Päckchenflut in Ebersberg:Atemlos durch den Advent

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Für Paketzusteller ist jetzt die stressigste Zeit im Jahr. Rita Reith ist eine von ihnen - nach 21 Jahren in ihrem Beruf begegnet sie der Hektik aber immer noch mit einem Lächeln.

Von Johanna Feckl

Es ist kalt. Minustemperaturen. Rita Reith steht trotzdem draußen, vor der Hecköffnung eines Sprinters. Neben ihr warten zwei große Pakete, die im Inneren noch irgendwo Platz finden müssen. Reith schichtet um, hält inne, schüttelt den Kopf. "Was mache ich denn nur mit den beiden großen?" Ein Kollege stellt sich neben die 57-Jährige und blickt in den Laderaum. Er zieht seine Augenbrauen hoch und schnaubt hörbar. "Da geht nichts mehr rein!" "Da muss aber noch was rein!" Zusammen mit ihrem Kollegen schichtet Reith wieder um. Wobei: nicht schichten. Eher ein zentimeterweises Verschieben einiger kleinerer Päckchen. Aber es wirkt: Immerhin eines der großen Pakete passt dann doch noch hinein.

Wer noch nicht mitbekommen hat, dass Weihnachten vor der Türe steht, braucht nur einen Blick auf die Pakettürme zu werfen, die sich vor dem Zustellstützpunkt der Deutsche Post DHL Group an der Ebersberger Eichthalstraße beinahe meterhoch stapeln: Die meisten Päckchen werden schon bald unter einem Christbaum liegen, nur etwas anders verpackt.

Aber noch schieben die Mitarbeiter der Post die zukünftigen Weihnachtsgeschenke auf Rollwagen vor ihre Sprinter, wo dann das Tetrisspielen beginnt. Tetris, das ist dieser Computerspiel-Klassiker, bei dem herabfallende Quader so verschoben und gedreht werden müssen, dass eine möglichst lückenlose Horizontale entsteht. Eine der Tetrisspielerinnen heißt Rita Reith. Seit 21 Jahren ist sie Zustellerin in Ebersberg.

Sie lässt sich vom Weihnachtstrubel nicht mehr aus der Ruhe bringen: "Wir sind eine lustige Truppe", sagt Paketzustellerin Rita Reith. (Foto: Christian Endt)

"Die meisten können sich nicht viel unter unseren Jobs vorstellen", sagt Reith. Dabei scheint es auf der Hand zu liegen: Sendungen sortieren. Sendungen einladen. Sendungen ausliefern. Im Grunde ist das auch so. Aber das, was in der Theorie so simpel klingt, ist in der Praxis eine enorm anstrengende Arbeit.

Eigentlich hat Reith den Beruf der Bäckereifachverkäuferin gelernt. Als ihre drei Kinder noch klein waren, war sie auf der Suche nach einem Nebenjob - die Arbeitszeiten als Zustellerin passten gut zu den Betreuungszeiten ihrer Kinder. Je älter diese wurden, desto mehr arbeitete sie dann bei der Post - im Gegensatz zu den meisten, die hierher kommen, weil sie einen Nebenverdienst suchen. "Bei uns fangen viele Studenten an", erzählt Reith. Und fast ebenso viele hören schon nach kurzer Zeit wieder auf, "weil ihnen der Job einfach zu stressig ist."

Es ist neun Uhr, als Reith die letzten Pakete in ihrem Sprinter verstaut. Ihre Schicht dauert schon drei Stunden. Die ersten bepackten Autos verlassen bereits den Hof. Insgesamt gibt es in Ebersberg einen DHL-Kleinlaster, neun große Sprinter und zwei kleine wie jenen, den Reith im Moment belädt. Jedes Fahrzeug ist für einen Bezirk zuständig. Mit den Sprintern liefern die Zusteller sowohl Pakete als auch Briefe. In zwei Bezirken fahren die Mitarbeiter die Post nur per Rad aus.

Zunächst müssen die Zusteller alle Briefe und Pakete nach Straßen und Hausnummern sortieren. (Foto: Christian Endt)

Es piept. Das Geräusch kommt von dem schmalen Gerät, mit dem Reith jedes der Pakete einscannen muss, bevor es seinen Weg in das Auto findet. Wenn alle Päckchen erfasst sind, kann die 57-Jährige dann auf einer Liste sehen, welches Haus an diesem Tag ein Paket bekommen soll. Aber Reith ist so routiniert, dass sie diese Hilfe kaum benötigt. Sie merkt sich die Hausnummern bereits beim Beladen, es wirkt wie ein Automatismus.

Den Sprinter muss Reith vorausschauend packen: Was als erstes raus muss, kommt als letztes hinein. Bei einer solchen Masse an Päckchen in unterschiedlichen Größen und Formen ist das leichter gesagt als getan. Reith erinnert sich an Schichten, als sie das kleine Auto dreimal nachbeladen musste, bis alle Sendungen ausgeliefert waren. Bei den größeren Sprintern gelingt in aller Regel alles in einer Fuhre. Aber die Weihnachtszeit ist nicht die Regel. "Vor den Feiertagen müssen wir selbst mit dem großen Auto oft zweimal rausfahren", sagt Reith. Auch, weil die Pakete immer größer werden, ergänzt sie.

Und nicht nur das: Sie werden schwerer. Zusteller müssen Sendungen mit einem Gewicht bis zu 31,5 Kilogramm ausliefern. Egal, in welches Stockwerk. Davon kann Reith ein Lied singen: "Immer öfter bestellen sich Leute riesige Mengen Katzenstreu, die wir dann in den zweiten oder dritten Stock hochwuchten müssen. Und dann steht da ein junges Pärchen, das unverfroren zugibt, sie hätten das nur bestellt, damit sie selber nichts schleppen müssen." So etwas ärgert Reith.

Beim Verladen in die Transporter ist Maßarbeit gefragt, schließlich soll möglichst viel reinpassen. (Foto: Christian Endt)

Aber das sei ja Gott sei Dank nicht der Normalfall, sagt die 57-Jährige und lacht laut auf. Mittlerweile sitzt sie in ihrem Sprinter hinter dem Steuer auf dem Weg in die Ebersberger Semptstraße. Reith mag ihren Job. "Ich habe viel Kontakt zu den Leuten, das gefällt mir." Genauso wie die Selbstständigkeit: Sie alleine entscheidet, wie das Auto beladen wird, wohin sie als erstes fährt, wo sie ihre Route beendet, und wann sie Pause macht. Zu den schwierigen Konditionen, zu denen viele Zusteller arbeiten müssen, äußert sie sich nicht. Reith hält ihren Wagen an, steigt aus in die Kälte, greift sich Briefe und Pakete und stapft in Richtung Hausnummer 14a.

Etwa 7000 Haushalte liegen in ihrem heutigen Bezirk. Wie viele Sendungen sie zustellen wird, kann sie nicht schätzen. An diesem Tag sind es aber so viele, dass sie es vielleicht nicht schaffen wird, alle auszuliefern. Manchmal passiert so etwas vor Weihnachten: Es ist einfach zu viel, das bis zum Schichtende um 15.30 Uhr zugestellt werden soll. "Allerspätestens um 17 Uhr müssen wir eigentlich raus sein aus dem Postamt", sagt Reith. Bisher ist es ihr in dieser Saison gelungen, alle Lieferungen am selben Tag zuzustellen.

Wie viele Pakete zur Weihnachtszeit die Deutsche Post DHL im Landkreis Ebersberg ausliefert, verrät auch Pressesprecher Erwin Nier nicht. "Aus Konkurrenzgründen", sagt er. Offiziell gibt es nur bundesweite Zahlen. An einem Durchschnittstag liefern die etwa 83 000 Zusteller in Deutschland 4,8 Millionen Pakete. Vor den Weihnachtsfeiertagen 2017 wurde an Spitzentagen zum ersten Mal die Zehn-Millionen-Marke geknackt. Gut möglich, dass es in diesem Jahr am letzten Samstag vor Weihnachten elf Millionen Päckchen werden, mutmaßt Nier. 10 000 zusätzliche Mitarbeiter stellt das Unternehmen während der stressigsten Zeit im Jahr ein, um all dieser Pakete Herr zu werden.

Bevor sich Reith an diesem Morgen an das Beladen ihres Sprinter macht, sortiert sie im Inneren des Zustellstützpunkts die Post für ihren Bezirk vor. Erst nach Straßen, dann nach Hausnummern. Vieles davon wird aber schon maschinell erledigt, bevor die Post in Ebersberg überhaupt ankommt. Reith steht vor den Postfächern ihrer heutigen Route. Dort ist es wohlig warm. Um sie herum herrscht Gewusel, Kollegen tragen Briefe, Zeitungen und Wurfsendungen von A nach B - es wirkt beinahe wie in einer Weihnachtswerkstatt. "Ach, wir sind hier eine lustige Truppe", sagt Reith. Sie hält kurz inne. Ihr Blick wird ernst. "Sonst würden wir den ganzen Stress, vor allem vor Weihnachten, gar nicht packen!" Die 57-Jährige lacht ihr herzliches Lachen. Dann widmet sie sich wieder dem Sortieren von Briefen.

© SZ vom 22.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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