das blonde Mädchen der Seniorin die Triangel entgegenstreckt, hebt diese den Kopf und beginnt, mit einem Stab auf dem Instrument herumzuklimpern. Das Mädchen lächelt.

Den Takt gibt Erika Mzyk an. (Foto: Christian Endt)

Carmen Kieltsch leitet die Soziale Betreuung im Seniorenwohnpark. Sie erzählt von Gesprächen mit den Bewohnern. Auf die Frage, was die Senioren am meisten vermissen würden, höre sie überwiegend dieselbe Antwort: Familie. Bei einigen wohnen die Angehörigen weit weg, Besuche seien nicht sehr oft möglich. Freilich könne die Familie durch nichts ersetzt werden. "Aber wir können versuchen, durch Angebote wie dieses Musikprojekt Begegnungsräume zu öffnen", erklärt Kieltsch.

Als nächstes reicht Erika Mzyk weiße Handschuhe durch die Runde, bis jeder ein Paar hat. Manche der Senioren haben Schwierigkeiten, in die Handschuhe zu schlüpfen, aber mit ein wenig Unterstützung der Organisatoren klappt auch das. Wieder steht jedes der Mädchen vor einem erwachsenen Partner. Es folgt ein Klatsch-Lied: Einmal in die eigenen Hände klatschen, dann in die Hände des Gegenübers. Es scheint, als ob die Handschuhe hier mehr tun als nur witzig auszusehen: Sie nehmen die Hemmung, einen fremden Menschen einfach so zu berühren. Durch das bisschen weiße Stoff an den Händen wirkt das auf einmal ganz einfach.

Das Budget für das Projekt reicht aktuell für ein Jahr aus. Für die Bewohner entstehen keine Kosten. (Foto: Christian Endt)

Das Budget für das Projekt reicht aktuell für ein Jahr aus. 2000 Euro sind laut Musikschulchef Kölmel dafür notwendig gewesen. Für die Bewohner entstehen keine Kosten, das ist Kölmel besonders wichtig. "Wir wollen niemanden zusätzlich belasten." Deshalb seien sie auf Spender angewiesen. Kathrin Patzelt ist eine von ihnen. Sie arbeitet für die Musikschule, ihre Mutter litt an Parkinson. "Ich hätte mir für sie gewünscht, dass es ein solches Projekt gegeben hätte." Deshalb entschloss sie sich zu einer Spende. Ebenso wie das Vaterstettener Ehepaar Wörz, das seit zehn Jahren mit seiner Stiftung soziale Institutionen unterstützt. Kölmel hofft, dass sich auch in Zukunft Spender finden und das Projekt wachsen kann. Damit auch bald in anderen Seniorenwohnheimen zwei Generationen zusammen musizieren.

50 Minuten sind vergangen, seit Erika Mzyk ihre Begrüßungsrunde gedreht hat. Nun geht sie wieder reihum und schüttelt Hände. Zur Verabschiedung. In ihren Stunden geht es nicht nur um den Rhythmus der Musik, sondern auch um einen Rhythmus im Ablauf, um wiederkehrende Elemente. Denn das bietet vor allem Senioren mit Demenz Stabilität und Sicherheit.

© SZ vom 30.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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