Neue Ausstellung:Ungeheuerliche Freiheit

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Im Museum Franz Xaver Stahl in Erding werden unter dem Titel "Lebe, Wesen" Tierdarstellungendes verstorbenen Baldhamer Malers Martin Ritter gezeigt

Von Rita Baedeker, Erding/Vaterstetten

In einer reduzierten und erzählenden Formensprache stellt Martin Ritter Ästhetik und Symbolkraft des Tierkörpers in den Mittelpunkt. (Foto: Renate Schmidt)

Ein solches Ungeheuer hat die Welt noch nicht gesehen: Über einem mit Steinfliesen gepflasterten, sonnigen Platz irgendwo am Meer schwebt ein monströser Fisch: riesige Augen, stachelige Rückenflosse, Reißzähne und eine gierig aus dem Fischmaul gereckte Zunge. Der silbrige Leib verdunkelt den Himmel, man sieht in der Ferne blaue Berge, im Vordergrund erhebt sich ein Turm - er ähnelt dem von Pharos bei Alexandria - eine antike Galeere segelt vorbei. Am Ufer kämpfen ein Held mit Gladiatorenschild und ein Satyr gemeinsam gegen das Monster. Der eine mit Lanze und Schild, der andere mit Pfeil und Bogen, vermutlich aussichtslos. Das Untier, es ist in der Welt - Martin Ritter gab ihm Namen und Gestalt.

Der 1905 in Glauchau bei Dresden geborene Maler lebte von 1963 bis zu seinem Tod 2001 in Vaterstetten. Seither pflegt der Verein "Notturno" sein Andenken und organisiert von Zeit zu Zeit Ausstellungen aus dem umfangreichen Nachlass des Künstlers. Das 1989 entstandene, 120 mal 90 Zentimeter große Ölgemälde zählt zu den spektakulärsten Arbeiten der aktuellen Ausstellung, die den Titel "Lebe, Wesen!" trägt. Bis 13. Mai ist die Ausstellung im Museum Franz Xaver Stahl in Erding zu sehen.

Das Bild "Zwei Eulen". (Foto: Renate Schmidt)

40 Arbeiten wurden für diese spannende Schau ausgewählt. Der Maler fühlte sich in jedem Genre, jeder Stilrichtung zu Hause: Ölbild, Aquarell, Filzstift-, Feder- und Tuschezeichnung, Tempera, Sprühtechnik, Lithografie, Kreide und Scherenschnitt - jede dieser Techniken beherrschte er meisterhaft. Neben klassischen Gattungen wie Porträt, Stillleben, Akt und Landschaft hat er surrealistische und allegorische Szenen geschaffen, dazu Grafiken und Karikaturen. In einer oft reduzierten und doch erzählenden Formensprache stellte er Ästhetik und Symbolkraft des (Tier)körpers in den Mittelpunkt, fing die Kraft und Wildheit der Pferde ein, die filigrane Anmut der Vögel im Flug, die Magie der Eulen in mondheller Nacht, die Fülle und Farbenpracht orientalischer oder südamerikanischer Natur mit ihren sinnlichen Verlockungen. Er illustrierte aber auch, was Mensch und Tier verbindet: Furcht, Zuneigung, Stolz, Gebrechlichkeit.

Ritter schlug Brücken zwischen der tierischen Natur und den animalischen Abgründen des Menschen. So ließ er aus dem rechten Auge eines mit Feder und Tusche gezeichneten Frauenporträts einen Vogelkörper mit Krallen und geöffnetem Schnabel wachsen. Auch hier trieb Ritter das Absurde, das Ungeheuerliche auf die Spitze. Die handkolorierte Lithografie "Hinter den Händen" etwa versammelt eine Menagerie gespenstischer Traumgesichter, die sich um eine Handfläche mit zwei Augen scharen. Und stets würzte Ritter seine Bilder mit einer Prise Sarkasmus.

Martin Ritters Bild "Heimkehr". (Foto: Renate Schmidt)

Eine weitere Werkgruppe der Ausstellung widmet sich den Tierstudien, wie sie einst auch an der Münchner Kunstakademie gepflegt wurden. Franz Xaver Stahl, dem das Museum gewidmet ist und der ein Zeitgenosse Ritters gewesen ist, war der letzte Lehrer für Tiermalerei an der Akademie. Dass Ritter als Spätexpressionist Pferden besondere Aufmerksamkeit schenkte, ist keine Überraschung. War doch das Pferd für die Künstlergruppe "Blauer Reiter" um Marc und Kandinsky ein Symbol für Freiheit, Aufbruch und künstlerische Energie. Wie seine berühmten Vorgänger interessierte sich Martin Ritter aber kaum für die naturalistische Wiedergabe von Pferd, Vogel, Fisch, Katze oder Hund. Ritter trieb vielmehr ein faszinierendes Spiel mit Farben, Formen und märchenhaften oder mythologischen Inhalten. Er malte die Tiere - und meinte den Menschen. Aus den gespreizten Krallenfüßen eines Hahns spricht der geballte männliche Stolz. Und eine der Katzen schaut mindestens so grimmig wie "Grumpy Cat".

Auch ein Schatz aus dem reichen Nachlass wird in der Ausstellung gezeigt: das "ABC in Bildern". Als "Wunderkind" von sieben Jahren schuf Martin Ritter im Jahr 1912 im Auftrag des Prinzen August Wilhelm von Preußen für dessen Sohn 22 filigrane Scherenschnitte. Ein paar Beispiele samt Dankschreiben seiner Hoheit werden in Erding gezeigt.

Museumsleiterin Heike Schmidt-Kronseder berichtet, dass die angebotenen Führungen und Abendöffnungen gut besucht sind. Auch Kinder haben Spaß an den Bildern, von denen einige eine weitere Wesensart des Künstlers offenbaren: die Freude am Reichtum der Schöpfung.

Im Franz Xaver Stahl Museum ist in einer neuen Ausstellung unter anderem sein Bild "Die Vögel" zu sehen. (Foto: Renate Schmidt)

Info: Die Ausstellung "Lebe, Wesen!" mit Tierdarstellungen von Martin Ritter im Museum Franz Xaver Stahl in Erding, Landshuter Straße 31, dauert bis 13. Mai, geöffnet am ersten Sonntag des Monats von 14 bis 17 Uhr. Führungen finden statt am Donnerstag, 5. April, um 13 Uhr, am Dienstag, 17. April, um 18 Uhr, sowie am Freitag, 27. April, um 15 Uhr. Weitere Führungen zu einem individuellen Termin können unter Telefon (08122) 40 81 60 vereinbart werden.

© SZ vom 03.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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