Pikante Ausstellung:Provokation per Porno

Lesezeit: 3 min

"Girls unaware" kondensiert Userprofile zu expliziten, surrealen Bildern wie diesem. Dass diese Kunst aneckt, ist vom Ausstellungsmacher gewollt. (Foto: Veranstalter)

Der Wasserburger Kunstverein AK 68 zeigt die sexualisierten Porträts eines Digitalkünstlers

Von Anja Blum

Wie kann zeitgenössische Kunst relevant sein? Die Menschen mehr anrühren, als Ästhetik allein es vermag? Oder, anders formuliert: Wie sieht sinnvolle Provokation aus? Über diese Frage werde beim Wasserburger Kunstverein schon lange debattiert, erzählt dessen Vorsitzender Dominic Hausmann. "Aber so aktionistische Dinge wie sich weiß anmalen und dann nackt auf der Straße Trompete spielen - das ist es für mich nicht." Nun jedoch ist der 35-Jährige auf ein Thema gestoßen, das es wert sei, auch als Kunstverein daran anzuknüpfen: Sex. "Darüber wird doch gerade überall groß debattiert, sei es wegen der Me-too-Bewegung, Genderwahn oder Onlinemobbing", sagt er. Deswegen ist im Ganserhaus, der Galerie des AK 68, nun eine Ausstellung zu sehen, die ganz sicher provoziert: Gezeigt wird "Contemporary art from the future of porn".

Dahinter steckt ein Künstler, der im Internet unter dem Namen Girls unawares firmiert. Sein richtiger Name ist Can Sezer, laut Hausmann hat der 41-jährige 3D-Ingenieur aus Bremen bereits in Miami und New York ausgestellt. Kennenlernen könne man ihn am Osterwochenende, erst dann werde Sezer persönlich bei seiner Ausstellung in Wasserburg zu Gast sein.

Die Spielwiese von Girls unawares ist die Onlineplattform Tumblr, deren Profile sind sein Rohmaterial: Er analysiert, was die Menschen dort über sich veröffentlichen, und baut daraus dann "Porträts", wobei dieses Wort hier doch fehl am Platz scheint: Sezer schafft pornografische 3D-Collagen, er reduziert die Menschen, denen er sich widmet, auf Genitalien und andere Geschlechtsmerkmale. Seine mit dem PC kreierten Bilder zeigen nackte Brüste, Münder, Hintern, Penisse, Vaginen - zwar in surrealen Szenerien, aber deutlich erkennbar. Die Optik ist stets werbemäßig steril, Neonfarben erinnern an den Look der 80er. Nur drei Beispiele: Da schwimmt ein kleiner Hai im blutigen Wasser zwischen den Beinen einer Frau, da quillt Zahnpasta aus einem After, ein straffer Phallus trägt ein weißes Priestergewand, das Bild lässt an die Christusstatue von Rio de Janeiro denken.

Für den Ausstellungsmacher Hausmann allerdings geht es hier nicht um Pornografie - sondern um Verunsicherung. Auch er selbst sei bei der ersten Begegnung mit den Werken Sezers vor allem verwirrt gewesen. "Ich wusste das nicht sofort einzuordnen, das war seltsam", erzählt er. "Fest stand nur, dass mir diese Motive persönlich irgendwie sehr nahe gingen." Mittlerweile aber habe er sich an den Anblick gewöhnt: "Jetzt entdecke ich darin viele Ebenen. Das sind einfach Bilder, bei denen man zwei Mal hinsehen muss", so Hausmann.

Und es stimmt: Nach dem ersten Befremden werfen Sezers Kreationen beim Betrachter allerhand Fragen auf. Handelt es sich bei diesen Bildern tatsächlich um mehr als die pervertierten Ideen eines so schamlosen wie berechnenden Tabubrechers? Haben sie wirklich einen Bezug zu echten Profilen, sprich, zu Menschen? Und wenn ja: Was sind das für Persönlichkeiten, die online derartig Intimes von sich preis geben? Oder münzt der Digitalkünstler eigentlich so harmlose Dinge wie ein Faible für Zahnpflege in sexualisierte Darstellungen um? Grundlage seiner Kunst sind laut Sezer der Stil, die Likes und Selfies anderer User, persönliche Gespräche oder Nacktbilder seien für seine Porträts nicht notwendig. Angeblich wird Girls unawares mittlerweile von Anfragen überhäuft, etliche User wünschten sich ein persönliches Pornoporträt von ihm.

Dann erzählt Hausmann von der Intention Sezers: Um die Selbstvermarktung der Menschen gehe es da, die vor allem online mittlerweile viele Grenzen überschreite, und um den eigenen Körper, der als Mittel zum Zweck ausgeschlachtet werde. "Die Leute zeigen auf ihren Profilen extrem viel, darunter auch Zensurreifes", sagt Hausmann. Die Standards der überall präsenten Pornografie hätten eben Einzug gehalten in die private Selbstdarstellung - doch diese Offenheit sei oftmals nur geheuchelt, und obendrein ja auch extrem gefährlich. Sezer will seine 3D-Bilder als gesellschaftlichen Kommentar zu dem Ökosystem, aus dem sie hervorgegangen sind, verstanden wissen. In Form eines offenen Briefes schreibt er: "Lieber menschlicher Körper! Du bist unser immerzu formbarer Lehm! Wir füttern oder verschlanken dich, wir dehnen oder schrumpfen dich, fügen Dinge hinzu und entfernen andere, wir passen sogar dein Geschlecht an unsere Bedürfnisse an! Du bist unsere von den Medien geformte, auf das Sexuelle reduzierte und fetischisierte Wahrnehmung unserer Selbst!"

Ja, Dominic Hausmann weiß, dass er da eine Ausstellung konzipiert hat, die anecken wird. Bereits jetzt hat der 35-Jährige diametrale Reaktionen auf die Plakate und Flyer geerntet: "Die einen sind positiv neugierig, die anderen total entsetzt." Doch dem Chef des AK 68 scheint das nichts auszumachen. "Ich bin jedenfalls schon sehr gespannt auf den Diskurs", sagt er und lacht. Die gewünschte Provokation - sie ist ihm gewiss.

AK 68 Wasserburg, Ganserhaus: Ausstellung "Girls anawares - Contemporary art from the future of porn", Vernissage am Samstag, 13. April, um 18 Uhr, zu sehen bis 12. Mai, geöffnet donnerstags bis sonntags, jeweils 13 bis 18 Uhr

© SZ vom 11.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: