Ortsgeschichte:Doch nicht ganz so römisch

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Archäologen haben jetzt die Poinger Ausgrabungen aus den ersten drei Jahrhunderten nach Christi Geburt ausgewertet. Dabei haben sich neue Erkenntnisse über die damalige Bevölkerung ergeben

Von Barbara Mooser, Poing

Wer an römische Behausungen denkt, hat oft Bilder von Luxus und Fortschritt vor dem inneren Auge: stolze Steinbauten, abgeschirmte Innenhöfe, kunstvolle Mosaiken, vielleicht sogar beheizbare Räume und Badeanlagen. In vielen Fällen führt diese Vorstellung von einer "villa rustica" allerdings in die Irre. Denn oft waren diese Gutshöfe nur einfache, bescheidene Holzbauten, in denen die Menschen alles andere als ein Leben in Reichtum und Überfluss führten. Auch die Menschen, die sich in der Römerzeit in der Schotterebene bei Poing ansiedelten, gehörten zu letzterer Kategorie. Von römischem Prunk keine Spur - und zumindest der erste Teil der Besiedlung hatte wohl auch sonst nichts mit den Römern zu tun, wie die Forscher jetzt herausgefunden haben. Spannenden Stoff bieten die 2004 ausgegrabenen Siedlungsreste dennoch für die Wissenschaftler. Sie sind immer noch dabei, aus den vielen Puzzleteilen zu rekonstruieren, wie das Leben in Poing vor fast 2000 Jahren ausgesehen hat.

Zwar haben die Ausgrabungen in Poing bei weitem nicht so üppige Mengen an Keramikstücken, Metallresten, Tierknochen oder auch Münzen ans Tageslicht gebracht wie dies bei anderen Grabungen oft der Fall ist, erläutert Bernd Steidl, stellvertretender Leiter der Archäologischen Staatssammlung. Er hat sich umfassend mit den Funden von Poing befasst und kürzlich auch bei einem Vortrag die vielen interessierten Gemeindebürger wieder auf den neuesten Stand gebracht.

Doch auch aus Funden, die der Laie nicht einmal als solche erkennen würde, gibt es viele Rückschlüsse zu ziehen. Da sind zum Beispiel braune Streifen in der Erde, die die Archäologen als Pfostengruben identifiziert haben. Hier wurden schwere Eichenbohlen im Boden versenkt, die einmal die Wände der Holzhäuser gebildet haben. Besonders massive Bohlen bildeten die Tore. In zwei der Pfostengruben haben die Archäologen Hunde gefunden, die unter den Pfosten begraben wurden - sie sollten wohl so etwas wie Torwächter sein, mutmaßt Steidl.

Aufschlussreich ist auch das, was in Poing aus der Besiedlungszeit in den ersten beiden Jahrhunderten nach Christi Geburt nicht gefunden wurde, nämlich beispielsweise Ziegelreste. Solche würden anfallen, wenn ein Fachwerkgebäude abbrennt - dann nämlich würde der Lehm in den Wänden in der Hitze gebrannt. Doch in Poing "kein Krümel", wie Steidl erzählt, die Menschen hier lebten also in massiven Holzbauten. Denn auch Steine, die als Baumaterial verwendet worden sein könnten, fanden die Archäologen nicht.

Auch sonst hatte das Leben in Poing in den frühen Besiedlungsphasen im ersten und zweiten Jahrhundert nach Christi Geburt keinerlei Ähnlichkeit mit dem in römischen Städten. Gargruben lassen darauf schließen, dass bei Festmählern gern ganze Tiere in der Glut gegart wurden. Im Alltag gab es aber eher Einkorn, Emmer, Dinkel und Hafer, meist in Breiform. Dieser Speiseplan unterschied die Poinger der Römerzeit ganz entschieden von den Menschen in anderen Teilen Europas. Im heutigen Italien etwa war Weizen das Hauptgetreide, das man auch eher zu Brot als zu Brei verarbeitete. In Gallien wurde vor allem Dinkel verarbeitet. In Poing habe man allerdings auch Reste von Gerste gefunden, erzählt Steidl. Diese wurde - wie heute - gern zu flüssiger Nahrung, nämlich Bier, verarbeitet. "Sehr unrömisch" sei das, so der Archäologe. Die frühen Bewohner Poings waren offenbar noch stark in der keltischen Tradition verhaftet. Sein Schluss: Zumindest bei den Relikten aus den ersten beiden Jahrhunderten nach Christi Geburt handelt es sich zwar um Funde aus der Zeit der Römer in Bayern - aber nicht von Römern, sondern von einer einheimischen Bevölkerung.

Doch im dritten Jahrhundert muss ein gravierender Einschnitt gefolgt sein. Fast 100 Jahre lang verfielen die bestehenden Höfe und waren unbewohnt, über die Gründe lässt sich nur mutmaßen. Es handle sich um die Zeit der großen Germaneneinfälle und innenpolitischen Querelen, erläutert Steidl: "Da blieb kein Stein auf dem anderen, auch kein Holzhaus." Die Provinz Rätien sei weitgehend verwüstet, Menschen seien vertrieben und erschlagen worden. Erst als um das Jahr 280 Diokletian Kaiser wurde, endete diese Phase des Chaos. Rätien wurde laut Steidl als Musterprovinz ausersehen, Parzellen wurden an Kolonisten verteilt, die Besiedlung wurde flächendeckend vorangetrieben. Im Zuge dessen könnte nach Einschätzung des Fachmanns auch die Gegend bei Poing erneut besiedelt worden sein - vermutlich handelte es sich diesmal tatsächlich um eine gezielte römische Ansiedlung von Menschen aus dem Donauraum in der Schotterebene. Die neuen Bewohner brachten auch eine neue Kultur und neue Techniken mit. Auch Münzen wurden aus dieser Zeit gefunden und gut erhaltene Töpferöfen. Diese wurden erhalten - Relikte von Alt-Poingern mitten in den Wohngebieten der Neu-Poinger.

© SZ vom 19.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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