Personalie aus Ebersberg:Der große Sprung

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Klimaschutzmanagerin Lisa Rütgers ist überzeugt: Um die Klimaschutzziele zu erreichen, muss ihr Fachbereich am Landratsamt deutlich aufgestockt werden. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Seit August ist Lisa Rütgers die neue Klimaschutzmanagerin des Landkreises Ebersberg. Ihre Aufgaben sind nicht gerade klein, bald steht der Bürgerentscheid zur Windkraft an

Von Wieland Bögel

Klimaschutz und Energiewende voranzubringen ist nicht nur ein Haufen Arbeit, sondern ein ganzer Berg. Da kann es nur helfen, wenn man zu großen Höhen ein gutes Verhältnis hat. So wie Lisa Rütgers, seit zwei Monaten Klimaschutzmanagerin des Landkreises Ebersberg. Im August hat sie die Aufgabe von Hans Gröbmayr übernommen, der das Amt neun Jahre lang ausgeübt hat und zwar so, dass auch die Ansprüche an einen Ebersberger Klimaschutzmanager mindestens berghoch sind. Gut, dass seine Nachfolgerin bereits aus Flugzeugen gesprungen ist, und das ganz unmetaphorisch.

Denn die 1986 in Münster geborene und in Weinheim bei Heidelberg aufgewachsene Rütgers war gut ein Jahr lang Mitglied der Sportfördergruppe Fallschirmspringen der Bundeswehr und sogar in der Nationalmannschaft. Seit einem Tandemsprung zum 16. Geburtstag sei sie von dem Sport fasziniert gewesen, sagt Rütgers, nach ihrem Abi habe sie daher zuerst einen Job gesucht, um die für die Fallschirmlizenz nötigen Kurse zu bezahlen. Vor dem Eintritt in die Nationalmannschaft machte sie in Worms Bachelor im Fach International Management und arbeitete später im Vertrieb eines Unternehmens. Als Profisportlerin standen dann nicht nur die optisch eindrucksvollen Formationsflüge auf dem Programm, die auch Nicht-Fallschirmspringer gut kennen, Teil der Wettbewerbe war auch das Zielspringen, also das Landen auf einem nur wenige Quadratzentimeter großen Punkt.

Zielstrebigkeit kann man der neuen Ebersberger Klimaschutzmanagerin aber auch ganz grundsätzlich attestieren. Nach dem Ende ihrer Zeit in der Fallschirm-Nationalmannschaft schrieb sich die damals 26-Jährige bei der Uni in Tel Aviv ein, im Fach "Public Policy and Conflict Resolution" für einen Masterstudiengang. "Ich wollte etwas 'Weltverbesserndes' machen", sagt Rütgers, eigentlich hätte sie sich damals schon gerne speziell auf den Bereich Nachhaltigkeit spezialisiert, leider habe es die entsprechenden Studiengänge nicht gegeben.

Mit Nachhaltigkeit, Ressourcen- und Umweltschutz hat sie sich dann aber bald nach dem Studium beschäftigt, als Mitarbeiterin eines "Social Enterprise", also einer Firma, die Entwicklungshilfe mit einem funktionierenden Wirtschaftsmodell verbindet. Rütgers Projekt kümmerte sich um holzsparende Öfen für Uganda. Denn dort ist der Waldverlust durch die Brennholzgewinnung ein großes Problem, genau wie Krankheiten, die von qualmenden Holzfeuern ausgelöst werden. Trotzdem "war es nicht einfach, die Leute zu überzeugen, sich neue Öfen zu kaufen", sagt Rütgers. Die Öfen, die aber verkauft wurden, seien dann auch genutzt worden. Das sei der Unterschied etwa zu Hilfsorganisationen. Eine solche hätte wohl nur geschaut, wie viele Öfen verteilt werden, wer aber dafür Geld ausgibt, hat sich auch überlegt, dass die Anschaffung sinnvoll ist.

Auf das Gebiet des Klimaschutzes führten Rütgers ihre nächsten beiden Jobs, zunächst bei einer britischen Firma, die sich auf das Thema nachhaltiges Reisen und Mobilität spezialisiert hat. Kunden waren vor allem Unternehmen, die sich dadurch auch Einsparungen versprechen. Etwa wenn die Mitarbeiter weniger fliegen oder wenn weniger Parkplätze gebaut werden müssen, weil mehr Leute mit dem Fahrrad oder dem öffentlichen Nahverkehr in die Arbeit kommen. Gegen die Verschwendung fossiler Ressourcen setzte sich auch ein Startup ein, bei dem Rütgers von 2016 an gearbeitet hat, als eine der ersten Mitarbeiterinnen dort überhaupt. Die Idee der jungen Firma war eine bessere Regelung in Gasleitungen. Ist der Druck zu hoch, was bei Temperaturschwankungen passieren kann, entweicht viel Gas ungenutzt.

Die bessere Nutzung von Nahrungsmitteln war dann das Thema, das Rütgers ihren Doktortitel einbrachte. Ende 2016 bekam sie ein Angebot für einen Promotionsstudiengang samt Stipendium an der Universität Coventry. Titel der Doktorarbeit: "Wie nachhaltiger Konsum die Welt retten kann". Gemeint ist vor allem der Konsum von Lebensmitteln, sagt Rütgers, schließlich würde ein Drittel der produzierten Nahrung nie auf irgendeinem Teller landen, sondern auf dem Weg dahin verloren gehen. Deutlicher ausgedrückt: "30 Prozent aller landwirtschaftlichen Flächen werden nur zur Produktion von Müll genutzt." Inklusive aller Ressourcen, die für die Bewirtschaftung nötig sind, plus dem Verlust an Natur durch die Umwandlung in Agrarflächen, um eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Rütgers hat untersucht, wie sich etwa die Verschwendung im Handel verringern lassen könnte und die Waren besser an die Kundschaft gebracht werden, anstatt sie wegzuwerfen. Rütgers Fazit könnte auch gut das Motto für eine funktionierende Energiewende sein: "Wichtig ist, dass es dem Kunden möglichst einfach gemacht wird, und dass es erschwinglich ist."

Zumindest für Rütgers dürfte ihr neuer Job als Klimaschutzmanagerin des Landkreises nicht einfach werden, als ihre beiden größten Vorhaben nennt sie das Pilotprojekt Wasserstoffregion - die Landkreise Ebersberg, Landshut und München wollen eine entsprechende Infrastruktur, basierend auf erneuerbarer Energie aufbauen - und die Vorbereitung des Bürgerentscheids Windenergie. Besonders letzteres könnte darüber entscheiden, ob die Energiewende im Landkreis eine Chance hat. Seit 2011 versucht die Firma Green City Energy im Ebersberger Forst Windräder zu errichten, was bei manchen Bewohnern umliegender Ortschaften nicht gerade auf Begeisterung stößt. Landrat Robert Niedergesäß (CSU) möchte das Projekt nun vom Votum der Bürger abhängig machen, am kommenden Donnerstag berät der Umweltausschuss des Kreistages über einen möglichen Termin für den Bürgerentscheid - den Rütgers Vorgänger im Amt übrigens nie wollte und woraus Hans Gröbmayr auch keinen Hehl gemacht hat. In einem Interview mit der Ebersberger SZ zu seinem Ruhestand als Klimaschutzmanager zeigte er sich dennoch optimistisch, dass die Mehrheit der Landkreisbürger für den Windpark im Forst stimmt. Diese Mehrheit zu überzeugen, nicht nur von der Windkraft, sondern auch davon, zur Wahl zu gehen, ist nun die Aufgabe von Rütgers. Und dass das ein Berg Arbeit wird, dürfte schon sicher sein.

Das Fallschirmspringen hat Rütgers übrigens vor einiger Zeit aufgegeben, "wegen der Ökobilanz hatte ich immer ein schlechtes Gewissen". Ihr Vergnügen an der Höhe ist indes geblieben, inzwischen ist sie aufs Klettern umgestiegen - was nicht nur gut an ihren neuen Wirkungsort quasi im Schatten der Alpen passt, sondern sicher auch eine gute Vorbereitung ist, für den anderen Berg, den eine Klimaschutzmanagerin zu bewältigen hat.

© SZ vom 02.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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